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Kindheit in Olympien

Groß werden, wo einst olympische Sportler wohnten: Eltern.de-Redakteurin Margarete Arlamowski erzählt von ihrer Kindheit im Münchner Olympiadorf.

Ich bin weder asozial noch kriminell. Und das, obwohl ich in einem olympischen Dorf aufgewachsen bin.

Viele Menschen denken ja, dass in ausrangierten olympischen Dörfern nur zweifelhafte Gestalten leben. Schließlich sind die Wohnhäuser dort schlichte Bauwerke, in kurzer Zeit, für wenig Geld hochgezogen, weitab vom Stadtzentrum gelegen. Und wenn die Olympischen Spiele vorbei sind, verkommen sie meist zum sozialen Brennpunkt einer Stadt.

Von der Bauwüste zur Oase für Kinder

So drohte auch das Olympiadorf in München 1972 zu einer Geisterstadt mit Ghetto-Atmosphäre zu werden. Viele der Wohnungen, die die Stadt nach den Spielen günstig anbot, standen lange leer. Wo einst olympischer Geist wehte, schien sich eine Betonwüste auszubreiten.

Doch bald beschlossen die Bewohner: Unser Dorf soll schöner werden. Sie bepflanzten die Terrassen und Gärten und gründeten einen Kulturverein.

Ich war drei Jahre alt, als wir 1974 in die Straßbergerstraße zogen. Sie war benannt nach Josef Straßberger, einem vielfachen Europa- und Weltmeister im Gewichtheben der dreißiger Jahre.

Jeder Straße war eine Röhre in einer bestimmten Farbe zugeordnet, die ähnlich einer Pipeline auf Stelzen den Weg weist.

Das Olympiadorf war eine ziemlich unabhängige städtische Einheit, die auch ohne das restliche München funktionieren konnte: Wir mussten kaum das Dorf verlassen. Es gab Läden, Restaurants, Kirchen, Kino, Kindergarten, Ärzte

Entlang dieser Straßen standen acht- bis zehngeschossige Häuser, deren terrassenartige Balkone nach Süden zur Sonne zeigen. So hatte jeder Bewohner einen Mini-Garten.

An die Olympischen Spiele selbst erinnerte uns eine Tafel, auf der stand, wo welcher Spieler während des Wettbewerbs gewohnt hat. Und natürlich die Gedenktafel in der Connolystraße, in der die israelischen Sportler während der Spiele Opfer eines Anschlags der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" wurden.

Zwischen diesen Häusern führten schmale Wege über Treppen und Rampen zu kleineren Reihenhäusern und Grünflächen mit Spielplätzen und Brunnenanlagen. Die Brunnen eigneten sich prima, um sich abzukühlen oder Papierschiffchen auf eine weite Reise zu schicken. Und wenn mal keine Freundin zum Gummihüpfen da war, dann spannte ich mein Gummiband einfach um die Laternen.

Von außen war unser Dorf abweisend und kalt. Im Inneren jedoch blühte und grünte es jetzt. Ich fühlte mich wie in einer Ferienanlage mit dem Olympiapark vor der Tür. Für mich und die anderen Kinder war das Dorf mitten in der Stadt ideal.

In den verwinkelten Gassen spielten wir Verstecken oder Räuber und Gendarm oft bis in die Abendstunden.

Die Autos fahren unterirdisch

Sogar die Autos fuhren hier unterirdisch, und wir konnten ohne Gefahr auf der Straße spielen. Nach der Schule badeten wir in dem kleinen künstlich angelegten Nadisee, im Winter lernte ich dort Schlittschuhlaufen.

Multikulti und Pflanzenbörse

Schon damals waren die Nationalitäten und Altersgruppen sehr gemischt. Familien, Senioren und Studenten aus allen Ländern der Welt lebten und leben hier.

Trotzdem kommt es nur selten zu Konflikten, im Gegenteil. Die Dorfgemeinschaft organisiert sich in Vereinen (z.B. "Dorfsenioren e.V.") und hilft sich. Von einer Pflanzenbörse bis hin zu gegenseitiger Kinderbetreuung. 2001 wurde der gesamte Olympiapark einschließlich Olympiadorf unter Denkmalschutz gestellt.

Dorfleben mit Studenten

Heute wohnen im Olympiadorf etwa 10 000 Menschen. Daneben, im früheren Olympischen Dorf der Sportlerinnen, stehen die bunt bemalten Bungalows für etwa 2000 Studenten. Ich zog während des Studiums in eine typische Münchner Altbauwohnung, aber bis heute vermisse ich den Charme des Dorfes. Doch vielleicht komme ich bald wieder. Spätestens, wenn ich Kinder habe.

Geschichte gefällig? Alle Olympischen Dörfer

1932 Los Angeles: Erstmals in der Geschichte der Olympischen Spiele wurde ein Olympisches Dorf für die männlichen Athleten gebaut. Den Frauen (auch den Athletinnen) war der Zugang verwehrt; sie waren in Hotels untergebracht. >> mehr

1936 Berlin: Dem Beispiel Los Angeles folgend, wurde auch in Berlin auf dem Döberitzer Feld ein olympisches Dorf gebaut. mehr: >> Lostplaces.de, >> Historia-elstal.de

1948 London: Dort gab es kein olympisches Dorf. Die Athleten waren in 21 Camps in und um London verteilt.

1952 Helsinki: Der sowjetischen Mannschaft wurde eine ungewöhnliche Ausnahmegenehmigung zuteil. Zusammen mit den Teams aus den Ostblockländern Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien und der Tschechoslowakei durfte sie in einem eigenen olympischen Dorf wohnen.

1956 Melbourne: Alle Sportstätten waren innerhalb von 30 Minuten vom Olympischen Dorf zu erreichen. >> mehr

1960 Rom: Olympisches Dorf am Foro Italico (Adalberto Libera, Vittorio Cafiero u. a.): 35 Hektar (ha) Gesamtfläche, davon 16 ha Grünzone und 7 ha Wohnbebauung für 6.500 Menschen.

1968 Mexico City: >> mehr hier

1972 München: mehr unter >> www.olympiadorf.de

1976 Montreal: Ein Eindruck >> hier, ein weiterer >> hier.

1988 Seoul: Etwa 15 km südöstlich des Stadtzentrums von Seoul liegt das olympische Dorf der Sommerspiele 1988. Es entstand im Rahmen eines Stadtentwicklungsplans, der die Schaffung eines neuen metropolitanen Zentrums am Stadtrand von Seoul zum Ziel hatte. Von der U-Bahnstation "Olympic Park" aus gelangt man auf den Hauptplatz des Dorfes, der von einem dreigeschossigen gläsernen Einkaufs- und Servicecenter wie von einem Schutzwall umgeben ist.

1992 Barcelona: >> mehr hier oder >> hier.

2000 Sydney: Zum Olympiagelände hin ist das Dorf mit vier- bis fünfgeschossigen Appartementhäusern gesäumt. Der Kern des Dorfes besteht hingegen aus kompakten Einfamilienhäusern, die alle auf den gleichen Gestaltungselementen aufbauen, deren Materialität, Anordnung und Farbe variieren. Bei der Planung des Dorfes wurde mit Greenpeace zusammengearbeitet. Angeblich ist es der weltweit größte mit Solarstrom versorgte Stadtteil.
>> mehr

2004 Athen: Im Olympischen Dorf werden während der Olympischen Spiele 16.000 und während der Paralympischen Spiele 6.000 Sportlerinnen und Sportler sowie Betreuer untergebracht. Mehr lesen Sie bei >> Brigitte.de, zur offiziellen Website geht's >> hier.

2008 Peking: Einen Vorgeschmack auf das erste chinesische Dorf finden Sie >> hier.

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