Ich habe letztes Jahr im November Jammerfasten gemacht. Die Idee, mitten im Lockdown einfach mal die Hinterbacken zusammenzukneifen und nicht die ganze Zeit rumzunölen, gefiel mir so gut, dass ich mit meinem Vorfreude-Enthusiasmus sogar ein paar Freunde und meine Mutter dafür gewinnen konnte, mitzumachen. Der Gedanke, gemeinsam einfach mal nur das Gute zu sehen, war herrlich! Dann fingen die Jammerfastentage an und um ehrlich zu sein: Es kam sehr anders als ich dachte. Ich biss mir ständig auf die Zunge, bekam mit, dass auch all die anderen Fastenfreunde nur so taten, als sei alles bestens und fühlte, dass auch meine Mama immer einsamer wurde ohne unsere Gespräche über die Schatten dieser Zeiten. Es war nicht so, dass ich das Schlechte nicht mehr sah. Ich blieb bloß alleine damit und alle anderen auch.
Mimimi-Allergiker, bitte hier nicht aufhören, zu lesen
Der sehr salbungsvoll sprechende Jammerfastenmaster erzählte mir jeden Tag per Video etwas über Wahrnehmung, Selbstliebe und Lebensfreude. Ich lauschte und räumte derweil schon mal die Spülmaschine ein, denn mit vier Kindern im Lockdown bleibt keine Zeit für salbungsvolle Videos oder große Akte der Selbstliebe, ohne dabei die Spülmaschine auszuräumen. Es bleibt keine Zeit zum Meditieren, zum Nachdenken, für Waldspaziergänge alleine oder ein schönes Buch. Ist einfach nicht! Ich bin froh, wenn ich mal ein paar Stunden Schlaf am Stück bekomme. Im Lockdown funktioniert man als Mutter. Da kann man mir erzählen, was man will, so geht’s den meisten Eltern gerade. Ist das grauenhaft? Nein! Bin ich ungerne Mutter? Nein! Ist im Moment alles blöd? Nein! Aber muss ich manchmal „jammern“, um ehrlich darüber zu sein, wie es mir geht? Tut es nicht auch mal gut, ein paar Tränchen zu verdrücken bei all der Anspannung, der Anforderungen und der Ängste wegen? JA! Einfach nur JA!!!“
Ich will wissen, wie es euch geht!
Es mag sein, dass es Menschen gibt, die alle Anstrengungen in die linke Hosentasche stecken, immer nur lächeln und sich gut damit fühlen. Doch manch einer ist halt nicht so. Alle, die ihr Herz auf der Zunge tragen, sind nicht besonders gut in Sachen Selbstzensur. Ja, na klar geht es vielen viel schlechter als uns. Ich weiß das. Ich respektiere das. Und ich bin dankbar für all das, was ich habe. Auch bin ich mir sicher, dass es die meisten Menschen in meinem Umfeld eher gut getroffen haben mit ihrem Schicksal. Und trotzdem möchte ich ganz unbedingt, dass meine Freundinnen mich anrufen, wenn sie durchdrehen, egal weshalb. Und wenn es nur die Kombination aus einer Teenie-Attacke, ein bisschen PMS, einer beschissenen Nacht und geschlossenen Schwimmbädern ist. Egal! Dass sie mir ihre wahren Gedanken mitteilen, anstatt erst mal den Darf-ich-das-fühlen-Filter anzuschmeißen, ist mir wirklich wirklich wichtig. Dass sie heulen, was das Zeug hält, einfach nur, weil ihnen danach ist, empfinde ich als Vertrauensbeweis. Woher soll ich sonst wissen, wie es ihnen geht? Wie könnte ich mich selbst sonst trauen, zu sagen, wie es mir geht, selbst wenn es ein bisschen lächerlich ist?
Mama-Shaming war noch nie so beschämend wie jetzt
Ich weiß, dass es eine Menge Menschen gibt, die das anders sehen. „Als Mutter ist das halt so, wir haben uns doch dafür entschieden, dieses ganze Mimimi geht tierisch auf den Sack! Die einzigen, um die ich mir Sorgen mache, sind die Kinder!“ ...ich versteh das! Ich verstehe diese Einstellung wirklich! Und nein, ich glaube nicht, dass das bei jedem unehrlich ist. Es gibt diese Menschen einfach, die sehr sehr belastbar und grundsätzlich positiv sind. Das ist bewundernswert, es ist vorbildlich und es ist inspirierend. Aber es darf nicht zum Maß aller Emotionen jeder anderen Mama werden. Mama-Shaming ist immer falsch, aber in diesen Zeiten finde ich es beschämender denn je. Wir sollten uns stützen, verstehen, uns beistehen und uns zeigen, dass diese Pandemie für keinen von uns ein Spaziergang ist, anstatt uns zu zensieren oder lächerlich zu machen. Ich finde, man muss nicht der ärmste Tropf der Erde sein, um ein bisschen jammern zu dürfen. Ganz ehrlich: Wenn wir alles in uns reinfressen, wo soll das enden? Wollen wir alle am Ende vor einem Therapeuten sitzen, weil wir uns mit unserem Kummer so alleine und ausgebrannt fühlen? Aber vor allem: Was wollen wir diesen Therapeuten denn dann sagen? Dass alles gut ist? Dass es uns verdammt gut geht, wir immer nur dankbar sind und unsere Rolle als Mutter in jeder Sekunde dieser Pandemie der einfachste und schönste Job der Welt war? Na sicher sagen wir das! Anders geht es nicht. Schließlich wäre alles andere Jammern auf hohem Niveau...