Synchronschwimmer
Bis zur Geburt unseres Sohnes waren mein Mann und ich ein eingespieltes Team. Wie Synchronschwimmer bewegten wir uns durch den Alltag, paddelten gemeinsam durch Stromschnellen wie Steuererklärung und Frühjahrsputz. Ich weiß von meinem Mann, dass er lieber einen Berg Wäsche aufhängt als drei Teller abzuspülen und Markus weiß, dass ich lieber zwei Stunden bügle, als eine Stunde am Herd zu stehen. Unser Alltag war organisiert, die Disziplinen verteilt. Wir hatten das Gefühl, gut klar zu kommen und freuten uns riesig, als sich ein neuer Sportsfreund ankündigte.
Verlierer
Aber erst mit Tims Geburt realisierten wir, dass unsere Teamfähigkeit morgens um halb sieben, wenn unser Sohn beschließt, den Tag zu beginnen, so gut wie nicht vorhanden ist. Dann liegen zwei Egoisten nebeneinander im Bett, die sich tot stellen: Der erste, der sich bewegt, muss aufstehen. Am Wochenende saß dann einer von uns ab sieben zusammen mit Tim am Frühstückstisch. An solchen Tagen fühlte man sich nicht wie eine Familie, sondern wie ein Verlierer. Wenn der andere dann gegen 10 Uhr ausgeschlafen aus dem Bett kam, war derjenige der "Frühschicht" hatte, schon wieder müde.
Fehler
Unser größter Fehler war: Wir wollten unsere Spielregeln nicht ändern, wollten so weiterleben wie zuvor - nur mit Kind. Mit viel Willensstärke und noch mehr Egoismus gelang uns das fast eineinhalb Jahre lang. Aktionen wie: „Ich muss in der Stadt noch Fotos abholen, in den tollen Bio-Laden, zum Bäcker am anderen Ende des Viertels und ein paar neue Schuhe brauche ich auch noch“, waren normal. Früher ging das ja auch im Handumdrehen, warum sollte es mit Tim nicht mehr klappen? Aber mit Kinderkarre samt gelangweiltem Kleinkind waren diese Touren eine Tortour für alle Beteiligten.
Um mein Trainingsziel dennoch zu erreichen, verschob ich mein Hochleistungs-Shopping auf Samstag, wenn Markus zuhause war. Jetzt frühstückten wir nicht mal mehr zusammen, jetzt verbrachten wir gleich das halbe Wochenende getrennt. Ein Gefühl, was es heißt, eine Familie zu sein, stellte sich in dieser Zeit nur sehr selten ein.
Ich bin mir nicht sicher, ob Tim unter unserem unsportlichen Verhalten gelitten hat. Wir waren für ihn da, spielten, tobten, gaben ihm unserer ganze Liebe - aber oft nur wechselseitig. Während ich die Küche aufräumte, baute Markus mit Tim eine Lego-Rutsche. Wenn ich Tim ins Bett brachte, kam Markus schnell vor dem Beginn der Abendnachrichten ins Kinderzimmer und gab seinem Sohn einen Gute-Nacht-Kuss. Wie Staffelläufer gaben wir uns gegenseitig die Aufgaben in die Hand, ohne darüber nachzudenken, ob das unsere Vorstellung von Familienleben war.
Spielregeln ändern
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem wir beschlossen, aus uns Einzelkämpfern endlich eine Mannschaft zu bilden. Es war wieder einer dieser Alleinerziehenden-Frühstücks-Morgen. Ich hatte Tim schon angezogen, als Markus noch im Bademantel und mit verschlafenen Augen vor seinem kalten Frühstücksei saß. Die Sonne schien, und wir beschlossen, gemeinsam spazieren zu gehen. Drei Stunden waren wir unterwegs, viel länger als wir unserem Sohn zugetraut hatten, durchzuhalten.
Während Tim aus Tannenzapfen Wichtelhäuschen baute, unterhielten wir uns über unsere Vision von Familienleben: Wie wir uns eine Familie vorstellen, was wir gerne zusammen unternehmen würden, wo unsere persönlichen Bedürfnisse liegen und was als Freiraum möglich ist - und was als unfair gilt.
Seitdem haben wir ein neues Trainingsziel: Wir haben uns vorgenommen, den Spagat zwischen Wichtelhäusern und Wunschvorstellungen, zwischen dem neuen Leben zu dritt und den alten Bedürfnissen zu schaffen. Bei uns sollte es keinen Frühstücks-Frust mehr geben, sondern Fairplay.
Neues Leben zu dritt
Um ein Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Mannschaft zu erreichen, müssen selbst Spitzensportler ihr Ego bei Seite schieben können - wir arbeiten da gerade auch dran. Bei uns fängt das am Frühstückstisch an und hört beim abendlichen Ins-Bett-Bringen auf: Wenn unser Sohn jetzt morgens Wecker spielt, stehen wir gemeinsam auf. Während einer von uns mit Tim zum Bäcker geht, deckt der andere den Frühstückstisch. Gegen 10 Uhr ist die komplette Mannschaft bereit, den Tag für sich zu entdecken.
Wir haben auch ein neues Abend-Ritual eingeführt: So oft es geht, bringen wir unseren Kleinen jetzt gemeinsam ins Bett. Uns egal, ob um 19 Uhr die Welt von den Nachrichten des Tages erfährt - wir entdecken zusammen mit Tim in seinen Bilderbüchern immer wieder neue Kleinigkeiten. Und danach regelt unser Sohn die Arbeitsverteilung: Papa ist fürs Zähneputzen zuständig und Mama muss singen. Manchmal auch umgekehrt. Für viele andere Familien ist das normaler Alltag, für uns ist es wie ein olympischer Erfolg, auf den wir richtig stolz sind.
Experten-Interview zum Thema
Warum Paare oft Schwierigkeiten haben, als Familie zusammenzuwachsen, darüber sprachen wir mit dem Münchner Diplom-Psychologen und Familientherapeuten Jörg Zerban:
Warum kommt es mit der Geburt eines Kindes häufig zu einer Krise zwischen den Partnern?
Ein Kind bedeutet eine völlige Veränderung in der Paarbeziehung. Denn mit dem Kind kommt eine neue Ebene hinzu: Die Elternebene, die sehr dominant ist und das "alte Leben" enorm einschränkt. Die Partner erleben das oft sehr unterschiedlich: Männer fühlen sich emotional zurückgesetzt, Frauen von den neuen Belastungen eher überfordert.
Warum ist es schwierig, für Familien zusammenzuwachsen?
Mit der neuen Aufgabe bricht eine enorme Belastung über die Eltern herein. Die meisten Eltern würden im Hintergrund jemanden benötigen, der sie unterstützt und entlastet, wie beispielsweise Familienangehörige und Freunde.
Sollte man Unterstützung auch einfordern?
Das Schöne ist, dass die Geburt eines Kindes die ganze Familie hellhörig und hilfsbereit macht. Aber Eltern müssen sich auch im Klaren darüber sein, was sie brauchen: Möchten sie morgens länger schlafen oder abends gemeinsam ausgehen, dann könnte das Kind am Wochenende, vielleicht mal bei den Großeltern übernachten. Wichtig ist, seine Bedürfnisse ganz klar auszudrücken, dann ist die Chance groß, auch Unterstützung zu bekommen.
Viele Paare neigen zur Aufgabenteilung ...
Das ist normal: Einer muss sich ums Kind kümmern, der andere übernimmt Außenaufgaben. Trotzdem kann man immer noch vieles gemeinsam machen. Viele Eltern nehmen ihre Kinder überallhin mit.
Und trotzdem sind die Ressourcen bei Eltern oft aufgebraucht...
Man muss auch auf sich achten: Der Gang zum Frisör, um sich als Frau wieder schön zu fühlen, ist wichtig. Toll ist es, wenn der Partner einem das ermöglicht. Oder wie Väter froh sind, mal wieder eine Nacht durchzuschlafen. Alles ist gut, was dem anderen ein Aufladen seiner Ressourcen ermöglicht - es sollte aber in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Steht das eigene Ego vielen Eltern im Wege?
Manche Paare haben ein Problem damit, innerlich dem Wandel zuzustimmen, den die Geburt eines Kindes markiert. Es ist eine wunderbare Eigenschaft, wenn man sein Ego auch mal hintanstellen kann und es ist im Familienleben sicherlich auch manchmal nötig. Aber man darf sich dabei nicht aufgeben, denn das kann sich rächen. Es kann dann passieren, dass das Gleichgewicht von Geben und Nehmen in ein großes Missverhältnis gerät. Am Ende stehen Vorwürfe, wie: "Für dich habe ich doch damals alles aufgegeben."
Ist es überhaupt möglich, so weiterzuleben wie zuvor - nur mit Kind?
Nein. Die Geburt eines Kindes markiert einen Schritt in der Partnerschaft, bei dem es kein Zurück gibt. Oft wird der "Familienzustand" aber als Ausnahmesituation erlebt oder als Bewährungsprobe.
Was würden Sie als Psychologe und Vater eines 6jährigen Sohnes anderen Familien raten?
Ganz wichtig ist, die Paarebene wieder zu entdecken. Deshalb rate ich Paaren zu gemeinsamen Unternehmungen, die sie schon vor der Geburt des Kindes gerne gemacht haben. Wenn ein Paar zum ersten Mal seit ein oder zwei Jahren wieder alleine Abends zum Essen geht, fühlt sich das etwas schräg und fremd an. Oft erschrecken die Paare auch davor, wie weit sie sich voneinander entfernt haben. Aber ich kann alle nur ermutigen, diesen Schritt zu tun. So kommt man sich wieder näher.
Sollten Paare noch mehr miteinander reden?
Reden alleine reicht nicht, wenn die Liebe für den anderen nicht mehr da ist. Wichtig ist, die Liebe für den anderen wieder in sich zu spüren und sie dem Partner auch spüren zu lassen. Das kann in einem Gespräch sein, aber auch durch zärtliche Berührungen oder durch eine kleine, liebevolle Überraschung.