Ernährung ist mehr als essen. Wie fit wir sind, wie gesund, wie zufrieden – das alles hängt (auch) mit dem Bauch zusammen. Und für Babys beginnt es ja tatsächlich bereits im Bauch: Was Mamas essen, essen sie mit. Die ersten 1000 Lebenstage, sagen Experten, prägen den Stoffwechsel, 270 davon finden im Mutterleib statt.
Schwangere, die sich hauptsächlich sehr fettig und sehr süß ernähren, können ihrem Kind eine Veranlagung für Übergewicht und spätere Erkrankungen mitgeben. Es geht aber nicht nur um Nährstoffe, die das Ungeborene von seiner Mutter bekommt. Sie bringt ihm auch Geschmack bei.
Geschmacksknospen funktionieren ab der 15. Woche. Was Mama isst, landet als Aroma im Fruchtwasser und bestimmt Vorlieben. So mögen Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft viel Karottensaft oder Fencheltee tranken, später Möhren und Fenchel lieber als anderes Gemüse.
Bevor sie Karottenbrei löffeln, brauchen sie aber erst einmal was zum Saugen. Nach der Geburt ist die ideale Ernährung die aus der Brust. „Breast is best“, weiß die Ernährungswissenschaft. Muttermilch ist perfekt an die Bedürfnisse von Babys angepasst, hygienisch einwandfrei, richtig temperiert, immer verfügbar und kostet nichts.
In Deutschland werden Babys heute länger gestillt als noch vor 20 Jahren. Die „Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland“, abgekürzt SuSe II, nennt diese Zahlen für 2020: Nach der Entbindung versuchen 97 Prozent der Mütter, ihr Baby zu stillen. Nach drei bis vier Tagen werden 77 Prozent der Neugeborenen voll an der Brust gefüttert. Zusammen mit denen, deren Mütter teilweise stillen und/oder abpumpen, sind es 82 Prozent, die Muttermilch trinken. Beinahe 60 Prozent werden vier Monate gestillt. Am Ende des ersten Lebensjahrs haben alle ihre erste Beikost gegessen, 41 Prozent trinken zusätzlich noch an der Brust. Im europäischen Vergleich liegen die Ergebnisse der SuSe II-Studie damit erstmals im Bereich von Ländern mit traditionell hohen Stillquoten wie der Schweiz und Skandinavien.
Was nach dem Stillen kommt, heißt „Brei-Fahrplan“. Zumindest, wenn Eltern sich an die Richtlinie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) halten: zunächst Gemüse und Kartoffeln, mindestens zweimal die Woche Fleisch oder Fisch im Brei. Vier Wochen später Milch-Getreide-Brei, nach noch einem Monat Getreide-Obst-Brei.
„Die Reihenfolge der Breie ist sinnvoll, weil sie den kindlichen Nährstoffbedarf zugrunde legt“, sagt Imke Reese, Ernährungswissenschaftlerin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI). Aber was ist, wenn das Baby den Mund partout nicht aufmacht für den einen oder anderen Brei? Auch okay. Mit zusätzlicher Milch ist es gut versorgt.
„Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein Kind, das anfangs manche Nahrungsmittel verweigert, eine Unverträglichkeit dagegen entwickelt. Wichtig zur Vorbeugung gegen Allergien ist die Vielfalt innerhalb der Beikost“, erklärt Imke Reese.
Ob das Baby dabei statt Brei mundgerechte Stückchen vom Teller pickt, wie Fans von Baby- led Weaning (BLW) es mögen, einen Löffel Pastinakenpüree (einigermaßen) treffsicher selber in den Mund balanciert oder sich gemütlich mit Babynahrung füttern lässt, ist Typ- und Familiensache. Und letztendlich egal: Nährstoffmangel ist unter Beikost-Kindern in Deutschland nicht festzustellen. Ernährungsprobleme beginnen später und sie hängen eher an einem Zuviel vom Falschen – zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viele Fertigprodukte.
Was Ernährungsexperten vorschlagen, ist nicht unbedingt das, was viele Kinder mögen. Fischstäbchen mit Ketchup, Spiralnudeln und Würstchen, Pommes. Ist lecker, darf auch ab und zu sein. „In der richtigen frühkindlichen Ernährung steckt aber ein irres Präventionspotenzial“, sagt Professor Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.
Gummibären sind nicht das größte Problem
Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das sind spätere gesundheitliche Risiken, die mit vernünftigen Essgewohnheiten von Anfang an gemindert werden können. Damit Kinder ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt sind, sollen sie täglich mindestens drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst essen, Milch- und Milchprodukte, etwas Fleisch, Fisch (und/oder Hülsenfrüchte). Als Getränke brauchen sie Wasser oder ungesüßte Tees (mehr zur Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf Seite 62).
Ein einfaches Konzept. Und sehr viele Familien setzen es auch um. Trotzdem gibt es diese Zahlen: Laut Foodwatch haben Kinder in Deutschland regelmäßig bereits im August die Zuckermenge zu sich genommen, die Fachleute für das ganze Jahr empfehlen. Das Gummibärchen zwischendurch ist dabei nur eines der schwarzen Ernährungsschafe. Und eher ein Schäfchen. Schwerer wiegen – irgendwann auch auf der Waage – süße Getränke und Zuckerzusätze in Fertigprodukten wie Müsli- oder Cornflakesmischungen, Joghurt mit Geschmack, Quetschies, Wurst, Pizza, Nudelsoßen.
Weil diese Nahrungsmittel in immer größerer Vielfalt angeboten werden, hat sich die Zahl übergewichtiger Heranwachsender in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht. Die aktuellste Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2) zeigt, dass 15 Prozent im Alter zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig und sechs Prozent adipös sind. Bei den Kleineren spielt Übergewicht noch keine große Rolle, Babyspeck verwächst sich.
Unter Fachleuten und in der Politik ist schlechte Ernährung als Problem erkannt. Mit Programmen soll dagegen gesteuert werden. Bisher aber nur halbherzig und zu langsam, sagen Kritiker. Die letzte Regierung brachte zwar eine Strategie zur Reduzierung von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten auf den Weg – die ist für Nahrungsmittelkonzerne aber nicht verpflichtend. Sie führte den Nutri-Score ein: Diese Nährwert-Kennzeichnung kann auf Packungen stehen, muss aber nicht. Kinder sehen am Tag bis zu 15 Werbespot für ungesunden, industriell hergestellten Mampfpampf im Fernsehen oder im Internet, Influencer bewerben Ungesundes – eine Regulierung dafür fehlt. Genauso wie Vorgaben für den Einzelhandel, zu denen das Verbot von Quengelware an Kassen gehören könnte.
„In vielen Bereichen besteht erheblicher Nachholbedarf“, sagt Peter von Philipsborn vom Lehrstuhl für Public Health an der Ludwig-Maximilians-Universität München und einer der Autoren des Food Environment Policy Index 2021 (Food-EPI). Dafür untersuchten Forscher, wie gut Gesundheitsförderung umgesetzt wird. Gesundheitlich wertvolles Essen, zeigt die Studie, ist häufig teurer. Die Auswahl an problematischen Lebensmitteln in den Regalen überwiegt. Für Verbraucher und Verbraucherinnen ist schwer zu erkennen, welche Lebensmittel sie wählten sollten. Die Wissenschaftler schlagen Maßnahmen vor: Eine niedrigere Besteuerung von Obst und Gemüse etwa, wie sie in 40 anderen Staaten bereits gilt. Oder Qualitätsstandards für Kita-Verpflegung, die vom Gesetzgeber zwar angemahnt werden, jedoch nicht verpflichtend sind. Genug zu tun also in den nächsten Jahren im reichen Deutschland, wo Essen keine Mangelware ist. Aber trotzdem (oder genau deshalb) nicht immer zum guten Leben beiträgt.
Was ist eine "Portion"?
Eine Portion Gummibärchen passt in eine gekrümmte Hand, eine Kinderportion in eine Kinderhand. Das ist auch deshalb eine gute Regel, weil kleine Esser weniger brauchen als große. Wachsen die Hände, wächst die Menge automatisch mit.
Was sollte es geben?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt in ihrer Ernährungspyramide dies:
täglich
- 5 Portionen Gemüse, Salat oder Obst
- 4 Portionen Brot und/oder anderes Getreide und/ oder Beilagen wie Nudeln, Reis, Kartoffeln, Couscous
- 3 Portionen Milch und Milchprodukte
- 2 Löffel Fette und Öle (vorzugsweise solche mit
- reichlich ungesättigten Fettsäuren wie etwa Rapsöl)
- 6 Gläser Flüssigkeit (Wasser oder ungesüßten Tee)
optional
- 1 Portion Extra am Tag, das darf Süßes sein, aber auch Knabberzeug
wöchentlich
- 2- bis 3-mal Fisch, Fleisch, Wurst oder Ei.
- Für vegetarisch ernährte Kinder sind Hülsenfrüchte ein guter Ersatz
Mehr Informationen unter: www.verbraucherzentrale.de, Stichwort: Speiseplan für Kinder
Essen ist Lernsache. Sieben Sachen, die dabei helfen
Vertrauen haben
Ich schlucke nichts, was ich nicht möchte! Kindliche Selbstbestimmung funktioniert am Tisch hervorragend. Eltern dürfen ihrem Ess-Neuling tatsächlich einiges zutrauen: Babys und Kleinkinder haben ein natürliches Gefühl für Hunger und Sättigung. Picken sie bei einer Mahlzeit wie die Spatzen, hauen sie eben bei der nächsten rein.
Essen nicht überhöhen
Werden sie regelmäßig überredet, mehr zu essen, als sie möchten („Habe so schön gekocht für dich!“), lernen sie nicht, ihren Bedürfnissen zu vertrauen. Das passiert auch, wenn Nahrungsmittel gewohnheitsmäßig als Belohnung (nach jedem Aufräumen den Lieblingskeks) oder als Bestrafung (kein Nachtisch wegen Motzens) eingesetzt werden.
Für Regelmäßigkeit sorgen
Feste Essenszeiten – ist das nicht eine altmodische Sitte? Nein, sagen Ernährungspsychologen. Pausen helfen Kindern zu erkennen, ob sie Hunger haben oder satt sind.
Öfter probieren lassen
Kleine greifen lieber zu den gewohnten Nudeln als zum ersten Artischockengemüse ihres Lebens. Das ist normal. Sie müssen öfter probieren, um etwas zu mögen. So überwinden sie die evolutionsbiologisch sinnvolle Neophobie, die Angst vor Neuem.
Gesund? Kein Thema!
„Iss das auf, das ist gesund!“ Diesen Satz können Eltern sich sparen. Versuche zeigen: Wenn Kinder zwischen Lebensmitteln, die als gesund angepriesen werden, und anderen frei wählen dürfen, greifen sie zunächst nach allem, was süß ist, schlotzig, viel Umami-Geschmack hat. Nach ein paar Tagen essen sie dann aber auch Obst, Gemüse, Salat. Was bedeutet: Immer Gesundes bereithalten, irgendwann schafft es das in den kleinen Bauch.
Vorbild sein
Genießt Papa sein gebackenes Wintergemüse, verleitet das sein Kind zum Nachmachen. Eltern, aber auch Geschwister und Gleichaltrige sind Vorbilder. Was ihnen schmeckt, muss gut sein, denkt das Kind. Nichts fürchten Kita-Erzieherinnen zur Essenszeit mehr als die dreijährige Wortführerin, die verkündet, dass Kartoffelsuppe eklig ist – dann nämlich schieben alle ihre Teller weg.
Gemeinsame Sache machen
Zusammen am Tisch sitzen, lachen, nicht streiten, sich an der Pasta freuen. Wer Ernährung so lernt, wird vermutlich auch später nicht die Chipstüten neben dem Smartphone für eine vollwertige Mahlzeit halten.
Bin schon in der Küche!
Kinder essen lieber, wenn sie helfen dürfen. Das können schon Zwei- bis Dreijährige:
- Einkaufstasche ausräumen
- Tisch decken und dekorieren
- Gemüse, Obst, Salat waschen
- Brote belegen
- Salatsoßen oder Dips rühren
- Essen verzieren: Gurkengesichter auf Käsebrote legen, Knusper auf Quark streuseln
- TK-Pizza mit frischen Zutaten anreichern: Tomatenwürfel, Basilikum, Paprikastückchen
- weiches Obst wie Bananen zerteilen