Anzeige
Anzeige

Rubbelbatz Was ist ein High Need Baby?

Blog Rubbelbatz High Need
© Rubbelbatz
Vor Kurzem habe ich in einem Artikel erwähnt, dass mein Baby elf der zwölf Kriterien eines High-Need Babys erfüllte. Ich weiß, dass dieser Begriff manchmal falsch verstanden wird. Jedenfalls bin ich anscheinend jemandem etwas zu nahe getreten, der dachte, hinter dem Begriff High Need versteckt sich irgendeine Art Diagnose, mit er überforderte Eltern versuchen, ihre Überforderung zu rechtfertigen.

In den Augen der Leserin wohl ein Affront gegen Eltern, die "echte" Probleme haben. Ein behindertes Kind zum Beispiel oder das Leben als Alleinerziehende. Darüber dürfte man wohl sprechen. Über High Need Kinder nicht.
Doch woher kommt dieses - meiner Meinung nach verzerrte - Bild und was versteckt sich tatsächlich hinter "High Need"?

Was ist ein High Need Baby?
Der Begriff wurde geprägt vom amerikanischen Kinderarzt Dr. William Sears, der mit seiner Frau Martha Sears verschiedene Bücher zum Thema bindungsorienterter Erziehung veröffentlichte. Von ihnen stammt der Begriff Attachment Parenting. Das Ehepaar hat insgesamt acht Kinder, wobei nur das vierte davon, ihre Tochter Hayden, ein High Need Baby war.
Vor dieser Erfahrung dachte Dr. Sears, dass manche Eltern einfach übertreiben oder ihnen vor der Geburt nicht bewusst war, dass ein Baby intensive Betreuung und wenig Schlaf bedeutet. Um zu verdeutlichen, in welchen Punkten ein High Need Baby "anstrengender" sein kann, als andere Babys, entwickelte Dr. Sears anschließend zwölf Kriterien.
Wichtig zu wissen ist dabei, dass das kein "High Need Test" mit einer anschließenden "High Need Diagnose" ist. Es geht nicht darum, die Kinder als besser / schlechter oder gar krank / behandlungsbedürftig einzustufen. Die zwölf Kategorien von Sears bieten lediglich ein Beschreibungsraster, eine Methode, etwas sehr Abstraktes wie "anspruchsvolles Kind" skalierbar und greifbar zu machen. Eltern von High Need Babys müssen, selbst wenn alles zwölf Punkte erfüllt sind, keine anderen Regeln befolgen oder ihr Kind gar zu einem Arzt bringen. Ein High Need Baby zu haben bedeutet lediglich am oberen Limit von "anstrengender Babyzeit" zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Es erklärt, warum manche Eltern relativ entspannt mit ihren schlafenden Babys einen Cappuchino schlürfen, während andere am liebsten in einer schall- und blickdichten Seifenblase leben würden, damit ihr Kind überhaupt ein wenig schläft. Es stellt klar, dass es nicht (immer) eine Frage der Erziehung oder des entspannten Umgangs mit dem Baby ist, warum manche Kinder mehr fordern, als andere. Es ist schlicht und ergreifend eine Charakterfrage.
Mit seinem Bewertungsspektrum möchte Sears Eltern solcher Babys sagen und zeigen, dass sie nicht Schuld sind am aktuellen Zustand - und eine Möglichkeit an die Hand geben, das auch anderen Menschen im Umfeld mitzuteilen, ohne dass sie als überforderte Eltern abgetan werden, die nur viel jammern.
Was das Konzept von High Need nicht aussagen möchte, ist, dass es deshalb mit Kindern am anderen Ende des Spektrums weniger anstrengend ist. Es gibt keine "Low Need Babys". Alle Babys sind anspruchsvoll und benötigen intensive Betreuung. So gut wie alle Babys werden mindestens drei Punkte der zwölf Kriterien erfüllen, meist weitaus mehr.
 

High Need Baby Definition

Der Definition nach ist ein Baby High Need, wenn es alle zwölf der folgenden Kriterien erfüllt. Die Originalformulierungen findet ihr auf der Seite von Dr. Sears.

  1. "Intense": Das Baby braucht intensive Betreuung, ist unruhig, hat ein hohes Bedürfnis nach Nähe und duldet keinen Aufschub seiner Bedürfnisse. Sein Schreien ist alarmierend und unangenehm.
  2. "Hyperactive": Das Baby ist körperlich und geistig außergewöhnlich aktiv, wirkt angespannt und selten ruhig. Hyperaktiv ist dabei keine Wertung und hat nichts mit einer möglichen späteren ADHS-Diagnose zu tun.
  3. "Draining": Das Baby ist energieraubend, verlangt den Eltern alles ab, ohne Rücksicht auf Verluste. Für das eigene Leben, Haushalt, Freunde, Hobbys, bleibt keine Zeit und Energie.
  4. "Feeds frequently": Das Baby stillt gefühlt ununterbrochen bzw. verlangt häufig nach der Flasche. Stillbabys lassen sich viel Zeit, brauchen die körperliche Nähe zur Mutter.
  5. "Demanding": Das Baby fordert lautstark seine Bedürfnisse ein und duldet weder Aufschub,  noch Ersatz.
  6. "Awakens frequently": Das Baby wacht häufig auf und schläft schlecht.
  7. "Unsatisfied": Obwohl das Baby so viel an Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Liebe und Nahrung bekommt, wirkt es trotzdem fast immer unzufrieden.
  8. "Unpredictable": Das Baby ist unberechenbar, die Laune schlägt von einem Moment zum nächsten um und es ist schwierig, etwas zu planen.
  9. "Super-sensitive": Das Baby ist übersensibel, schnell überreizt.
  10. "Can't put baby down": Das Baby lässt sich nicht alleine ablegen, möchte nur getragen oder gestillt werden.
  11. "Not a self-soother": Das Baby kann sich nicht ohne fremde Hilfe beruhigen bzw. einschlafen.
  12. "Separation sensitive": Das Baby kann sich nur schwer von Bezugspersonen, meist der Mutter, trennen.

Eltern mit High Need Babys

William Sears hat das High Need Baby nicht erfunden. Dass es anspruchsvollere und weniger anspruchsvolle Babys gibt ist ein Fakt der Menschheitsgeschichte, der schon Mitte des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht wurde. Als Sears der Tatsache einen neuen Namen gab, hatte er vor allem die Eltern dieser Kinder im Hinterkopf. Denn für diese ist das erste Babyjahr vor allem eins: sehr, sehr, sehr anstrengend. Und dann zu sehen, dass es für andere so viel einfacher zu sein scheint, dass diese viel mehr Schlaf bekommen und am Ende des Tages noch Energie für soziale Kontakte oder Partnerschaft haben, ist wirklich schwierig. Von anderen bekommen diese Eltern dann vielleicht noch Sprüche wie
Ruhige Eltern, ruhige Kinder.
Das haben schon so viele Eltern vor euch geschafft.
Ein Baby holt sich schon den Schlaf, den es braucht.
Vor allem für junge Eltern bzw. beim ersten Kind stellt sich schnell die Frage: Liegt es an uns als Eltern? Verwöhnen wir das Baby zu sehr und es ist deshalb so "anspruchsvoll"? Was mache ich falsch? Und genau diesen Eltern möchte Dr. Sears sagen:
Ihr macht nichts falsch. Es liegt nicht an den Eltern, sondern am Charakter der Kinder, wenn ein Baby hohe Bedürfnisse hat!
Vor allem bei Babys und kleinen Kindern kann man mit Erziehung nicht viel ändern. Mit Konditionierung vielleicht, doch das ist ein anderes Thema und hinterlässt möglicherweise Spuren bei den Babys. Vorausgesetzt, man möchte sein Baby liebevoll und ohne Schaden durch die ersten Lebensmonate bringen, bedeutet das: Das Baby ist, wie es ist. Es kann nicht mehr, als Bedürfnisse - und diese sind echte Grundbedürfnisse, keine Wünsche oder Allüren - äußern und auf die Eltern vertrauen, diese zu erfüllen.
 

Der richtige Umgang mit High Need Babys

Darüber hat William Sears ganz klare Ansichten, die ich auch teile: Eltern sollten auf solche Babys - so gut es ihnen möglich ist - besonders eingehen, ihre Bedürfnisse erfüllen, am besten, bevor Tränen fließen. Das hilft Babys dabei, sich zu entspannen und Selbstvertrauen zu gewinnen in sich und die Kommunikation mit den Eltern. Ein Baby schreien zu lassen, ist nie eine gute Option und bei High Need Babys wird es selten von "Erfolg" gekrönt sein -  denn sie können sich einfach nicht selbst beruhigen und das ständige Gebrüll zerrt zusätzlich an den elterlichen Nerven.
Kurz gesagt: High Need Babys benötigen bindungsorientierte Erziehung mehr als andere Babys, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass das der einzig sinnvolle und nervenschonende Umgang mit ihnen ist.
Den Eltern selbst hilft es manchmal, andere "Betroffene" zu finden und sich auszutauschen. Es hilft niemandem, mit anderen zu vergleichen und sich unter Druck zu setzen. Stattdessen sollte man lieber die Energie ins Baby investieren und Schlaf an oberste Stelle der Prioritäten-Liste zu setzen.
 

High Need Baby - Wann wird es besser?

Sears gibt in seinen Ausführungen immer wieder Hinweise, wie die Entwicklung eines High Need Babys weitergehen könnte. Bei der Beschreibung der einzelnen Kriterien versucht er nicht nur klar zu stellen, dass diese keinerlei negative Wertung beinhalten, sondern zeigt oft auch die positiven Aspekte dieser zunächst als anstrengend empfundenen Eigenschaften von Babys auf. Zum Beispiel kann die Tatsache, dass diese Babys alles so intensiv erleben und fühlen, später auch dazu beitragen, dass die früheren High Need Kinder tiefe und ehrliche Beziehungen zu anderen Menschen eingehen können. Es gibt allerdings keine Pauschalaussagen wie "High Need Baby = intelligent". Wie gesagt verbirgt sich hinter dem Begriff keine Wertung, lediglich eine Beschreibung von Charakterzügen. Auch jeden Nicht-High-Need-Kind kann diese Charakterzüge aufweisen! Und genauso individuell wie der Charakter eines Kindes ist auch der Zeitpunkt, wann es "besser" im Sinne von weniger anstrengend wird.

Liebe Eltern...
Meine Bitte an alle, deren Kinder alle Kriterien erfüllen: Bitte macht daraus keinen "Stempel"!
Ein Kind ist, wie es ist und immer auf seine Weise sehr liebenswert. Ja, die Zeit ist verdammt hart und es fühlt sich manchmal ungerecht an, dass andere es weniger schwer haben. Versucht trotzdem, an die Zeit danach zu denken. Babys und Kleinkinder verstehen intuitiv viel, viel mehr, als wir denken. Wenn sie von Anfang an überall als "anstrengend", "besonders bedürfnisstark" oder "anders" vorgestellt werden, welche Auswirkungen mag das auf ihre Entwicklung haben? Bitte achtet darauf, wie und mit wem ihr darüber in Gegenwart eures Kindes sprecht.
 

Mehr von dieser Bloggerin

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel