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Persönlicher Bericht Wie uns ein Nachhaltigkeits-Coaching das schlechte Gewissen nahm

Frau erklärt einer Familie etwas
© Pixel-Shot / Shutterstock
Die Wälder brennen, die Gletscher schmelzen – und wir machen einfach so weiter? Kann nicht sein, sagte sich unsere Autorin Elisabeth ­Hussendörfer und buchte ein Nachhaltigkeits-Coaching für die ganze Familie in den eigenen vier Wänden. Bringt das was?

Keine Sorge, ich will euch nichts wegnehmen.“ Mit diesen Worten läutet Öko-Coachin Kerstin unser Get-Together ein. Unsere drei Jungs – Hannes, 9, Frieder, 9, und Luke, 13 – schauen irritiert. Weg­nehmen? Wieso das? Klar – woher sollten sie auch wissen, dass es sich heute unter anderem um den Verzicht drehen wird. Mein Mann Tom und ich haben uns schließlich bisher erfolgreich um das Thema Nachhaltigkeit gedrückt. Mal schieben wir das Alter der Kinder vor und dass sie vermutlich nur schwer verstehen können, dass pupsende Kühe „Treibhaus machen“. Mal drücken wir uns mit Schönreden: Wir machen es doch eigentlich gar nicht so schlecht. Bewohnen ein kleines Haus, haben die U-Bahn in Laufweite und sogar fürs Reisen zuletzt meist den Zug genommen. 

Geht’s eigentlich noch? Draußen tobt Fridays for Future, in Kalifornien brennen die Wälder, die Polkappen schmelzen, und wir stecken den Kopf in den Sand? Und diejenigen, die in diesem Land für Bildung zuständig sind, gleich mit? „Die ­Reli-Lehrerin hat gesagt, wir sollen die Schöpfung bewahren“, meinte Frieder auf meine Frage, ob solche Themen denn in der Schule besprochen würden. Aha. 

Raus aus der Komfortzone, rein ins karge Leben?

Kerstin ist zwar eigentlich Architektin, macht aber seit ein paar Jahren Öko-Coaching. „Für Nicht-Ökos“, wie sie auf ihrer Homepage betont. Das hat mir gefallen. Jetzt gefällt mir, dass sie gleich zu Beginn Druck rausnimmt. Denn genau das war natürlich eine Befürchtung gewesen: Dass wir es nach diesem Termin vielleicht nicht mehr ganz so gemütlich ­haben würden … 

„Wie bei einer richtigen Konferenz“, findet Hannes, was Papa Tom da vorbereitet hat: Ein Whiteboard lehnt auf einem Klappstuhl, Faserschreiber und Blöcke liegen bereit, Gläser gibt es und Apfelsaft. Luke berichtet zum Auftakt, was unsere kleine Vorbesprechung gestern ergeben hat und dass er „besser im Energiesparen“ werden will. Vorsichtiger mit dem Spielzeug umgehen, das hat Hannes’ Zwillingsbruder Frieder sich vorgenommen: „Das kommt sonst alles auf Schrottplätze, und die werden immer größer.“ Hannes nickt. 

„Hey, ihr seid echt weit“, sagt Kerstin und verrät den Kindern dann: „Das Allerwichtigste ist eigentlich, dass eure Eltern was tun. Nur sind Erwachsene ziemliche Gewohnheitstiere und mögen keine Veränderung. Aber vielleicht könnt ihr helfen?“ Jetzt kommt’s, denke ich und rechne mit jeder Menge komplizierter Tipps aus den Bereichen Dämmung, Heizung, Strom. 

Aber etwas anderes passiert: Kerstin lässt uns, lässt vor allem die Kinder mit Ideen kommen. „Wie wäre eine Liste, die wir an den Kühlschrank hängen?“, denkt Hannes laut. Ein Plan mit definierten Zuständigkeiten schwebt ihm vor, plus Punktekonto, um „was einlösen zu können – für einmal länger aufbleiben zum Beispiel“. Nette Idee ... So könnte man den beliebten Motivations-Klassiker abtun. Aber in meinem Inneren läuft ein anderer Film – und genau das erscheint mir mit einem Mal als der zentrale Punkt: Kein Mensch kann mal kurz allein die Welt retten. Die komplette Überforderung wäre das. Auch Weltrettung geht scheibchenweise und wenn viele Leute kleine Schritte tun. 

Weltretten muss auch ein bisschen Spaß machen 

Kinderhände halten Erde mit Pflanzen
© Tatevosian Yana

Kerstin schlägt vor, jetzt mal „festzuhalten“, wo wir als Familie stehen. Und wo wir hinwollen. „Frieder, magst du den Startpunkt einzeichnen?“ Macht er. „Wie bei einem Brettspiel“, findet Hannes. Gutes Stichwort. „Und was würde dann noch fehlen?“ Na klar, das Ziel. Und: das Dazwischen. „Wege gehen sich schließlich leichter, wenn man sie in Etappen macht, oder? „Lust auf einen Rundgang durch euer zu Hause?“, fragt Kerstin.

Frieder protokolliert, zunächst beim „Geräte-Check“. Gibt es Dinge, die Strom ziehen, obwohl sie nicht benutzt werden? Sehr gut: Kaffeemaschine und die Kaffeemühle hängen zusammen an einem An-/Ausschalter. Und der ist auf „Aus“. Anders sieht es in der Fernseh- und Radioecke im Wohnzimmer aus. Da leuchtet und blinkt es im Stand-by-Modus. Und das Radio dudelt sogar. Beherzt drückt Hannes den Ausschalter. Eine gute Idee? Kerstin findet das nicht: „Jetzt können wir die schöne Musik nicht mehr hören. Schade.“ Denn: „Wenn ihr euch ständig Dinge verbietet, seid ihr vom Stromsparen bestimmt bald total genervt.“ Besser: „Reduziert den Bullshit-Anteil.“ Den Ausdruck findet Frieder cool. Einen Stock höher, an Lukes Schreibtisch, kann das Ganze dann auch gleich konkretisiert werden. Den PC für die Schule nutzen? Oder auch mal fürs virtuelle Lieblings-Spiel? Okay, findet Kerstin. Bullshit sei hingegen planloses Surfen. Und dann erklärt sie, dass das Internet mehr CO2-Emissionen verursacht als der gesamte globale zivile Flugverkehr. 

Weiter geht’s nach nebenan, ins zweitkleinste Zimmer des Hauses: „Ordentlich komprimiert bei euch, Hannes und Frieder.“ Daumen rauf, weil: „Auf die Art braucht ihr nur die Hälfte der Heizungsenergie, des Stroms und die Hälfte der Bücher.“ Hab ich nie drüber nachgedacht, muss ich zugeben – meine Jungs sind Zwillinge, die machen einfach viel zusammen. Auch wohnen. 

Aber bringen die paar Einheiten hier und die paar Kilowattstunden da wirklich was?, ziehe ich Kerstin in einem geeigneten Moment fragend zur Seite. Und bekomme eine erfrischend ehrliche Antwort: Die ökologisch großen Stellschrauben dürften andere sein. Jedoch: „Auch Stellschrauben sind letztlich immer nur Etappen“, sagt Kerstin. Entscheidend sei der Antrieb – und dass wir in Richtung Zu­friedenheit unterwegs seien. Ökologisches Verhalten müsse sich daher auf jeden Fall auch gut anfühlen. 

Kann ich bestätigen, gerade wenn ich an den zuletzt so oft in den Sand gesteckten Kopf denke, denn mit dem ging es mir gar nicht gut. 

Was ist cool? Neue Maßstäbe müssen her

Klar, sagt Kerstin, der es offensichtlich fernliegt zu moralisieren. Lieber scheint sie aufgreifen und bestärken zu wollen. Wie jetzt, als sie bei Tisch beiläufig eine anerkennende Bemerkung über die Flicken auf Hannes’ Jeans macht. „Flicken sind cool, damit werden die Hosen stabiler“, kommt es von meinem Neunjährigen zurück. Echt jetzt? Die Dinger sind sogar ein Upgrade? Und ich hatte mit jedem durchgescheuerten Beinkleid erneut mit mir gerungen: Wirklich flicken, wegen der paar Euro, die man am Ende spart? Oder lieber doch gleich neu kaufen? Jetzt scheine ich bei unserer Trainerin ein Herzensthema getroffen zu haben. Und das verstehen nach einem kleinen Exkurs sogar Neunjährige: Jeans sind aus Baumwolle, und die wächst weit weg. Und die Fabriken sind oft noch weiter weg. „Bis so eine Hose bei euch im Kleiderschrank liegt, haben Transportschiffe viel Dreck in die Atmosphäre gepustet, viel Natur kaputt gemacht also.“ Und die ist ja bekanntlich unbezahlbar. „Dann müsste so eine neue Jeans ja eigentlich viel, viel teurer sein!“ Du sagst es, Frieder! Und was sagt Hannes? Klar: „So eine Hose ist eine Weltanschauung.“ 

Und dann, nach der Pause, geht’s ein letztes Mal an die Arbeit. Frieder überträgt die gefundenen „Zwischenschritte“ aufs Poster. „Licht aus“, steht da jetzt zum Beispiel oder „Keine Plastikpackungen“. Das hat Hannes geschrieben, denn Plastik landet im Meer bei Tieren, die es fressen, und miniklein auch in unseren eigenen Körpern, haben die Kinder bei Kerstin gelernt. Lego ist aber „schon okay“, befinden sie, damit spielen sie schließlich jahrelang. Hefte mit den Plastik-Gimmicks dagegen sollen künftig genau wie Tütchen mit Preisen bei Kindergeburtstagen („Das Zeug liegt sowieso nur rum“) auf den Index. 

„Gemüse-Abo prüfen“, schreibe ich dazu. Denn, klar, saisonal und regional kaufen ist besser als im Winter Blaubeeren aus Peru. Allerdings bin ich noch nicht ganz überzeugt: Fehlen mit so einer Bio-Kiste nicht auch Spontaneität und Wahlfreiheit in der Küche? „Dachte ich auch erst“, gibt Kerstin zu. Und erzählt von der Herausforderung, im Winter schwerpunktmäßig mit Kohl zu kochen. Dann aber hätte sie gelernt zu variieren. Kohlsalat, Kohl gedünstet, Kohl-Quiche. „Am Ende war der Verzicht mehr Gewinn“, meint Kerstin, auch weil saisonal frischer sei und weil sie beim Einkaufen jetzt weniger schleppen müsste. Stimmt, daran hatte ich gar nicht gedacht. 

Denkanstöße auf Augenhöhe

Kinder vor Windrändern
© Sharomka / Shutterstock

Gehen wir raus? Für die Jungs ist klar, wie es weitergeht, als Kerstin gegangen ist. Zwei wählen Bogenschießen, einer Radeln. Aber erst müssen die Reifen ordentlich aufgepumpt werden. Schlappe Reifen gleich schneller Platten gleich Schlauchwechsel gleich mehr Müll, konstatiert Hannes, so ganz ohne in Aussicht gestellte Belohnung übrigens. Für mich selbst das größte Geschenk: dass wir jetzt alle sensibilisiert sind. Und dass dieses diffuse Sich-schlecht-Fühlen und Verdrängen bei mir weg ist. Stattdessen habe ich jetzt das Wissen und den Drive, um künftig bewusst entscheiden zu können. Mal dagegen, mal dafür: Gegen Folie bei den Schulbroten zum Beispiel und für wiederverwendbare Edelstahldosen oder Bienenwachstücher zum Einwickeln. Gegen das ständige Mama-Taxi zum Sportverein und für mehr Radfahren. Gegen Atomstrom und für den lang aufgeschobenen Wechsel zu einem Ökostromanbieter. Aber auch: für Kuhpupse. Wir haben nämlich drei Katzen. Die fressen Fleisch, und die Produktion ist gar nicht gut fürs Klima. Doch auch das habe ich gelernt: Beim Weltretten muss man Prioritäten setzen. Sonst fängt man gar nicht erst an.

Die Stuttgarterin Kerstin Mayer, Architektin und selbst ernannte „Öko-Tante“, berät Ökos und Nicht-Ökos mit ihrem „Laboratorium für Nachhaltigkeit“. Buchbar sind verschiedene Kurse, mal für Selbstlerner (online), mal inklusive individueller Begleitung vor Ort. Kosten: 192 bis 588 Euro. www.laboratorium-nachhaltigkeit.de

ELTERN

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