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Geschwisterstreit "Schrecklich, meine Kinder streiten ständig!" Das kannst du tun

Zwei Mädchen streiten im Kinderzimmer um eine Tasche
© anoushkatoronto / Adobe Stock
Streit unter Geschwistern ist normal – und sogar gesund. Weil ständige Konflikte trotzdem anstrengend sind, haben wir die wichtigsten Tipps für dich, was du bei Geschwisterstreit tun kannst und wie du den Rivalitäten vorbeugst.

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In der Vorstellung war das alles so schön. Geschwister, die miteinander spielen, füreinander da sind, sich gegenseitig verteidigen und zusammen Quatsch machen. Im Alltag ist es manchmal nur Terror. Da wird sich plötzlich um genau das eine Spielzeugauto gestritten, das seit Wochen nur in der Ecke lag. Es wird mit dem Lineal vermessen, ob die beiden Teile des Kekses genau gleich groß sind. Wehe nicht! Schreien, Haare ziehen, treten, spucken, petzen – die Bandbreite dessen, was Familien mit Geschwisterkindern erleben (können), ist groß.

Natürlich gibt es geschickte Lösungen, wie du mit den Streitereien umgehst, sie schlichtest oder sogar vorbeugst. Du kannst Geschwisterliebe positiv beeinflussen. Zuvor ist es aber wichtig zu verstehen: Streit unter Geschwistern ist normal. Mehr noch, Geschwisterstreit ist nicht nur normal, sondern auch nützlich und in Maßen für die Seele gesund. Also der Reihe nach.

Wie viel Streit ist bei Geschwistern normal? 

Die Forschung bestätigt: Ständig streitende Geschwister sind normal. Alle, deren Kinder super miteinander auskommen: Glückwunsch. Für einen Großteil der Familien ist es jedoch ein regelmäßiger Kampf. Studien zeigen, dass Geschwister im Alter zwischen drei und sieben Jahren durchschnittlich 3,5 Mal pro Stunde in irgendeinen Konflikt geraten. Kinder zwischen zwei und vier Jahren streiten sogar rund sechs Mal pro Stunde – das sind alle zehn Minuten. Soweit, so beruhigend.

Warum Streit unter Geschwistern gesund ist

Der Streit hat auch einen Sinn. Konkurrenz und Konflikte sind wichtig, um soziale Kompetenz zu entwickeln. Sie sind sozusagen ein Trainingslager für die Persönlichkeit. Themen wie Rivalität, Eifersucht, Nähe, Versöhnung werden auf engstem Raum erlebt – ohne, dass man ihnen einfach so entfliehen könnte. Freundschaften kann man beenden, mit Geschwistern muss man zusammenleben und sich auseinandersetzen, jedenfalls bis zu einem bestimmten Alter. Das schult für das ganze Leben.

Geschwisterkinder können das psychische Wohlbefinden ihrer Brüder oder Schwestern steigern und sogar negative Folgen von Stress seitens der Eltern abfedern, zeigt eine Studie. In ihren Auseinandersetzungen lernen Kinder unter anderem:

  • Sich selbst zu behaupten, eigene Bedürfnisse sowie Grenzen zu erkennen und durchzusetzen.
  • Sich empathisch in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse ebenso zu berücksichtigen.
  • Die Fähigkeit, mit Frust umzugehen, spontane Impulse umzulenken und Bedürfnisse aufzuschieben.
  • Außerdem entwickeln Kinder in der Abgrenzung zu ihren Geschwistern ihre Individualität.
  • Sie lernen auch, wann es wichtig ist, sich durchzusetzen und wann sie nachgeben können, also Kompromisse zu schließen und so Konflikte zu lösen.

Warum streiten Geschwister – und worum geht es eigentlich?

Kinder streiten um Ressourcen – unter anderem um die Aufmerksamkeit der Eltern, Nahrung, Eigentum. Evolutionär gesehen war das wichtig zum Überleben. Sie konkurrieren darum, gut versorgt zu werden. Auch auf emotionaler Ebene. Und wenn sich da eines der Kinder im Mangel fühlt, wird plötzlich über die absurdesten Dinge gestritten. Dass die eigene Hälfte der Kiwi zu wenige Kerne hat, zum Beispiel.

Häufig geht es beim Streit gar nicht darum, wer jetzt den Becher mit der Biene bekommt, sondern um das dahinterstehende Thema "Wen hast du lieber?" oder "Gib mir deine Aufmerksamkeit!" Das, was sich womöglich in eurem Alltag zwischen den Kindern abspielt – Aggression, Trotz, Wut – sind sogenannte sekundäre Gefühle. Es ist hilfreich zu versuchen, die Emotionen zu sehen, die darunter liegen. Meistens sind das Trauer, Angst oder Verzweiflung. Auf die gilt es zu reagieren.

Die Ankunft eines Geschwisterchens weckt in deinem Kind eine Urangst. Die Sorge, nicht genug zu bekommen. Vielleicht hast du bereits von der sogenannten Entthronung gehört. Das Gefühl dieser Krise, in die das Kind gerät, lässt sich am besten an diesem Beispiel nachvollziehen: Wie würdest du dich fühlen, wenn dein:e Partner:in eine Zweitfrau oder einen Zweitmann nach Hause brächte und von dir verlangen würde, dass ihr euch gefälligst mögt und du dich nicht beklagst? Eben.

Negative Gefühle zulassen

Deine Kinder haben sich nicht ausgesucht, Geschwister zu bekommen. Erlaube es deinen Kindern, sich übereinander zu ärgern und auszusprechen, dass es anstrengend, blöd, frustrierend ist, ein Geschwisterkind zu haben. Wenn diese Gefühle da sein dürfen, entsteht Raum, sich aufeinander einzulassen, anstatt sich nur abzulehnen.

"Betrachtet die Geschwisterbeziehung als ein lebenslanges Projekt der Familie und die frühe Kindheit als das wichtigste Trainingsfeld", schreibt Nicola Schmidt in ihrem Buch "Geschwister als Team". Sie gibt zu bedenken, dass "Geschwister einander nicht lieben müssen: Das können wir nicht von ihnen verlangen. Sie sollen lediglich lernen, einander zu respektieren und anständig miteinander umzugehen – nicht mehr, aber auch nicht weniger." Wie also kannst du sie dabei begleiten?

Richtig Streiten – es geht um Lösungen, nicht um Schuld

Weil wir es selbst nicht anders gelernt haben, tendieren wir als Eltern dazu, im Streit als Detektiv:in und Richter:in aufzutreten, nach dem Schema "Wer hat angefangen?", "Wer ist Schuld?", welche Strafe folgt nun? "Wenn Eltern jedoch als Coachs auftreten, die den Kindern helfen, Lösungen zu finden – dann streiten die Kinder auf lange Sicht konstruktiver und weniger", so Nicola Schmidt.

Wenn du deine Kinder fragst "Habt ihr eine Idee, was wir jetzt machen können? Wie bekommen wir das hin?", vermittelst du ihnen, dass es nicht um Schuld geht, sondern um Konfliktlösung. Im Idealfall rufen deine Kinder irgendwann nicht mehr reflexhaft "Ich war’s nicht!", sondern sagen "Wir bekommen das selbst gelöst".

Das braucht natürlich sehr viel Geduld in den frühen Jahren. Denn mal ehrlich, sogar die meisten Erwachsenen haben noch nicht gelernt, lösungsorientiert zu Streiten.

Wie schlichtest du Geschwisterstreit?

Du kannst Geschwister streiten lassen, das gehört dazu. Kinder bis zum Beginn des Grundschulalters brauchen aber mehr Anleitung und Unterstützung dabei, ihre Konflikte zu lösen. Je älter deine Kinder werden, desto länger kannst du abwarten, bevor du einschreitest. Eine wichtige Regel: Sobald Gewalt im Spiel ist, musst du handeln und dazwischen gehen. Grundsätzlich kannst du folgendermaßen vorgehen:

  • Trenne deine Kinder räumlich so weit, dass sie einander nicht weh tun können, zum Beispiel, indem du dich dazwischensetzt.
  • Gehe auf Augenhöhe und lass dir in Ruhe nacheinander die Perspektive jedes Kindes erzählen. Fasse das Gehörte eventuell nochmal in Worte und benenne die Gefühle, die du wahrnimmst. Das hilft besonders, wenn deine Kinder noch klein sind. "Du bist traurig, weil Karl auf dein Bild gemalt hat und wünschst dir, er würde dich in Ruhe lassen." "Und du bist traurig, weil Emma beschäftigt ist, du aber viel lieber mit ihr spielen würdest."
  • Nimm beide Kinder tröstend in den Arm, sofern sie das zulassen.
  • Zeige deinen Kindern, dass du anerkennst, wie schwierig das Problem ist. Benennt das zu lösende Problem.
  • Dann sucht nach Lösungen. Oft haben die Kinder selbst gute Ideen, wenn man sie danach fragt und sie mit der Zeit Übung darin haben. Falls nicht, mache Lösungsvorschläge. Achte darauf, dass nicht ein Kind das Gefühl bekommt, den Kampf gewonnen oder verloren zu haben. Die Kinder sollen zusammenarbeiten, um eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Du vermittelst nur.
  • Wichtiger Tipp: Wende dich deinem rebellischen Kind genauso liebevoll zu wie dem angepassten, das weniger Ärger macht. Wenn dein Kind rebelliert, zeigt es dir damit auf seine (unbewusste) Weise nur, dass es dich braucht. Wende dich also wegen des schlechten Verhaltens nicht ab, das würde das Gefühl des Mangels eher verstärken – und damit den Streit.

Ideen für eine bessere Streitkultur

Diese Tipps helfen dir außerdem dabei, eine gute Streitkultur in der Familie zu etablieren:

  • Manchmal hilft ein Situationswechsel, um die überschäumenden Gefühle zu beruhigen. Wie wäre es mit einer Streit-Arena, einem speziellen Ort zu Hause, an dem ihr Diskussionen austragt? Wenn die Kinder das als spielerischen Umgang wahrnehmen, lassen sie sich womöglich darauf ein und fühlen sich dann auch freier zu sagen, was sie beschäftigt.
  • Übe mit deinen Kindern Strategien, die ihnen bei Wutanfällen helfen. Manchen Kindern hilft eine Wutecke oder eine Wutkiste mit Softbällen, an denen sie ihre Aggressionen rauslassen können. Hauptsache, es wird nichts unterdrückt und angestaut.

Vorbeugen ist besser als Nerven lassen – wie Geschwister ein Team werden

So wichtig Streit auch sein mag – als Eltern schreien wir innerlich (oder auch laut) "Ich kann nicht mehr! Ich will mal Harmonie!" Und es gibt tatsächlich einige Dinge, die du tun kannst – schon vorbeugend.

  • Betrachte deine Kinder individuell und vermeide Vergleiche. Sätze wie "Paul räumt immer so schön auf, und du bist so schmuddelig", schüren Konkurrenz statt Kooperation.
  • Versuche bewusst, deinen Kindern keine Etiketten aufzudrücken – die Einsichtige, der Störenfried, der Kluge, die Chaotische. Solche festen Rollen engen ein und führen zu Konflikten.
  • Versuche kleine Momente mit jeweils nur einem Kind einzuplanen. Selbst wenn es nur zehn Minuten sind, kann exklusive Zeit eine Wunderwaffe gegen Mangelgefühle sein.
  • Akzeptiere, dass du deine Kinder nie völlig gleich behandeln kannst – schon deshalb, weil jedes Kind etwas anderes braucht. Das eine viel Nähe, das andere Freiheit. Lenke deinen Fokus darauf, sie gerecht zu behandeln, anstatt gleich, jedes nach seinen Bedürfnissen.

Erscheint dir das alles extrem mühsam und frustrieren dich die winzigen Fortschritte oder Rückschritte? Verständlich. Vielleicht hilft dir der Gedanke: Die Geschwisterbeziehung ist oft die längste Beziehung des Lebens, sie besteht über den Tod der Elternteile hinaus. Es lohnt sich, in sie zu investieren. So gut du eben kannst.

Verwendete Quellen: starkekids.com, Danielle Graf und Katja Seide "Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Das Geschwisterbuch", Nicola Schmidt "Geschwister als Team", content.time.com, psychologytoday.com

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