Das klingt jetzt erstmal härter als es damals in Wirklichkeit aussah, denn ich bin Jahrgang `75 und die blutige virtuelle Realität heutiger Kriegsspiele lag noch in schier unvorstellbarer Ferne. Ich schoss Stäbchen auf Pilzchen aus einem Quadrat mit einem Strich. Und dennoch war klar, was diese Pixel für eine Geschichte erzählten. Eine Geschichte, über die ich bis dato nicht weiter nachgedacht hatte, denn mir ging es lediglich um den Highscore. Mein Vater hingegen sponn die Geschichte weiter und sagte diesen einen prägenden Satz:
Dann verließ er wortlos den Raum und ich „zockte“ (was man damals noch daddeln nannte) weiter. Es war nicht dieser bedeutungsschwangere Moment, den man aus Filmen kennt. Ich habe nicht etwa mit zusammen gezogenen Augenbrauen und Tränen in den Augen auf den Bildschirm gestarrt, kurz darauf meinen C16 aus dem Fenster geworfen, um danach mein Leben zu ändern. Ich habe weitergespielt. Aber der Satz saß und ab diesem Augenblick sah ich selbst die abstrakteste Gewaltdarstellung mit völlig anderen Augen.
Nix da Netflix, Prime und Co. ...
Ich wuchs in einer Zeit auf, in der Filme, Musik und Computerspiele nicht so greifbar und sofort abrufbar waren wie heute. Bis ein Hollywood Film in Deutschland in die Kinos kam vergingen gut 4 Monate, bis er dann auf VHS erschien und man ihn in der Videothek ausleihen konnte, vergingen meist weitere 14 Monate, bis er endlich im Fernsehen ausgestrahlt wurde – meist Jahre (siehe "Zurück in die Zukunft"). Kauf-Kassetten, wie es sie erst in den 90ern geben sollte, waren undenkbar. Aber ich durfte mit meinem Vater in die Videothek unseres Dorfes (bis auch das irgendwann erst ab 18 Jahren möglich war). Ich werde den Geruch und dieses Kribbeln nie vergessen, wenn man sich für 2 Filme entscheiden musste, die man sich an den nächsten 2 Tagen „reinzog“.
Mein Vater erlaubte mir schon sehr früh Filme mit ihm zu schauen, die meinem Alter eigentlich nicht entsprachen. Aber ER sprach mit MIR über das, was in dem Streifen passiert und dass Charles Bronsons Rachefeldzug in „Death Wish“ keine Lösung für irgendein Problem darstellt. So redeten wir über die Dummheit der Selbstjustiz, die Grausamkeit der Todesstrafe und die Frage: Was ist eigentlich Gerechtigkeit? Wir schauten uns Rambo und Schwarzeneggerfilme an, zweifelten am Realismus dieser Darstellung und dieser Männlichkeit und ließen uns gleichzeitig von diesem ausgemachten Schwachsinn berieseln. Wir wussten um die Ungerechtigkeit dieser Gerechtigkeit und konnten sie dennoch „genießen“.
Und eine Sache tat ich nie, ich schaute mir keinen einzigen Film heimlich an (bis auf die Filme, die einen eigenen Raum in der Videothek hatten). Ich musste nicht mit immer brutaleren Geschichten und schlechten Raubkopien auf den Schulhöfen meiner Kindheit mit anderen Jungs konkurrieren. Ich war nie gewalttätig, oder habe mich geschlagen. Ich habe Filme konsumiert und sie danach seziert. Und dennoch konnte ich sie auf allen Ebenen genießen. Ich schaute Filme drei, vier, manche zehn mal. Ich weiß noch wie ich 1985 aus dem Kino kam und mich eine tiefe Traurigkeit erfasste, weil ich in Koblenz stand und nicht in Hill Valley, die gleich tiefe Traurigkeit, die ich 2 Jahre zuvor bereits empfunden hatte, als mir klar wurde, dass ich niemals ein Laserschwert führen und einen X-Wing Fighter fliegen werde.
Filme und Spiele sind nicht die Realität – darüber zu reden hilft!
Was hat sich geändert? Jedes Kind kann heute über das Internet Filme und Clips anschauen, die für sein Alter verboten sind. Das konnten wir auch. Freunde von mir hatten schon in der Grundschule Zugang zu Sex- und Gewaltfilmen. Allein die Vielfalt war geringer. Eltern sind heute auf eine ganz andere Art in der Pflicht. Abgesehen von Bilschirmzeiten und einer Inhalte kontrollierenden Sorgfalt , darf aber eins weiterhin nicht fehlen. Das Gespräch, die Auseinandersetzung mit Filmen und Spielen. Das Aufbrechen des Inhalts, der Moral und der Sprache. Damit ist vieles möglich. Ich habe meinen Sohn früh an die Scheinwelt des Films und der Serien herangeführt und auch er ist ein angstfreier, selbstbewusster, kritischer Film-Nerd wie sein Vater geworden, der friedlich und ausgeglichen und mit einer gewissen Coolness den Fortnites und Avengers von heute und den Tomb Raiders und Star Wars von damals begegnet.