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Eltern-Evolution Zum Teilen zwingen verursacht Missgunst

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© Image Source / iStock
Ich gestehe, ich war bei meinem Sohn anfangs ähnlich und habe auch zum “teilen” “motiviert”. In Wirklichkeit wollte ich den anderen Müttern gefallen und Konflikte/ Verurteilungen umgehen.

Heute weiß ich, dass dies eher einer Indoktrination entspricht – und wir wissen alle, dass man so nicht lernt, sondern dass Menschen so konditioniert werden.
Was passiert also bei den Kids, wenn sie so “motiviert” werden?

Zum Teilen zwingen verursacht Missgunst
 
Klingt hart, oder? Ist aber so. Habe ich deine Neugierde geweckt? Super, ich freu mich und teile gern meine Gedanken und Erfahrungen mit dir.

Als Mutter, Erzieherin und angehende Psychotherapeutin sind die Themen teilen, abgeben, der Reihe nach oder “friedlich” zusammen den selben Gegenstand erforschen und sich selbst “positiv” einbringen an der Tagesordnung.
Ja, richtig. Diese Themen sind ein Leben lang aktuell. Bei den ganz Kleinen, die diese Bereiche authentisch und mit vollem Herzen navigieren, und bei Erwachsenen, die hier ebenso (oft konditionierter) ihren Weg finden oder reflektieren.

Picture this!
Du liest gerade ein ausgezeichnetes Buch. Es ist super spannend. Es liest sich gut, stimuliert auf faszinierende Art und Weise deine Fantasie und gibt dir gleichzeitig die Entspannung, die dein Körper und Geist nach einem ereignisreichen Tag so brauchen. Dann kommt deine Freundin dazu.

Sie findet, dass das super aussieht, was du da so machst und will das Buch auch angucken, und zwar sofort (wohlgemerkt ohne böse Absicht).
Du bist offensichtlich etwas schockiert und protestierst irritiert, denn schließlich hat sie dich ja aus einem intimen Moment so herausgerissen. Nun hörst du aber von deiner anderen Freundin, die du sehr lieb hast und der du sehr vertraust, dass du das Buch teilen solltest. Dass das nett ist und so gemacht wird.

 Welche Nachricht wird hier beiden Freundinnen kommuniziert? 

  1. Es ist ok, jemanden in intimen Momenten des Lernens und Seins zu unterbrechen, weil man das gerade so will und spürt.
  1. Es ist nicht ok, zu protestieren, wenn man der “Unterbrochene” ist (das wäre ja nicht sozial).
  1. Es ist wichtig und nett, den Gegenstand zu teilen, wenn jemand danach fragt, weil man das so macht und alles andere egoistisch ist.

Dieses Szenario ist total absurd, oder? Wird aber bei Kindern tagtäglich so gehandhabt. Warum? Weil Mütter oder Väter oft meinen, dass die anderen Mütter und Väter das so erwarten. Oder, weil sie wirklich glauben, dass Kinder so teilen lernen und es ihnen möglichst früh beibringen möchten.

Ich gestehe, ich war bei meinem Sohn anfangs ähnlich und habe auch zum “teilen” “motiviert”.
In Wirklichkeit wollte ich den anderen Müttern gefallen und Konflikte/ Verurteilungen umgehen. Heute weiß ich, dass dies eher einer Indoktrination entspricht – und wir wissen alle, dass man so nicht lernt, sondern dass Menschen so konditioniert werden.

Was passiert also bei den Kids, wenn sie so “motiviert” werden?
Meine Beobachtungen sind: Kinder erwarten von anderen Kindern, dass diese zeitnah ihre Spielsachen mit ihnen teilen – egal wie sie sich dabei fühlen. Dies stelle ich immer wieder fest! “Stephanie, der so und so teilt nicht mit mir.” Kinder kommen zu mir und beschweren sich über ein anderes Kind, dass sein Spiel(zeug) gerade nicht teilen möchte. Die Kinder fühlen sich berechtigt, sich darüber zu beschweren. Sie wollen ihr “Recht” in Anspruch nehmen. Sie haben ja schließlich auch vor einer Stunde “geteilt”, obwohl sie das auch nicht wirklich wollten. Sie suchen die Hilfe des Erwachsenen, der ja sonst auch immer eingreift, um zum Teilen aufzufordern. Aber was ist mit der Beziehung der Kinder untereinander? Die ist unterbrochen. Der Erwachsene steht im Mittelpunkt – nicht die jeweiligen Bedürfnisse der jeweiligen Kinder und das Navigieren dieser Bedürfnisse.

Dieser ganze Bereich des Verhandelns eigener und anderer Interessen in Beziehung zueinander, gemeinsam etwas ko-kreieren, oder auch respektieren und akzeptieren, dass der andere gerade lieber alleine sein will… Der wird doch komplett aus der Gleichung genommen. Kindern wird durch das erwachsene Eingreifen diese so wichtige und wertvolle Lektion über sich selbst und andere, über Respekt und Grenzen, über Enttäuschung und Freude, den eigenen und den anderen Willen – genommen. 

Ja, wir sprechen hier über das “in Beziehung treten” allgemein. Wir sprechen über soziales Lernen, über Resilienz, über Empathie. Aber diese hochkomplexen Dinge lernen Kinder nicht erst in der Pubertät oder mit sieben oder wann auch immer Menschen beginnen, kleine Menschen als vollwertige Wesen zu sehen. Diese Dinge navigieren unsere kompetenten Kinder fast schon von Tag 1 ihres Lebens auf dieser Welt und es ist ein LernPROZESS. 
Prozess bedeutet, dass es nicht nach ein paar Situationen gegessen ist, sondern dass das Lernen ein Leben lang dauert. 

Ich sehe Kinder, die anderen Kindern die Spielzeuge zuschmeißen, nachdem sie zum “Teilen” aufgefordert wurden. Sie machen, was man ihnen aufträgt, aber fühlen sich nicht gut dabei. Manche Kinder sind sogar bereits so konditioniert, dass sie das Spielzeug abgeben, ohne ihren Missmut zu kommunizieren.

Aber: die Missgunst und der Missmut sind meistens da. Wie können sie auch nicht da sein? Kinder werden ja stets dazu aufgefordert, ihre eigene Faszination, ihren Lernprozess, ihre Konzentration zu unterbrechen, damit ein anderer mit dem interessanten Gegenstand hantieren kann, nur weil man das so macht. Weil das so nett ist. Weil das so lieb und sozial ist. 

Wow. Soziales Verhalten erlernt man durch Beziehungen – durch Freude und Konflikt miteinander erleben. Nicht, weil andere einem erzählen, das man halt zurückstehen muss, weil andere Interessen und Bedürfnisse nun mal wichtiger sind und man das so macht, um gemocht zu werden.

Das erinnert mich sehr an die Mütter, denen ich privat und beruflich immer wieder begegne. Automatisch stehen sie zurück, weil das halt so ist. Automatisch stellen sie immer alle anderen vor sich selbst, weil das einfach dazu gehört. Unaufhaltsam reißt ihnen regelmäßig die Hutschnur, weil sie nichts mehr zu teilen haben, weil alles weg ist. Keine Energie. Keine Geduld. Kein Verständnis. Am Ende höre ich fast immer eine verzweifelte Person, die sagt: “Ich kann doch auch mal erwarten, dass sie hören, mithelfen, das zu schätzen wissen.”

Diese wundervollen Mütter wurden früh konditioniert – sie haben gelernt, auf eine selbst-verneinende Art und Weise zu “teilen”. Das führt auf lange Sicht immer zu Missmut und Missgunst, da das Teilen an sich von keinem guten, ausgeglichenen und selbst-bejahenden inneren Ort kommt. Da wird man schnell auf den anderen sauer. Man macht und tut. Und was macht der? Will immer noch mehr. Versteht einen nicht. Will doch was anderes. Ist soooo egoistisch. 

Und genau so erleben Kinder andere Kinder auch - auf einem intuitiven, unterbewussten, vorsprachlichen Level, wenn man sie künstlich zum teilen zwingt.

Der andere nervt. Der andere hat jetzt das Spielzeug, was man gar nicht bereit war, abzugeben. Was man sehr gern mag und nicht teilen will. Oder halt noch nicht. Daraus kann doch kein soziales Lernen entstehen. Nur Frust.
Kinder sind unglaublich kompetent. Und authentisch. Kinder sind sogar so authentisch, wie es sich viele Erwachsene wünschen. Manche müssen hart dafür arbeiten, um diese authentische, unkonditionierte Person irgendwie wieder zu entdecken.

Eine Sache möchte ich noch klarstellen. Ich finde teilen ebenfalls sehr wichtig! Aber nur, wenn es von einem guten, inneren Ort kommt, und nicht auf Grund von anderen Motiven – welche diese auch sein mögen: Mag mich, du schuldest mir was, etc.

Teilen, ähnlich wie helfen - macht uns glücklich und gesund. Sie gehören absolut zu unserer menschlichen Natur - sind aber eben auch komplexe Zusammenhänge, die erst erlernt und erspürt werden müssen. Ohne Eingriffe, Konditionierung, Beschämen und Indoktrination. So lernt man nämlich meist nur die Floskel oder "teilt" mit einem Grummeln im Bauch, das später immer wieder irgendwie auftaucht. 

Begleiten wir beide Kinder in ihrem Lernprozess des Teilens, so beweisen sie meiner Erfahrung nach immer nach kurzer Zeit, wie kompetent und sozial sie in Wirklichkeit sind (auch wenn es für uns krass aussieht oder zunächst laut wird).
"Du möchtest das gern haben, oder? Sieht so aus als ob du (das andere Kind) damit noch nicht fertig bist. Mh, das enttäuscht dich jetzt wiederum. (Innerlich bis 10 zählen und beide Kinder die Situation verdauen lassen - oft klären es die Kids allein oder erfinden sogar ein neues Spiel zusammen - falls doch nötig:) Mh, kann ich dir vielleicht etwas anderes anbieten so lange du wartest?" So wird die Integrität beider Kinder gewahrt, oder? 
Dabei dürfen sie dann noch über sich und andere in Beziehung lernen. 

So können Kinder teilen lernen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ohne Frust. Ohne Missgunst. Ohne Selbstverleugnung. Ohne Anspruchshaltung. 
 

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