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Rubbelbatz Unser marodes Schulsystem und was sich ändern müsste

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© Rubbelbatz
Ich habe ein erstes Staatsexamen, Lehramt Gymnasium. Wäre also selbst fast einer von ihnen geworden: Lehrer. Eine sehr besondere Spezies. Auch und erst Recht in meinen Augen, mit meiner Erfahrung. Als Montessori-Schülerin, als Regelschul-Gymnasiastin, als Lehramtsstundentin, als Mutter eines Kleinkindes.

Unser Schulsystem: An der Realität vorbei
Im Bezug auf unsere Auslandspläne werde ich häufig gefragt, ob bzw. wann wir denn zurück kommen wollen. Aktuell planen wir, dass unser Sohn in Deutschland zur Schule geht, dass wir also zurückkommen und uns fest niederlassen, bevor er 6 Jahre alt ist.

Ich sage aber auch immer dazu, dass ich nicht ausschließe, dass wir unsere Meinung bis dahin ändern.  Wer weiß, vielleicht bin ich in drei Jahren ja leidenschaftlicher Verfechter von Home-Schooling oder Un-Schooling. Denn vom Regel-Schulsystem in Deutschland halte ich eigentlich nicht so viel. In meinen Augen geht es an den realen Bedürfnissen von Kindern, Lehrern wie auch der Arbeitswelt vorbei.
Doch wer lange genug darin verharrt, egal ob als Lehrkraft oder Schüler, der akzeptiert diese Gegebenheiten irgendwann als unabdingbar, als "normal". Dafür sorgen alle, die dieses System mittragen und aufrecherhalten und selbst irgendwann angepasst wurden. Denn was hier nicht passt, wird passend gemacht oder geht unter. Das klingt jetzt natürlich etwas polemisch und ist sicherlich pauschal-übertrieben. Dass es nicht immer ganz so schlimm ist, liegt aber weniger am System, sondern an vielen wunderbaren jungen Menschen, die viel Energie in ihren Beruf stecken, um die Schule ein wenig besser zu machen.

Das preußische Schulsystem: Fleißige Arbeiter und getreue Soldaten für den König
Doch was macht unser Schulsystem eigentlich? Worauf ist es angelegt? Unser "deutsches" Schulsystem ist eigentlich ein preußisches. Das heißt, die Grundlagen dafür wurden vor über 300 Jahren gelegt, als es Deutschland noch gar nicht gab. 1717 führte der preußische König Friedrich Wilhelm I. die Schulpflicht ein. Damit bestimmte er, dass alle Mädchen und Jungen von 5 bis 12 Jahren eine Schule besuchen müssten. Das hört sich ja erst einmal nach einer guten Entwicklung an.

Tatsächlich war es aber so, dass die Elite weiterhin zu Hause oder auf Klosterschulen unterrichtet wurde, während die breite Masse die staatlichen Schulen besuchte. Das Ziel dieser Schulen war im Hinblick auf damalige Bedürfnisse vor allem eines: Gehorsame Diener und Soldaten schaffen. Keine eigenständigen Denker, sondern normierte Untertanen.
Aus diesem Edikt, das Anfangs noch recht wenig Wirkung zeigte, entwickelte sich allmählich unser heutiges Schulsystem. Mit der industriellen Revolution verschob sich das pädagogische Ziel schrittweise vom gehorsamen Soldaten zum fleißigen Arbeiter. Damals eine gute Sache, denn eine Arbeitsstelle erfolgreich zu halten, sicherte das Überleben. Querdenker, die Aufstand probten, landeten schnell auf der Straße und damit in der Armut. Für damalige Verhältnisse war das öffentliche Schulsystem also genau richtig.

Die heutige Realität und Zukunftschancen
Heute ist diese Realität längst überholt. Wer heute nicht querdenken, selbständig und kreativ sein kann, der geht in unserer Arbeitswelt schnell unter. Gebraucht werden auch flexible, kreative Köpfe. In einer Zeit, in der wir gar nicht wissen, auf welche Zukunft wir unsere Kinder eigentlich vorbereiten, welche Fähigkeiten konkret in 15 Jahren benötigt werden, sind Mitdenken, Flexibilität, Innovation und Kreativität gefragt. Soziale Fähigkeiten, Empathie, psychologische Skills werden wichtiger denn je.
Und die Schule? Die bereitet unsere Kinder weiterhin auf das Dasein als Untertanen vor. Als Arbeiter. Als angepasste Kopfnicker, die gut rechnen, lesen und schreiben können und viel Faktenwissen besitzen.

Warum ändert sich nichts?
Warum ist das so? Warum verändert sich die Schule nicht mit den Gegebenheiten? Natürlich ist Schule längst nicht mehr dasselbe wie vor 100 Jahren. Natürlich wächst auch das Schulsystem mit den Aufgaben, versucht, der Realität gerecht zu werden. Doch das ist, meiner Meinung nach, in dem System, das wir aktuell haben, gar nicht möglich.

Die Sozialisierung der Lehrkräfte
Denn auch wenn es viele junge Lehrer/innen gibt, die es besser machen wollen, die meisten scheitern entweder an den eigenen Ansprüchen oder geben irgendwann auf. Denn in einer Klasse mit 30 Schülern, von denen jeder zur selben Zeit dasselbe lernen soll, die man in sechs Notenstufen immer zu selben Zeit an rein kognitiven Fähigkeiten messen und beurteilen muss, bleibt viel zu wenig Zeit und Energie für das, was wirklich wertvoll wäre. Für echtes, selbständiges Lernen. Für Gespräche. Für soziale Aktivitäten. Für echtes Lernen sind die Gegebenheiten suboptimal.

Was passiert also mit Lehrern, die es anders machen wollen, als der Großteil? Sie arbeiten einige Jahre, anfangs voll motiviert, gegen den Strom. Viel im Alleingang. Sind innovativ, wollen ihren Schülern wirklich etwas mitgeben. Unterstützung aus dem Kollegium ist dafür eher wenig zu erwarten - denn die meisten, die dort noch sitzen, haben den Kampf schon gekämpft. Und dann entweder Kompromisse geschlossen oder aufgegeben. Und jeder, der den Kampf nicht gewonnen, sondern das System annehmen musste, wie es ist, beäugt das mit Missfallen. Fühlt sich entweder ertappt im eigenen Versagen oder bedroht in seiner Motivationsarmut. Von Studienfreunden, die nach dem ersten Staatsexamen ins Referendariat gingen, gewann ich manchmal den Eindruck, dass diese zwei Jahre ganz massiv dazu dienten, junge Lehrer "zurechtzubiegen". Sie so unter Druck zu setzen und mit (teils sinnfreier) Arbeit zu überlasten, dass sie irgendwann innerlich aufgeben und es genauso wie alle machen: Frontalunterricht nach Lehrbuch, wenig Freiarbeit, viele Noten.

Die Sozialisierung der Schüler
Gleichzeitig findet dieser Prozess des Zurechtbiegens auf der Schülerseite statt. Wer erfolgreich sein will, aufs Gymnasium gehen, studieren, der muss sich anpassen. Still sitzen. Dasselbe zur selben Zeit lernen können. Nicht querdenken, sondern nach Plan denken. Wer aus dem Raster fällt, wird bestraft. Mit schlechten Noten. Mit schlechteren Zukunftschancen. Mit dem Gefühl des Versagens.
Auf diese Weise fällt es uns auch als Erwachsener schwer, überhaupt zu denken, dass es anders ginge. Viele, die diesen Text lesen, haben sicherlich schon an mehreren Stellen innerlich protestiert. Sich gedacht, das muss doch so sein, das war schon immer so. Anders ginge es doch nicht und wäre auch nicht gut.

Es geht auch anders!
Meine beste Freundin ist Lehrerin, aktuell an einer Grundschule. Obwohl sie jeden Tag mit den Problemen, die das mit sich bringt, konfrontiert ist, hat sie sich in einem Gespräch lange geweigert, den Gedanken zu Ende zu denken. Wie es anders gehen könnte. Wie Kinder in dem Alter lernen können und trotzdem genug Zeit für alles andere bleibt. Denn, anders als ich, konnte sie selbst nichts anderes erleben.

Dabei gibt es Schulformen, in denen Lehrer allen Kindern gerecht werden können. Montessori-Schulen zum Beispiel oder Waldorf-Schulen. Natürlich lösen solche Schulformen nicht alle Probleme der Menschheit. Schwache Schüler werden dort möglicherweise auch nicht so viel mehr lernen, als in der Regelschule. Den Unterschied macht aber, dass sie nicht aus der Schule kommen als "Versager" mit einem schlechten Selbstwertgefühl. Wenn, wie in der Montessori-Schule, die lernstarken Schüler, weitestgehend selbständig arbeiten, bleibt für die Lehrer viel Zeit. Diese Zeit können sie in all das investieren, wofür sonst oft nicht die Zeit bleibt: Soziale Interaktion mit schwachen Schülern, Kommunikation, einfach mal in der Leseecke kuscheln oder Konflikte mit Mitschülern lösen. Niemand bleibt zurück, jeder kann sich in seinem Rahmen entwickeln. Es ist möglich.
 

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