Seit der Geburt meiner inzwischen sechsjährigen Tochter Viktoria haben wir etliche Gespräche mit Kinderärzten, Erziehern, Therapeuten und Psychiatern geführt, die mich oft sehr wütend gemacht haben.
Denn meine Tochter passt nicht in das „handelsübliche Qualitätsraster“ für gleichaltrige Kinder.
Sie fällt immer wieder auf, was insbesondere in neuen Situationen, wie damals, als sie in den Kindergarten kam, auffällt.
Damals war sie zwei Jahre alt und wir hatten einen Platz im örtlichen Kindergarten ergattert.
Die Eingewöhnung war, sagen wir, nicht besonders schön, da sie meistens weinte, wenn ich den Raum verlassen sollte.
Die Erzieher waren damals leider sehr darauf bedacht, die Eingewöhnung nach einem bestimmten Plan abzuwickeln, wohl auch, da eine Woche nach unserer Eingewöhnung wieder ein neues Kind angemeldet war.
Und so hinterließ ich notgedrungen ein bitterlich weinendes Kind im Kindergarten und fuhr einige Wochen später auch dann wieder täglich zur Arbeit.
So weit kennen das Prozedere sicher viele Eltern.
Und das ist ja auch meistens nicht so schlimm, wie es sich für uns Mamas anfühlt, weil das Kind sich in den meisten Fällen schnell wieder beruhigt. Das war auch bei uns so, Viktoria hat nach spätestens 30 Minuten immer aufgehört zu weinen (ich gestehe: ich habe mit Tränen in den Augen im Kindergarten angerufen).
Doch da sie oft lieber nur zusah, wenn andere Kinder spielten (und man bedenke, sie war damals gerade zwei geworden und sprach noch kaum ein Wort….) und sich oft in eine Ecke des Gruppenraumes verkrümelte, bekam ich nach nicht einmal zwei Monaten eine „Diagnose“ aus dem Kindergarten gestellt, die mich sehr erschütterte:
Man erklärte mir im Beisein der Kita-Leitung, mein Mädchen wäre depressiv!
Wir wurden dank einer Meldung beim Jugendamt zu diversen Arztterminen gebeten. Und dort kamen die unterschiedlichsten Ergebnisse auf den Tisch:
Für unseren Kinderarzt, der Viktoria kennt, war sie einfach nur schüchtern. Und sehr introvertiert.
Für den Psychiater, den wir besuchen mussten, waren das Kind auf dem Papier (Kita-Beobachtungen) und das Kind, welches vor ihm spielte zwei völlig verschiedene Kinder.
Und für mich war eines klar: Mein Kind ist mir sehr ähnlich. Auch ich war im Kindergarten eher das beobachtende Kind, welches nicht immer aktiv mitspielte.
Dank einer Bloggerin (Pia Drießen, Blog: dailypia) kam mir dann ein Bericht über ihre HOCHSENSIBLEN Kinder in die Hand. Und es schepperte ordentlich in mir, denn mir ging auf, dass meine Tochter schlichtweg die vielen Reize, die andere Kinder aussenden, nicht so schnell verarbeiten kann, wie das Durchschnittskind.
Ich begann, mich sehr ausführlich mit dem Thema Hochsensibilität auseinander zu setzen. Und lernte mein Kind zu verstehen und Situationen oft im Vornherein als „zu viel“ zu entlarven.
So kann ich zum Beispiel jegliche Arten von Jahrmärkten und größere Feste knicken. Denn laute Musik, Blinklicht, Gerüche, überschwängliche Emotionen, … all diese Reize sind in der Masse schlicht zu viel für mein Kind.
Mit gefällt bis heute diese Erklärung ganz gut: Man muss sich Vorstellen, dass auch das menschliche Gehirn eine Art Arbeitsspeicher hat. Und wenn dieser Arbeitsspeicher zu voll ist, weil zu viele Programme (=Reize) gleichzeitig verarbeitet werden, dann wird der ganze Computer (äh ja, ich meine das Kind) sehr langsam. Das sieht von außen dann so aus, als wenn das Kind erstarrt wäre.
Ein glasiger Blick, Teilnahmslosigkeit, manchmal sogar keine Reaktionen auf Ansprache, all diese Symptome zeugen bei vielen Kindern von „verstopften Arbeitsspeichern“ dank Hochsensibilität.
Denn die hochsensiblen Kinder nehmen extrem viele Reize in ihrer Umgebung ungefiltert, ungewichtet und eben alle gleichzeitig wahr.
Woran das liegt, wurde inzwischen auch erklärt: Die Synapsen haben im Gehirn viel kleinere Reizschwellen, bei denen Informationen bereits verarbeitet werden müssen (sprich: es fließt ein Strom zwischen den Synapsen).
Während andere Kinder Reize erst bei einer bestimmten Intensität als störend wahrnehmen, kann es schon ein zu heftiger Beat sein, den andere Kinder gar nicht wahrnehmen, der ein hochsensibles Kind außer Gefecht setzt.
Fazit:
Wenn ihr das Gefühl habt, dass Euer Kind hochsensibel ist, bedenkt bitte zuerst: Hochsensibilität ist keine Krankheit und muss demnach nicht therapiert werden. Sie kann hilfreich sein (vor allem zwischenmenschlich) aber auch ganz schön nerven, wenn das Kind mal wieder aus für uns unerklärlichen Gründen wie versteinert stehen bleibt und nicht mehr ansprechbar ist.
Sie kann absolut missverstanden werden, aber sobald sie entlarvt ist, als ein ganz normaler Wesenszug gesehen werden.
Uns (Deva und mir), die wir gemeinsam das Buch „Alle Antennen auf Empfang“ geschrieben haben, besonders wichtig: Hochsensible Kinder sind nicht besser und auch nicht schlechter als alle anderen Kinder dieser Welt. Solltet ihr was von „Weltretterern“ oder „Kristallkindern“ hören, nimmt es wahr und lasst diesen Gedanken am Besten direkt wieder los. Denn er kann bei euren Kindern einen unfassbaren Druck erzeugen, etwas großartiges bewirken zu müssen. Was in fast allen Fällen nur Enttäuschung nach sich zieht und dazu führen, dass sich euer Schatz als „anders“ und nicht dazugehörig fühlt.
Und das wünschen wir alle doch keinem Kind.
Mehr von dieser Bloggerin
Familymag Mit falscher "Kindergarten-Diagnose" zum Psychiater: Hilfe, mein Kind ist hochsensibel!
© familymag.net
Eigentlich fehlt in der Überschrift ein Wort. Oder auch zwei. Denn der Ausruf, den ich immer wieder am liebsten in die Welt schreien würde, wenn über das Verhalten meiner Tochter gesprochen wird lautet: Hilfe, mein Kind ist doch NUR hochsensibel!!!