Eltern müssen draußen bleiben
Die Zwillinge Jasmin und Annemarie und ihre Freundinnen Rebecca und Leonie haben heute Großes vor: Von Professor Manfred Lange lassen sie sich erklären, wie Werbung funktioniert. Dieses Thema, über das sich hochdotierte Werbeagenturen und BWL-Professoren die Köpfe heiß reden, wird bei der Kinder-Uni München für die Kleinen locker aufbereitet und verständlich präsentiert.
Im Foyer des Unigebäudes herrscht Tumult: Die Eltern verabschieden sich von ihren Kindern, denn Erwachsene sind bei den Vorlesungen der Kinder-Uni nicht erlaubt. Die Kleinen sollen sich wie in der echten Uni fühlen, wo die Studenten schließlich auch keine Eltern dabei haben. Und wer stellt schon gerne ungezwungen Fragen an den Professor, wenn Mutti daneben sitzt?
Jasmin und Annemarie kennen sich aus, denn die beiden Elfjährigen waren schon bei der vorigen Vorlesung dabei. Ihre Freundinnen Rebecca (8) und Leonie (10) dagegen sind das erste Mal dabei und neugierig, was sie erwartet. Ein Stockwerk höher sind die Reihen im großen Hörsaal schon ziemlich voll. Doch die vier Mädchen bekommen noch einen guten Platz auf halber Höhe. "Das ist ja viel größer als in der Schule", staunt Leonie.
Ein aufgeregtes Summen und Brummen liegt in der Luft, aber als Moderatorin Daniela Arnu zum Mikrofon greift, kehrt Ruhe ein. Die erste Frage ist immer dieselbe: "Sind alle Eltern draußen?" Und gleich danach: "Wer von euch weiß, wie man in der Uni applaudiert?" Ein ohrenbetäubendes Getrommel mit den Fingerknöcheln auf die Tische beginnt. BWL-Professor Manfred Lange muss angesichts des überwältigenden Applauses schmunzeln.
"Wenn ihr es machen wollt wie die richtigen Studenten, dann dürft ihr nicht so fest auf die Tische klopfen", sagt er gutmütig. Denn die Studenten seien immer sehr cool und würden nur ganz lässig und viel leiser klopfen. Er führt es vor und die Kinder üben eifrig das "coole" Klopfen.
Die Kinder dürfen mitreden
Da sich die Vorlesung um Werbung dreht, wird erst einmal die Frage gestellt, welche Werbung den Kindern gefällt. Die Arme schießen in die Höhe, jeder möchte etwas sagen.
Ein Junge sagt zielsicher: "Cilit Bang, das habe ich selber auch schon ausprobiert." Ein anderer mag Werbung für Schokolade. Annemarie dagegen findet die "Geiz ist Geil"-Werbung von Saturn nicht gut. Professor Lange hat gleich eine Weisheit parat: Es kommt nicht darauf an, ob Werbung gefällt, sondern ob sie wirkt. Denn oft erinnert man sich hinterher beim Kaufen im Supermarkt unterbewusst an eine Werbung und kauft dann das Produkt.
Als Beispiele für gute Werbung hat der Dozent einige lustige Werbefilme im Gepäck, die an die Wand projiziert werden. Da taucht Thomas Gottschalk nach Goldbären oder ein Inder setzt einen Elefanten auf sein Auto, bis es aussieht wie ein Peugeot. Beim Ikea-Spot können viele der Kinder den Text sogar mitsprechen.
Grundlagenwissen kindgerecht verpackt
Die Stimmung im Saal ist gelöst und locker, die Kinder hören aufmerksam zu. Durch eine bunte Powerpoint-Präsentation und zahlreiche Rückfragen bindet Professor Lange die Kinder aktiv in seinen Vortrag mit ein. Moderatorin Daniela Arnu kommt mit dem Mikrofon kaum hinterher, so viele Fragen werden in den Reihen gestellt. Professor Lange erzählt jetzt von Eltern, die irgendwann das Spielzeug aus der Werbung kaufen, nur damit ihre Kinder Ruhe geben. "Ist das bei euch auch so?", fragt er in die Runde. "NEIN!" brüllt der Saal, und Annemarie fügt hinzu: "Schön wär's!"
Neben lustigen Werbespots und unterhaltsamen Beispielen nennt Professor Lange seinen jungen Studenten aber auch einen kleinen Happen Grundlagenwissen aus der Betriebswirtschaftslehre. Die Frage wie Werbung wirkt, könnten die Kinder nach der Vorlesung zielsicher beantworten: Mit der AIDA-Formel. Die stammt aus dem Englischen und steht für "Attention, Interest, Desire, Action". Zu deutsch heißt das Aufmerksamkeit, Interesse, Kaufwunsch und Kauf. Ob die Kinder das den Eltern zuhause noch aufzählen können?
Aber das ist auch nicht so wichtig. Es geht schließlich nicht darum sich alles zu merken, sondern einen Einblick in ein Thema zu bekommen, mit dem auch Kinder Tag für Tag zu tun haben.
Auch die Frage, wer für die Haribo-Werbung zahlt, können die meisten der Kinder genau beantworten: Es ist nicht Thomas Gottschalk, auch nicht der Fernsehsender, aber dafür die Firma Haribo und in gewisser Weise auch der Verbraucher.
Zu Beginn der Vorlesung hatten die Kinder noch einstimmig zugestimmt, dass Werbung in gewisser Weise Betrug sei. Dass man den Behauptungen der Hersteller zumindest nicht unbesehen glauben sollte, räumt auch Professor Lange ein. "Aber ich hoffe, ich konnte euch zeigen, dass Werbung auch nützlich sein kann und manchmal sogar Spaß macht", sagt er zum Schluss. Seine kleinen Zuhörer danken es ihm mit einem Riesenapplaus - von Coolness ist keine Spur mehr. Aber Professor Lange hat es ja auch gut angestellt und jedem zuvor noch eine kleine Tüte Gummibären versprochen. Rebecca und Leonie sind überzeugt: "Wir kommen auf jeden Fall wieder!" Den Mädchen hat es großen Spaß gemacht und vor allem die lustigen Werbeclips blieben in Erinnerung.
Kinder-Unis in ganz Deutschland
Kinder-Universitäten gibt es mittlerweile in vielen deutschen Städten. Die Idee begann vor drei Jahren in Tübingen und nach und nach fanden sich immer mehr willige Organisatoren und Wissenschaftler in ganz Deutschland. Den Anfang machten Ulla Steuernagel und Ulrich Janßen, beide Redakteure beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen.
Ulla Steuernagel ist Mutter von zwei Kindern, die ständig mit Fragen zu ihr kamen und ihr Löcher in den Bauch fragten. Irgendwann dachte sie sich: Wäre es nicht toll, wenn echte Fachleute diese Fragen beantworten würden? Die Idee der Kinder-Uni war geboren. Viel Überzeugungsarbeit brauchte es nicht, von der Universität Tübingen kam bald das "Ok" für die Bereitstellung von Hörsälen und auch die ersten Professoren konnten schnell gewonnen werden. Sie arbeiten kostenlos an dem Kinderuni-Projekt mit und die Universität stellt die Räume kostenfrei zur Verfügung.
In vielen Städten gibt es jedoch zusätzlich Stiftungen oder Sponsoren, die z.B. den Druck der "Studentenausweise" und der Vorlesungsscheine übernehmen, die jedes Kind für die Vorlesung bekommt. "Den Kindern ist es ganz wichtig, dass sie jedes Mal ihren Stempel in den Ausweis bekommen", sagt Ulla Steuernagel.
Welche Themen in den Vorlesungen zur Sprache kommen, wird im Team entschieden. Es dürfen gerne komplexe Fragen sein, aber die Kinder dürfen nicht überfordert werden. Unter acht Jahren sollten Uni-Kinder deshalb nicht sein. "Wir appellieren an die Eltern, dass sie ihre Kinder nicht zu den Vorlesungen drängen sollen. Die Kinder sollten sich die Themen je nach ihren Interessen selbst aussuchen dürfen", sagt Dagmar Kraska, Sprecherin des Vereins "Kultur & Spielraum", der in München die Kinder-Uni organisiert.
Dann seien die Kinder auch mit großem Spaß und Interesse bei der Sache. Oft bringen sie beim nächsten Mal Freunde mit, erzählt Kraska: "Die 600 Plätze im großen Hörsaal sind fast immer voll belegt". Auch Ulla Steuernagel muss manche Eltern bremsen: "Viele denken, die Kinder-Uni sei etwas für Hochbegabte, aber wir möchten alle Kinder ansprechen." Die Kinder nehmen die Informationen auch unterschiedlich auf, manche können nach der Vorlesung den ganzen Gedankengang nacherzählen, andere merken sich vielleicht nur ein, zwei Bilder.
Im Vordergrund steht für die Initiatoren der Kinder-Uni vor allem, dass Kinder Antworten auf Fragen bekommen, die sie interessieren. "Wir legen Wert darauf, Warum-Fragen zu stellen. So können die Kinder nach dem Vortrag für sich beurteilen, ob die Frage auch beantwortet wurde", sagt Ulla Steuernagel.
Der große Erfolg im ganzen Land gibt dem Konzept Recht. "Es ist für die Kleinen ein tolles Erlebnis, mit 800 Kindern in einem Hörsaal zu sitzen", sagt Ulrich Janssen. Das sei eine ganz andere Atmosphäre als in der Schule. Und auch der erhobene Zeigefinger ist bei den Kinder-Vorlesungen tabu. "Wir wollen nicht zu pädagogisch sein, die Kinder sollen neben dem Lerneffekt auch immer etwas zu staunen haben". Die Europäische Union ist von dem Konzept so überzeugt, dass sie die Kinder-Uni 2005 mit dem Descartes-Preis für wissenschaftliche Projekte auszeichnete. Die Kinder-Uni sei eine innovative Aktion, die Kindern Spaß mache und gleichzeitig ihr Interesse für wissenschaftliche Disziplinen wecke, heißt es in der offiziellen Begründung für die Preisverleihung.
Insgesamt bieten mehr als siebzig Hochschulstädte in Deutschland und den Nachbarländern spezielle Vorlesungen für Schulkinder an. Die Themen sind vielfältig: Von Psychologie über Astronomie, Biologie oder Technik ist quasi alles im Angebot. In München können die Kinder diesen Winter beispielsweise noch lernen, warum man im Gesicht keine Gänsehaut bekommt, was Säugetiere wie Delfine eigentlich im Wasser zu suchen haben oder warum Jerusalem für verschiedene Religionen so wichtig ist.
Mehr Informationen zu allen Kinder-Universitäten in Deutschland gibt es unter www.die-kinder-uni-de
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