Manchmal erhalte ich Nachrichten oder E-Mails, die mich schlucken lassen. Die von Sarah war so eine. „Ich habe heute freiwillig meine Kinder in die Hände einer Pflegefamilie gegeben“, schrieb sie mir Anfang Dezember und ich weiß noch, dass ich sofort reflexartig die Luft anhielt. „Ich würde dir so gerne erzählen warum und wie es dazu kam, um anderen Mamis in meiner Situation vielleicht etwas Mut zu machen. Ich weiß, es ist ein Tabuthema, aber ich hoffe trotzdem, dass du ihm etwas Raum auf deinem Blog geben kannst“, las ich weiter und es begann sofort in mir zu arbeiten. Oh ja, das IST ein Tabuthema. Schon allein der Gedanke, dass eine MUTTER die eigenen Kinder beim Vater zurücklassen könnte, so wie es unzählige Männer tun, ohne das Hahn danach kräht, löst in den meisten Menschen Schnappatmung aus. Den Nachwuchs in eine Pflegefamilie zu geben ist da sogar noch eine Steigerung. Eine Mutter kann, nein, DARF doch nicht ihre Kinder „weggeben“! Das ist schlicht unvorstellbar … zumindest für die Allgemeinheit. Und genau deshalb handelt es sich beim Thema „Kinder FREIWILLIG in die Obhut einer Pflegefamilie zu geben“ um ein Tabu-Thema, über das kaum gesprochen wird, weil es so viel Unverständnis und Unbehagen auslöst, und sich die Menschen lieber davon abwenden, anstatt bei Interesse (vorsichtig) nachzufragen, wie es dazu kam. Dabei wäre genau DAS der bessere Weg.
Eine solch weitreichende Entscheidung, die ja mehr als nur ein Leben beeinflusst, trifft niemand leichtfertig; keine Mutter gibt ihre Kinder einfach so in die Hände andere Menschen und auch das Jugendamt „holt“ nicht einfach so ein Kind aus seinem Umfeld, weil Mama und/oder Papa gerade keinen Bock mehr auf Elternschaft haben. VOR diesem Schritt stehen lange Prozesse, unzählige Gespräche, literweise Tränen und harte Arbeit, um vielleicht doch noch eine andere Lösung zu finden. Aber wenn nichts hilft, es eben keine andere Lösung gibt, dann gibt es Möglichkeiten, das Leben aller Beteiligten zu verbessern bzw. eine Situation (vielleicht ja auch nur vorübergehend) zu beruhigen. Und darüber sollte gesprochen werden dürfen, sofern die involvierten Eltern den Mut dazu haben … um Wunden heilen zu lassen und vielleicht sogar, um etwas Aufklärungsarbeit zu leisten – so, wie es Sarahs Wunsch war, als sie sich mit ihrer Geschichte an mich wandte.
Um aber nicht nur Sarahs sehr persönliche und sehr emotionale Perspektive zu zeigen, sondern genauso die Hintergründe auf Jugendamt-Seite zu beleuchten, habe ich mir wieder Christin und Uta mit ins Boot geholt, die bereits im Artikel „Oh man, gleich kommt das Jugendamt!“ als Fachleute für spannende Einblicke in die (Handlungs-)Abläufe deutscher Jugendämter sorgten.