Kinder fragen - Drei Lehrerinnen antworten
Dr.Ruth Rohloff unterrichtet Deutsch, Geschichte und Sozialkunde an einem Gymnasium in München. Sie ist Mutter zweier erwachsener Kinder.
Warum haben wir den Bundeskanzler und was macht der? Er ist der Chef unserer Regierung: Jedes Land hat eine Regierung, früher wie heute. Früher regierte bei uns zum Beispiel ein König, der ganz allein befohlen hat, was im Land geschehen sollte. Manchmal hat er dabei Berater und Helfer gehabt. Der Bundeskanzler unterscheidet sich vor allem in zwei Punkten vom früheren König: Er wird immer wieder neu gewählt (alle vier Jahre; jetzt wird wieder gerade einer gewählt!), und er kann nicht mehr allein entscheiden und befehlen, sondern mit ihm zusammen beraten und entscheiden viele Personen, die zu diesem Zweck ebenfalls gewählt werden. Man nennt sie "Abgeordnete"; sie bilden zusammen das "Parlament", das bei uns in Berlin sitzt und "Bundestag" heißt.
Warum gibt es Parteien? Bevor es Parteien gab, war es ganz schön schwierig, Beschlüsse zu fassen.
Im Parlament trat zum Beispiel Herr Meier für den Birnenanbau ein, und der Herr Huber für die Apfelzucht: Jeder vertrat seine eigene Meinung, die immer ein wenig anders war als die seines Nachbarn im Parlament und die sich außerdem noch täglich ändern konnte. Dann war der Herr Meier plötzlich gegen den Birnenanbau! So hat man gemerkt, dass auf diese Weise keine echten Beschlüsse gefasst werden konnten: Ständig wollte jeder etwas anderes!
Deshalb hat der Herr Huber beschlossen: Wir bilden eine Apfelpartei; wir diskutieren unsere Apfelanbau-Politik unter uns, stellen dann ein gemeinsames Programm auf und vertreten im Parlament gemeinsam gegenüber allen anderen Leuten unser Programm: Wer für den Apfelanbau ist, der wählt die Mitglieder der Apfelpartei ins Parlament, und im Parlament vertreten wir immer unser Apfelprogramm.
Übertragen auf die heutige Politik heißt das: Es gibt verschiedene Parteien, die alle verschiedene Programme, Ziele und Interessen haben; zum Beispiel tritt eine Partei ein für die Halbtagsschule, eine für die Ganztagsschule und eine dritte meint, dass es beides geben müsse und jeder Schüler die freie Wahl haben sollte.
Warum sollen die Leute zur Wahl gehen? Es ist wie bei der Abstimmung über den Wandertag in der Schule: Zur Wahl stehen Tierpark, Museum, Schwimmbad. Wer keine Stimme abgibt, hat keine Meinung, der wird übergangen und der zählt nicht mit. Der darf sich auch nicht wundern, wenn bei der Abstimmung ein Ergebnis herauskommt, das ihm überhaupt nicht gefällt. Man muss also schon deshalb seine Stimme abgeben, um zu verhindern, dass etwas passiert, was man auf jeden Fall vermeiden will!
Renate Zieroff ist Rektorin einer Grund- und Teilhauptschule in Oberbayern. Sie hat zwei erwachsene Kinder.
Was ist Politik? Jede Gemeinde hat einen Bürgermeister und einen Gemeinderat, die sich um alles kümmern, was in einer Gemeinde geschieht, zum Beispiel darum, ob eine neue Schule gebaut werden soll oder ob die Straße geteert werden soll. Dies nennt man "Politik".
Warum brauchen wir Politiker? Politiker bekommen von den Bürgern den Auftrag, sich um ihre Belange zu kümmern. Sie werden gewählt. Wenn sie ihre Aufgabe nicht gut erfüllen, werden sie bei der nächsten Wahl nicht mehr gewählt. Also muss sich der Politiker anstrengen. Wenn es in einem Land keine von den Bürgern gewählten Personen gäbe, wäre es schwer, Entschlüsse zu fassen, weil so viele verschiedene Meinungen vorhanden sind bei vielen Menschen.
Warum haben wir keinen König, der die Entscheidungen trifft? In Deutschland wurde vor fast 100 Jahren beschlossen, keinen König mehr zu haben. Wir haben eine Politik, die vom Volk gemacht wird; man nennt das Demokratie. Bei einem König kann das Volk nicht so viel mitreden.
Was machen die Leute im Bundestag? Reicht der Bundeskanzler nicht? Im Bundestag sitzen die Vertreter der Menschen eines Landes. Ihre Aufgabe ist, die Politik, die der Bundeskanzler mit seinen Ministern macht, zu überwachen und aufzupassen, dass alles gut und richtig ist. Wenn wir nur den Bundeskanzler hätten, wäre es wie bei einem König.
Ilse Kuderna ist Grundschullehrerin in der Nähe von München und Mutter dreier erwachsener Söhne.
Warum gibt es Politiker? Zum Zusammenleben in einer größeren Gemeinschaft wie einem Staat ist es nötig, Personen zu benennen, die das Gemeinwesen führen, erhalten und verwalten.
Warum haben wir keinen König, der allein entscheidet? Eine einzelne Person kann unmöglich alle entstehenden Belange einer großen Völkergemeinschaft demokratisch entscheiden – er wird immer so entscheiden, wie es für ihn am Besten ist, aber nicht so, wie es für die vielen Menschen in seinem Land am Besten ist!
Was machen die Leute im Bundestag? Die Abgeordneten im Bundestag sind Vertreter der einzelnen Parteien, die für verschiedene Meinungen stehen und den Versuch unternehmen, die unterschiedlichen Meinungen sinnvoll zu koordinieren. Im Idealfall bringt eine große Parteienvielfalt auch eine Ideenvielfalt.
Warum sollen die Leute zur Wahl gehen? Wenn ich zur Wahl gehe, nütze ich die Gelegenheit, meine Wünsche an die Politiker zu richten - gehe ich nicht, mache ich den Gegner stärker.
Was tun gegen Politikverdrossenheit?
Wir wollten auch wissen, wie man Politik für Kinder und Jugendliche interessant machen und Politikverdrossenheit so schon frühzeitig vorbeugen kann. Dazu befragten wir Dr.Stefan Rappenglück, Leiter der Forschungsgruppe "Jugend und Europa" am Centrum für angewandte Politikforschung in München. Er hat zwei Kinder im Alter von sieben und neun Jahren.
"Politik wird dann für Kinder und Jugendliche interessant, wenn nicht gar spannend, wenn sie merken, dass Politik und politisches Handeln ihre Alltagswelt betreffen und sie Möglichkeiten der Mitgestaltung haben.
Politische Vorstellungen, Handlungen und daraus folgende Gesetze betreffen Kinder- und Jugendliche weit mehr, als sie dieses allgemein wahrnehmen. Politische Entscheidungen sind beispielsweise verantwortlich für die finanzielle Ausstattung und Umfang von Schulen, Jugendheimen und Freizeitstätten. Ob und in welcher Größe beispielsweise ein Abenteuerspielplatz errichtet wird und in welcher Weise Kinder und Jugendliche an seiner Planung beteiligt werden, oder ob nicht stattdessen die schon längst überfällige Umgehungsstraße gebaut wird, zeigt die Bedeutung der Politik auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen.
Um Politik für Kinder und Jugendliche interessant und spannend zu machen, ist es unerlässlich, Politik kinder- und jugendgemäß zu vermitteln. Hierzu gibt es vielfältige Ansatzpunkte auf lokaler Ebene, in Bayern und auf Bundesebene. Beispielhaft sei auf die zahlreichen Aktivitäten der Landeshauptstadt München und der Kinderkommission des Deutschen Bundestages hingewiesen.
Noch viel wichtiger ist es jedoch, Kinder und Jugendliche aktiv an den Entscheidungen, die sie betreffen, teilhaben zu lassen, vor allem sie mit ihren Interessen auch ernst zu nehmen. Zu diesem Zweck existiert in Deutschland mittlerweile eine Vielzahl von Kinder- und Jugendparlamenten, deren gemeinsames Ziel die Artikulation von Interessen und die Teilhabe von Kinder und Jugendlichen an den sie betreffenden Entscheidungen der Kommune ist. In vielen Orten und Städten kümmern sich Kinder- und Jugendbeauftragte um die Belange Kinder und Jugendlicher. Diese Möglichkeiten sind zu erweitern.
Und selbstverständlich lassen sich Zugänge zu Politik und politischem Nachdenken in der Schule realisieren. So sind der Besuch des Rathauses, die Einbindung von KommunalpolitikerInnen, handlungsorientierte Methoden zum spielerischen Umgang mit politischen Entscheidungen und vieles mehr denkbar.
Aber vor allem sollte daran gedacht und angesetzt werden, dass schon der schulische Alltag ein Spiegelbild der "Politik im Kleinen " abgibt: es geht beispielsweise um Normen, unterschiedliche Interessen und Rollen(erwartungen), Konflikt und Konsens - genügend Ansatzpunkte also zur Vermittlung von Politik und demokratischem Handeln - wenn es gewollt wird !"