Verständnis fördern„Papa, warum trägt der Mann ein Kleid?“ Wie wir mit Kindern über unterschiedliche Kulturen sprechen können
Kinder stehen anderen Menschen unvoreingenommen gegenüber. Sie bemerken aber auch, wenn jemand anders aussieht oder sich anders verhält als sie selbst. Und dann kommen neugierige Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten sind. Wir haben Tipps für euch zusammengetragen, wie ihr mit euren Kindern altersgerecht über unterschiedliche Kulturen und Lebensstandards sprechen könnt.

Kinder blicken zunächst wertungsfrei auf andere Menschen, deren Herkunft, Sprache, Glauben – oder einfach nur darauf, wie sie sich anziehen. Je älter sie werden, umso mehr nehmen sie aber die Wertungen aus ihrem Umfeld wahr. Vor allem Wertungen, die aus der eigenen Familie kommen. Dadurch merken sie dann, ob Menschen aus anderen Lebenssituationen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Rituale unterschiedlich angesehen werden. Diese Wertungen übernehmen Kinder dann in ihr Unterbewusstsein.
Deshalb ist es so wichtig, wie Eltern mit ihren Kindern über unterschiedliche Kulturen und Lebensstandards sprechen. Wie dies aussehen kann, hängt natürlich auch vom Alter des Kindes ab. Jüngeren Kindern können Eltern erst mal Grundwerte vermitteln, Situationen in einfacher Sprache erklären. Mit älteren Kindern lassen sich auch schon schwierigere Themen differenzierter besprechen.
In unserer Bilderstrecke findet ihr Ideen zur interkulturellen Kommunikation mit Kindern.

Diskriminierende Floskeln und Kinderlieder verbannen
Um mit den eigenen Kindern differenziert über kulturelle Unterschiede sprechen zu können, ist es wichtig, dass sich Eltern zuallererst über ihre eigene Sozialisierung bewusst werden und diese kritisch hinterfragen. Viele Redewendungen, Kinderlieder und altmodischen Floskeln, mit denen manche Eltern selbst großgeworden sind und denen sie vielleicht keine große Tragweite beigemessen haben, sind oft tief im Unterbewusstsein verankert und können unbeabsichtigt großen Schaden anrichten. Diese verwurzelten Vorurteile zu begreifen und dann bewusst abzulegen, ist ein erster notwendiger Schritt zu einer weltoffenen Grundhaltung, die dann die eigenen Kinder übernehmen.

Unterschiede wahrnehmen, Gemeinsamkeiten betonen
Das kann auf unterschiedlichste Weise geschehen. Ein Beispiel: In manchen Ländern mit einem großen Migrationsanteil, wie Australien, werden bereits alle unterschiedlichen Feiertage in der Kita zelebriert. Kein Hintergrund wird ausgeschlossen, keiner speziell hervorgehoben. Ob das Holi-Festival, bei dem sich die Kinder spielerisch bunt mit Farben bewerfen dürfen, dem Weihnachtsfest, bei dem kurz vor den Ferien Santa vorbeischaut oder Eid, dem Fest des Fastenbrechens, zu dem besondere Aktivitäten stattfinden. Alle Kinder lernen etwas voneinander und keines fühlt sich besser oder weniger wert als das andere.
In Deutschland, wo diese Praxis in Kitas und Schulen eher unüblich ist, können Eltern mit ihren Kindern dennoch über diese Feiertage sprechen. Es gibt auch schöne Bücher zum Thema Weltreligionen, unter anderem dieses hier: „Das große Familienbuch der Feste und Bräuche“ (ab fünf Jahren, 24,90 EUR, ISBN: 9783491380714), empfohlen vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Und Feiertage sind natürlich nur ein Vorschlag, wie ihr Unterschiede und Gemeinsamkeiten besprechen könnt. Andere mögliche Themen sind unterschiedliche Familienrituale oder Kleidungsstile.

Gemeinsam Bücher lesen, Toleranz fördern
Ein wichtiges Hilfsmittel für Eltern, die mit ihren Kindern über unterschiedliche Kulturen und Lebensstandards sprechen möchten, sind Bücher. Es gibt etwas für jedes Alter. Hier kommt eine kleine Auswahl:
- Für die ganz Kleinen: „Sooo viele Kinder: Ein Wimmelbilderbuch über die Einzigartigkeit kindlicher Gefühle.“ (ab zwei Jahren, 11 EUR, ISBN: 9783931067960) oder „Einer mehr“ (ab zwei Jahren, 12,90 EUR, ISBN: 9783779503354).
- Für Kinder ab drei Jahren: „Du gehörst dazu: Das große Buch der Familien“ (14,90 EUR, ISBN: 9783737364058) oder „Groß, Klein, Dick, Dünn. Ich mag mich wie ich bin: Ein Buch mit phantasievollen Spielelementen“ (gebraucht ab 22,08 EUR, ISBN: 9783522300445).
- Für Kinder ab sechs Jahren: „Kinder aus aller Welt“ (14,95 EUR, ISBN: 9783831032143), „Am Tag, als Saída zu uns kam“ (15,90 EUR, ISBN: 9783779505402) oder „Little People, Big Dreams: Rosa Parks“ (13,95 EUR, ISBN: 9783458177937).
- Für ältere Kinder: „Alle gegen Esra“ (5 EUR, ISBN: 9783401027937) oder „Wo kommt das her? - Vom Rohstoff zu T-Shirt, Apfelsaft und Co.: Produktionsabläufe anschaulich erklärt“ (13 EUR, ISBN: 3817495188).

Interesse an anderen Sprachen unterstützen
Kinder sind grundsätzlich neugierig. Ständig stellen sie Fragen, saugen neues Wissen auf. Spricht ein Kind in der Kita oder Schule eine andere Sprache als Deutsch, merken sie das natürlich. Anstatt nun zu sagen „Der Junge kann ja kein Deutsch", kann man gegenlenken und sagen „Ja noch nicht. Aber dafür spricht er Französisch". So können Eltern und Pädagogen beispielsweise das Interesse an etwas Neuem fördern und die unterschiedlichen Sprachkenntnisse als Chance wahrnehmen. Nicht selten kommen die Kinder dann stolz mit neuen Wörtern einer anderen Sprache nach Hause. Beide Seiten fühlen sich bestätigt und wahrgenommen. Und das ist doch etwas Tolles!

Raum für Austausch schaffen
Klar, in deutschen Großstädten findet sich heutzutage ein viel diverseres Bild als noch vor zwanzig Jahren. Kinder kommen in Berührung mit anderen Sprachen und Ritualen aus anderen Kulturen. Aber wie sieht es mit Kindern auf dem Land aus? Hier ist die Gesellschaft oft noch viel homogener. Vielleicht kommt mal ein Kita-Kind aus Italien, Syrien oder der Türkei. Es bleibt aber eher die Ausnahme. Und genau da können Probleme beginnen. Denn das, was man nicht kennt, ist einem fremd. Damit auch Kinder in Regionen mit weniger Diversität lernen, dass es Menschen gibt, die anders, aber deshalb nicht weniger wert sind als sie selbst, können Eltern bewusst den Austausch fördern. Sie können mit ihren Kindern Bücher zum Thema lesen oder Spielzeug kaufen, das nicht immer gleich aussieht.
Ein tolles Projekt für Kitas ist Kita Global – Mit Kinderaugen um die Welt des Wissenschaftladens Bonn. Mit dem dort ausgearbeiteten Material können Kinder unter anderem mit einem selbstgebastelten Reisepass verschiedene Länder bereisen und dann spielerisch etwas über die jeweilige Kultur lernen.

Lernen, Ungerechtigkeiten anzusprechen
Kinder können zu Hause nicht nur lernen, dass alle Menschen gleich viel wert sind, sondern auch, wie sie mit Ungerechtigkeiten umgehen können. Manchmal reicht es nämlich schon zu sagen: „Ich finde nicht gut, was du da sagst.“ Denn auch Kinder, die andere diskriminieren, streben nach Anerkennung. Erfährt ihr Verhalten keine Anerkennung, dann kann dies schon ein erster positiver Schritt sein.
Ist es Pädagogen und Eltern bewusst, dass ein Kind ausgegrenzt wird, sollten sie auf jeden Fall das Gespräch suchen und aktiv gegenwirken.

Weiterführende Informationen
Wie Eltern mit ihren Kindern über kulturelle und sozioökonomische Unterschiede sprechen können, ist ein komplexes und sensibles Thema. Wer sich hierzu weitergehend informieren möchte, findet auf den folgenden Internetseiten hilfreiche Tipps und Materialien:
- Deutscher Bildungsserver: Praxishilfen: Interkulturelle Bildung im Elementarbereich: „Als zentraler Wegweiser zum Bildungssystem in Deutschland sowie als Informationsangebot zum Thema Bildung weltweit bietet der Deutsche Bildungsserver allen Interessierten Zugang zu hochwertigen Informationen und Internetquellen – schnell, aktuell, umfassend und kostenfrei.“
- Kinderweltreise: Auf dieser Internetseite finden sich neben weiteren Lesetipps auch spannende Infos zu verschiedenen Ländern, bunt aufgearbeitet und vom Bildungsserver empfohlen.
- Verband binationaler Familien und Partnerschaften: Interkulturelle Kinderbücher: Ausführliche Listen mit Buchempfehlungen für jedes Alter. Allerdings sind die Empfehlungen von 2012, neuere Werke werden nicht berücksichtigt.
- Plan International: Durch den Tag mit Aminata: Ein kostenloser Material-Ordner für Kitas, der sich auch für den Einsatz in Grundschulen eignet.
- Bilder im Kopf: Strategien und Medien gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung: Bilder im Kopf war ein Kooperationsprojekt der Diakonie Düsseldorf und dem Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V. und wird durch die Integrationsagentur der Diakonie Düsseldorf in Teilen weitergeführt.
- Interkulturelles Lernen mit Kinderbüchern: Eine Literaturanalyse zur Unterstützung interkulturellen Lernens in der Kita: Hierbei handelt es sich um ein Projekt von Studierenden des Master-Studienganges „Interkulturelle Kommunikation“ der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Dr. Miriam Morgan aus dem Jahr 2018.