Ein Artikel über das Reparieren muss eigentlich mit dem Weg - werfen beginnen. Mit einem von diesen großen grauen Müllsäcken, in die man manchmal alles schmeißen möchte. Alles, was in der Wohnung keinen Platz hat, kaputt ist, nicht mehr gebraucht wird und uns belastet. Im Durchschnittshaushalt einer vierköpfigen deutschen Familie findet sich viel davon: ausgeleierte Legosteine und zerfledderte Comicheftchen, veraltete Handys und Reifen mit Achter, platte Fußbälle und geköpfte Einhörner. All das könnte doch eigentlich einfach weg, oder?
Die Simplify-your-life-Minimalisten machen uns Mut: Wer sich nicht gleich trennen kann, macht lieber erst mal Häufchen. Einen für das Einhorn und alles andere Liebgewonnene, das man noch mal reparieren will. Einen für die Dinge, die man vielleicht doch noch verschenken oder verkaufen könnte. Und einen für jene Teile, die wirklich auf den Müll gehören. Leider wird gerade dieser letzte Haufen in Deutschland immer größer. Und das liegt auch daran, dass wir Weggeworfenes und Aussortiertes meist ziemlich schnell ersetzen durch neues Zeug, das sich dann früher oder später auch wieder als Müll ansammelt.
Im Jahr 2018 haben wir in unserem Land satte 417 Millionen Tonnen Müll produziert. Klar, darauf entfällt ein großer Teil Haushaltsmüll, genaugenommen 455 Kilo pro Einwohner. Aber auch jede Menge Sperrmüll: 187 Kilo pro Einwohner und Jahr. Jede Familie kann selber hochrechnen, was die große Müll-Waage für sie ganz persönlich anzeigen würde.
Genau: ach du Schreck!
Für uns alle liefert die Zeitreihe des Statistischen Bundesamtes ernüchternde Zahlen. Der jährliche Abfallberg wächst und wächst und wächst – seit 2006 um ordentliche 11,6 Prozent.
Eine Wende ist nicht in Sicht. Und ja, an dieser Stelle muss mal kurz die kulturpessimistische Keule rausgeholt werden: Leider haben wir uns zu einer Gesellschaft entwickelt, in der die Dinge keinen Wert mehr haben. Sie werden billig produziert (oft schon mit Sollbruchstelle und der Intention zum schnellen Kaputtgehen), benutzt und weggeschmissen. Ohne Rücksicht auf die Umwelt, ohne Wertschätzung für den einzelnen Gegenstand, ohne Blick auf unfaire Produktionsbedingungen. Ex und hopp eben.
Was dagegen hilft:
Nicht ständig wegwerfen und Neues kaufen. Sondern: mal was Altes retten. Genau das ist auch das Credo einer Repair-Bewegung, die sich in den vergangenen Jahren bei uns entwickelt hat. Und die ihren jüngsten Schub aus den Niederlanden bekam: Dort eröffnen seit einiger Zeit überall Repair-Cafés - als Protest gegen die Überfluss- und Wegwerfgesellschaft, in der kaum noch jemand in der Lage ist, einen Toaster oder ein kaputtes Fahrradlicht zu reparieren. Und in der gewerbliche Reparaturdienste oft teurer sind als neu kaufen, wenn das entscheidende Ersatzteil überhaupt erhältlich ist.
Im Repair-Café treffen sich (wenn mal kein Corona ist) Tüftler und Ökos, Junge und Alte, Könner und Anfänger, um Kaputtes wieder funktionsfähig zu machen und es so vor dem Wertstoffhof zu bewahren. Inzwischen profitiert die Bewegung stark von der Klimaschutzwelle, auf der auch Greta & Co surfen. Endlich finden auch Teenager und andere Coole, dass reparierte Dinge nicht nur muffig, alt und secondhand sind, sondern voll retro und mega upgecycelt.
Eine Riesenchance, denn die Kultur der Reparatur schlummert in uns allen, sie ist uralt. "Wenn man so will, ist sie sogar ein Konzept der Natur", sagt Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München und Autor (siehe Kasten rechts). Heckl ist außerdem Professor für Physik und denkt in großen Dimensionen. "Beschädigte Systeme werden in der lebenden Natur völlig selbstverständlich repariert. Denken wir nur an ein aufgeschürftes Knie: Wir reparieren uns einfach selbst, wenn wir uns verletzen." Und überhaupt: Die Sache mit der Reparatur beginne eigentlich schon mit dem Urknall und setze sich fort mit der Entstehung der Sterne und der Planeten. "Die Erde hätte sich ohne Reparatur vor rund vier Milliarden Jahren niemals bilden können, wir würden gar nicht existieren", sagt der Physiker und erzählt von Kristallen und Atomen, die nur dann zu brauchbarer Materie zusammenwachsen, wenn sie sich ständig selbst neu organisieren und reparieren.
Und natürlich ist auch die Menschheitsgeschichte geprägt von einer Kultur des Reparierens. Jahrtausendelang war es für die Menschen selbstverständlich, alles zu erhalten, was sie einmal geschaffen hatten. Ohne diese Haltung gäbe es keine technische Entwicklung. Wenn etwas nicht funktionierte, wurde es erforscht, zerlegt, verändert und neu zusammengesetzt. Aus all diesen ständigen Verbesserungen entstand technischer Fortschritt.
Aber brechen wir das Ganze herunter auf unseren eigenen kleinen Kosmos. Dass der Drang, Dinge zu reparieren, ganz tief in uns steckt, zeigen uns schon die Kleinsten. Kinder sind die geborenen Tüftler. Sie sind neugierige Forscher, akribische Sammler, kreative Erfinder. In jedem Ding sehen sie ein Geheimnis, wollen es verstehen und begreifen. Sie haben keine Angst davor, Dinge auseinanderzunehmen, im Gegenteil: : Je weiter sie vordringen, desto glücklicher sind sie.
Dabei muss die Reparatur nicht unbedingt zur vollen Funktionsfähigkeit zurückführen. "Allein schon die Suche nach einem Fehler bedeutet Fortschritt", findet Wolfgang Heckl und nimmt das Beispiel einer kaputten Fahrradlampe. "Warum brennt die Lampe nicht? Ist die Birne kaputt, der Stromkreis unterbrochen, der Dynamo defekt? Indem ich mich mit allen Möglichkeiten auseinandersetze, passiert ganz viel: Da geht es um Logik, das Prinzip von Ursache und Wirkung, analytisches Denken. Schön, wenn die Lampe hinterher wieder brennt – aber eigentlich ist das zweitrangig."
Wir ahnen schon: Reparieren ist mehr als bloß heil machen. Wolfgang Heckl bringt es so auf den Punkt: "Reparieren ist ein niedrigschwelliger Zugang zur Welterkenntnis."
Schauen wir uns das genauer an
Reparieren erklärt uns die Welt. Wer repariert, setzt sich mit den Dingen auseinander. Er nimmt sie in die Hand, dreht und wendet sie, versucht sie zu verstehen. Wie wichtig das Be-Greifen für die Entwicklung von Kindern ist, weiß man schon aus der Säuglingsforschung. Ist der Bauklotz hart oder weich, warm oder kalt? Welches Geräusch macht er, wenn er auf den Boden fällt? Splittert eine Ecke ab oder gibt es nur eine Macke? Das Gehirn eines Menschen kann nur dann optimal reifen und Abstraktionsfähigkeit entwickeln, wenn es schon im Babyalter möglichst viele taktile, dreidimensionale Erfahrungen macht. Dieses Prinzip des Lernens gilt ein Leben lang: Lernen funktioniert nur dann richtig gut, wenn man es auch praktisch, am besten manuell tut. Ganz nebenbei werden beim Schrauben, Basteln und Tüfteln auch Eigenschaften herausgekitzelt, die wir uns alle für unsere Kinder wünschen: Kreativität, Konzentrationsfähigkeit, Hartnäckigkeit, Neugierde.
Reparieren stärkt die Autonomie. "Selber machen!" Schon mal gehört? Kinder haben das Selbstvertrauen, alles selbst zu können. Gut so, wir sollten sie machen lassen. Denn beim Reparieren kann sich diese Überzeugung festigen. Fahrradkette wieder einspannen, Puppenbettchen reparieren, Regenschirm flicken – auch wenn die Dinge hinterher nicht aussehen wie neu, haben Kinder doch eines erfahren: Ich kann mir selber helfen! Ein Riesen-Schritt in Sachen Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit!
Reparieren schult die Achtsamkeit. Der Versuch der Reparatur führt nicht immer zum Erfolg. Es kann auch mal danebengehen, das gehört dazu. Trotzdem nimmt man etwas aus seinem Bemühen mit: die Wertschätzung für ein Ding oder ein Gerät, für seine Komplexität und die Menschen, die es erfunden und gebaut – oder die es uns irgendwann mal geschenkt haben. Oft hängen wir nämlich an Dingen, die vielleicht nicht mehr schön – aber doch mit Erinnerungen verbunden sind. Okay, das Einhorn hat keinen Kopf mehr – aber es ist doch von Tante Lizzy zur Geburt gewesen! Und Tante Lizzy, sie war einfach eine der besten. Hat immer zugehört, wenn …
Reparieren führt die Generationen zusammen. Oma weiß noch, wie man Socken stopft, und der verrentete Nachbar war als Jugendlicher der beste Moped-Schrauber weit und breit. Oft sind es die älteren Menschen in unserem Umfeld, die noch wissen, wie man Dinge repariert. Aber wozu Opa fragen, wenn auf Youtube Tausende Reparaturanleitungen jederzeit verfügbar sind? Weil es das Wir-Gefühl stärkt. Oma und Opa fühlen sich gebraucht und wertgeschätzt, denn sie haben Wissen und Fähigkeiten, die zwei Generationen später schon längst verloren gegangen sind. Und die Kinder gewinnen ein Vorbild. Denn das ist es, woran es häufig fehlt: jemand, der einem mit Zeit und Ruhe zeigt, wie es geht.
Reparieren macht glücklich. Wer jemals seinem geliebten Kuschelteddy eine neue Tatze angenäht oder nach langen Fummeleien endlich ein Rauschen aus dem Walkie Talkie hört, weiß: Reparieren macht glücklich. Es ist ein absolutes Hochgefühl, wenn es mit großer Mühe und den eigenen Händen gelungen ist, ein Ding zu retten oder zum Laufen zu bringen. Übrigens gilt das auch, wenn man anderen beim Reparieren hilft. Glücksforscher um den Psychologen und Harvard-Professor Daniel Gilbert haben in einer Studie die wichtigsten Regeln zum Glücklichwerden dargelegt - ganz oben auf der Liste: Kleinigkeiten wertschätzen und Menschen helfen. Reparieren kann beides. Denn es hat eben nicht nur mit Dingen, sondern auch sehr viel mit Menschen zu tun
Noch mehr gute Gründe fürs Reparieren findet ihr in Wolfgang Heckls Buch: Die Kultur der Reparatur, Goldmann, 8,99 Euro. Eine echte HorizontErweiterung!