Eine starke Bindung zu eurem Kind aufzubauen, ist nicht so schwierig, wie die Flut von Eltern-Ratgebern vermuten lässt. So gehören Stillen, Tragen und Familienbett eben nicht zwangsläufig dazu, um eine gute Bindung zum Baby aufzubauen. Die Verbreitung solcher Ideale versetzt viele Eltern in Stress.
Den Druck, den Eltern verspüren, bestätigt die Studie des Deutschen Jugendinstituts und der Hertie School. Sie beschreibt eine "Intensivierung der Elternschaft in Deutschland". Soll heißen: Es gibt einen Wandel, weg von autoritär-hierarchischen Familienstrukturen, hin zu einem kindzentrierten Erziehungsverhalten. So weit, so gut. Die Mehrheit der Eltern fühle sich aber durch die höheren Erwartungen an diese neue Rolle unter Druck. Eltern finden, Erziehung sei schwieriger geworden.
Doch was braucht es wirklich, um eine gute Bindung zu eurem Kind aufzubauen?
Der Schlüssel ist Feinfühligkeit im Umgang. Wenn euer Kind sich von euch wahrgenommen fühlt, stärkt das sein Urvertrauen. Dabei ist es nicht wichtig, dass ihr die kindlichen Bedürfnisse alle richtig deutet und erfüllt. Und schon gar nicht sollt ihr euch dabei selbst aufgeben. Was zählt, ist, dass ihr es versucht. Allein die Haltung, euer Kind begleiten zu wollen, wirkt Wunder. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Wir sind alle nur Menschen.
Wissenschaftler:innen haben belegt, dass ihr weniger feinfühlig auf euer Kind reagieren könnt, wenn euer Gehirn im chronischen Stressmodus ist. Deshalb ist Selbstfürsorge ebenfalls wichtig für eine bindungsorientierte Erziehung. Konkret heißt das:
Ihr braucht nachts euren Freiraum? Bitte sehr. Ein Familienbett ist kein Muss für eine gute Bindung. Ebenso gut könnt ihr euer Baby in seinem eigenen Bettchen liebevoll trösten und für es da sein. Eine Studie englischer Entwicklungspsycholog:innen zeigte, dass es keine Auswirkungen auf die Bindung zwischen Mutter und Kind habe, ob das Baby in den ersten sechs Monaten mit im Bett der Mutter schlafe.
Das Tragetuch killt euren Rücken? Ein Baby braucht nicht ständig Körperkontakt. Es kann im Kinderwagen geschoben werden. Wichtig ist einzig und allein, dass es zwischendurch immer wieder Geborgenheit erfährt.
Das Stillen klappt nicht, schmerzt, und macht dich wahnsinnig? Dein Baby kann sich ebenso geborgen fühlen, wenn du es liebevoll im Arm hältst, Blickkontakt herstellst und ihm das Fläschchen gibst.
Diese Balance aus Selbstfürsorge und Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse spielt nicht nur im Umgang mit Babys eine wichtige Rolle, sondern auch im Familienleben mit älteren Kindern. Bindungsaufbau ist nicht nach dem Babyjahr abgeschlossen, Bindung ist ein Prozess.
Wir haben sechs wesentliche Bindungsbedürfnisse zusammengetragen, auf die ihr eingehen könnt:
Getröstet werden
Begleitet euer Kind durch Stresssituationen. Schon allein eure Nähe wirkt beruhigend, das Kuschelhormon Oxytocin senkt den Stresspegel im Körper. Wenn ihr euer Kind durch Momente begleitet, in denen es sich wütend, verängstigt oder hilflos fühlt, lernt es, dass es schwierige Zeiten überstehen kann. Hilfreich ist es, wenn ihr alternative Bewältigungsstrategien aufzeigt, je nach Alter und Situation. Ihr könnt ein Buch vorlesen, ein Lied singen, mit dem Kind seine Wut in ein Kissen hauen. Probiert aus, was passt.
Gefühle zulassen
Emotionale Fähigkeiten entwickeln Kinder besonders gut durch Co-Regulation, das heißt, durch Begleitung der Eltern. Kinder werden von ihren Gefühlen regelrecht überwältigt. Es hilft, wenn ihr benennt, was gerade los ist – dadurch lernt es einzelne Emotionen kennen und unterscheiden. "Dein Turm ist kaputt, das macht dich gerade richtig wütend" oder "Ich sehe, dass du sehr aufgeregt bist". Seid mild zu euch selbst, wenn das nicht immer gelingt. Die meisten Eltern haben es in ihrer eigenen Kindheit nicht gelernt, Gefühle zu benennen und zu begleiten. Ihr leistet also Pionierarbeit, die ist herausfordernd.
Zuverlässigkeit
Eine bekannte, vorhersehbare Umgebung gibt Kindern Sicherheit. Das gleiche gilt für die Reaktionen und die Präsenz der Eltern. Verlässliche Eltern sind auch Vorbilder in punkto Verantwortung.
Ermutigung
Gebt eurem Kind immer wieder das Gefühl, dass es wertvoll ist. Zeigt ihm vor allem in schwierigen Zeiten, wenn es sich anstrengend verhält, dass ihr es in positivem Licht seht. So merkt es, dass es Vertrauen geschenkt bekommt und der momentane Rückschlag nur vorübergehend ist.
Spaß haben
Toben und Quatsch machen sind Ausdrucksformen der Liebe zu eurem Kind. Ihr müsst keine Rollenspiele mögen oder stundenlang Legotürme bauen, um gemeinsam Spiel und Spaß zu erleben. Auch zusammen Tanzen, sich Balgen, Verstecken spielen, eine Kissenschlacht oder Grimassen schneiden, sind bindungsfördernde Erfahrungen.
Grenzen erfahren
Klare Regeln, Grenzen und Zeitpläne geben Kindern Sicherheit. Jede Familie legt ihre eigenen Richtlinien fest, die eine mehr, die andere weniger. So erkennt euer Kind wiederkehrende Muster und bekommt Orientierung. Es lernt auch Kooperation und Frustrationstoleranz.
Denkt daran: Ihr müsst und könnt nicht immer alles richtig machen. Es wird sogenannte Bindungsbrüche geben, also Situationen, in denen ihr nicht besonders kindgerecht reagiert, ausrastet, überfordert seid, euch über euer eigenes Verhalten ärgert. Das gehört dazu und im besten Fall lernt euer Kind dadurch Resilienz. Wichtig ist nur, dass ihr euch eurem Kind danach baldmöglichst zuwendet, die Verbindung kann zu jeder Zeit wieder aufgenommen werden.
Der Einsatz lohnt sich: Eine Studie des Uniklinikums Saarland bestätigt einen positiven und langfristigen Einfluss einer guten Eltern-Kind-Bindung auf die sozialen Fähigkeiten des Kindes und seine Entwicklung im Allgemeinen.
Verwendete Quellen: psychologytoday.com, Studie „Bed sharing in the first 6 month“, Studie „Intensivierung der Elternschaft“, Studie „Maternal Bonding in Early Infancy Predicts Children’s Social Competences in Preschool Age”, mein-erziehungsratgeber.de