Was gegen Kopfschmerzen und bei Schlafstörungen im Wochenbett hilft, wusste die schlesische Hebamme Justine Siegismund bereits im 17. Jahrhundert. Die Autodidaktin und "Königlich Preußische und Kur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter" widmete ihre Rezepte im Arznei-Anhang ihres berühmten Hebammen-Lehrbuches den "auf dem Lande wohnenden und insgemein unerfahrnen Kinder-Müttern". Mit Heilpflanzen für Frauen, die gerade geboren hatten, war die "Siegemundin" offenbar sehr vertraut. Von den biochemischen Prozessen im Körper, die die wohltuende Wirkung auslösten, hat sie aber sicher nichts gewusst. Selbst in der heutigen Wissenschaft wäre es eine Mammutaufgabe, der Wirkweise ihrer bunten Kräuter-Blumen-Mixturen detailliert auf die Spur zu kommen.
Denn schon eine einzige Heilpflanze ist ein "Vielstoffgemisch" mit oft zahlreichen Substanzen in geringer Konzentration, auf deren Zusammenspiel Fachleute die gesundheitsfördernde Wirkung zurückführen. Was über Effektivität und Unbedenklichkeit entscheidet, ist auch mit modernen wissenschaftlichen Methoden anspruchsvoll herauszufinden. Erforscht und angewandt an renommierten Universitätskliniken wird die moderne Phytotherapie erst seit wenigen Jahrzehnten. Besonders schätzt man sie als Ergänzung zur Schulmedizin – wegen ihrer guten Verträglichkeit, geringen Nebenwirkungen und niedrigen Kosten für das Gesundheitssystem. Und weil sie wirkt.
Neue Anerkennung für alte Heilpflanzen
Zu der Leipziger Gynäkologin Dr. Reinhild Georgieff kommen seit fast 30 Jahren viele Frauen gerade wegen ihrer Expertise in der Phytotherapie – lange in ihre Praxis, heute in die komplementärmedizinische Sprechstunde an der Universitäts-Frauenklinik der sächsischen Metropole. Sie fragen nach sanften Mitteln, wenn die Regelblutung unregelmäßig kommt, bei Beschwerden in den Wechseljahren oder in der Schwangerschaft. Die Heilpflanzen, die die Ärztin mit Zusatzausbildung "Naturheilverfahren" ihnen empfiehlt, haben ihre Legitimation überwiegend in der Erfahrungsmedizin.
Den Wissensstand über ihre Anwendung trägt seit 2004 das "Committee on Herbal Medicinal Products" (HMPC), ein Gremium der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, mit wissenschaftlicher Systematik zusammen. Das HMPC erfasst die Erkenntnisse in Monografien und bewertet sie. Gibt es keine überzeugende wissenschaftliche Studie zur Wirksamkeit, die Arznei wird aber seit mehr als 30 Jahren (mindestens 15 davon in der EU) zu einem bestimmten Zweck offenbar sicher angewandt, erhält sie den Status "traditional use". Eine Zulassung als Medikament, das auch ärztlich verordnet werden darf, erhalten aber nur Arzneien der Kategorie "well established use" (WEU), bei denen außer Qualität und Unbedenklichkeit auch die Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist. So gut erforscht sind derzeit wenige pflanzliche Präparate.
Studien mit Schwangeren sind selten
Eine der Lieblingsarzneien der Gynäkologin Reinhild Georgieff, die sich in ihrem Berufsverband der Frauenärzte (BVF) für die Integration der Naturheilkunde in die Schulmedizin einsetzt, ist eine Fertigarznei mit Meerrettich und Kapuzinerkresse, die sich bei Blasenentzündungen und grippalen Infekten bewährt hat. Der Beipackzettel weist nicht aus, dass es unbedenklich auch für Schwangere und ihr Kind ist. Kein Einzelfall, so Dr. Georgieff: "Es gibt kaum evidenzbasierte Studien mit Schwangeren. Die Ethikkommission verlangt den Nachweis aus toxikologischen Untersuchungen, dass das Präparat die Frau und das ungeborene Kind nicht schädigt. Aber aus ethischen Gründen führt kaum jemand eine solche Studie durch." Die Meerrettich-Kapuzinerkresse-Medizin hat die Frauenärztin trotzdem oft Schwangeren empfohlen – und das mit durchweg guten Erfahrungen.
Heilpflanzen sicher anwenden
Wer eine Heilpflanze als Rohstoff anwenden will, macht sich aus Sicherheitsgründen lieber vorher schlau. Das ist vor allem für Schwangere und Stillende wichtig, denn einige können Uteruskontraktionen auslösen, andere der Gesundheit des Ungeborenen schaden oder Fehlbildungen auslösen, wieder andere sind schädlich für die werdende Mutter. Wacholder, Kava Kava, Bärentraube, Huflattich, Aloe und Süßholz gehören dazu. Wer sich beraten lassen will, findet bei Apothekern, phytotherapeutisch versierten Ärztinnen und vielen Hebammen fachkundigen Rat. Sie kennen sich mit den Darreichungsformen aus, also der Zubereitung als Tee, Salbe, Tinktur oder ätherisches Öl. Nicht alle davon eignen sich in der Schwangerschaft: Tinkturen sind als alkoholische Auszüge in dieser Lebensphase ungeeignet, mit Aromaölen empfehlen Expertinnen aufgrund der hohen Konzentration wirksamer Substanzen generell sehr zurückhaltend zu sein. Manche Öle können zum Beispiel wehenfördernd oder lebertoxisch wirken – darunter Basilikum, Campher, Eukalyptus, Ingwer, Nelke, Salbei und Zimt.
Problemlos anwenden können Frauen in der Schwangerschaft und nach der Geburt Heilpflanzen in Cremes, Salben, für ein Sitzbad oder als Tee. Die am besten geprüfte Qualität gibt es in der Apotheke. Getrocknete Kräuter bekommt man auch im Bioladen und als Kräutertee im Supermarkt. In rauen Mengen trinkt man besser keine Sorte Heilkräutertee. Denn es lässt sich nicht auszuschließen, dass man mal eine Charge erwischt, in der Spuren natürlicher Giftstoffe anderer Pflanzen sind. Bis zu drei Tassen (rund 450 Milliliter) des gleichen Tees pro Tag sind eine gute Richtschnur.
Basilikum, Petersilie, Salbei
Auf diese Kräuter verzichtet man in der Schwangerschaft besser. Aber: Gemeint ist nur die regelmäßige Einnahme als Tee, Tinktur oder als hoch dosierte Fertigarznei! Wer die Kräuter hin und wieder zum Würzen verwendet, schadet Expertinnen zufolge weder sich noch dem Ungeborenen. Nur eine Hauptzutat im Gericht sollten sie nicht sein.
Acht Mal Kräuterkraft
Frauenmantel (Blatt), alchemillae
Der leicht säuerlich-bittere Tee aus den Blättern, deren Form an einen wehenden Mantel erinnern, wird vor allem gegen Menstruationsschmerzen empfohlen. Zudem ist Frauenmantel oft in Mischtees für die Zeit um die Geburt enthalten: Er soll die Gebärmutter stärken, Rückbildung und Wundschluss fördern, das Bindegewebe kräftigen und Milchstau entgegenwirken. Die Effekte werden überwiegend auf die zusammenziehende Wirkung der Gerbstoffe zurückgeführt. Wissenschaftliche Belege sind rar.
Mönchspfeffer (Früchte), vitex agnus-castus
Als Medikament zugelassen ist die Arzneipflanze des Jahres 2022 zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms (PMS). Bewährt hat sie sich auch bei unregelmäßigem Zyklus und Milchbildung ohne Schwangerschaft. Die Wirkstoffe stecken in den pfefferähnlichen Früchten des Strauchs. Wie Mönchspfeffer genau wirkt, ist nicht komplett geklärt. Vorklinische Studien zeigten: Präparate können einen erhöhten Spiegel des "Milchhormons" Prolaktin senken. Der wird bei manchen Nichtschwangeren durch Stress ausgelöst. Mögliche Folge: Der Eisprung wird gehemmt, durch Wechselwirkungen kann auch der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut beeinträchtigt sein, sodass sich ein befruchtetes Ei nicht einnistet. Wegen dieser hormonmodulierenden Wirkung kommt Mönchspfeffer infrage, wenn eine Frau mit Kinderwunsch nicht schwanger wird. Präparate gibt es als Tablette, Kapsel und Tropfen – und auch homöopathisch wird Mönchspfeffer eingesetzt. Der Name geht auf die triebhemmende Wirkung zurück, die ihm im Mittelalter nachgesagt wurde.
Ingwer (Wurzel), zingiberis-rhizoma
Gegen Reiseübelkeit ist die Arzneipflanze ein anerkanntes Mittel ("well established use").
Einige Fertigpräparate sind bis zur 16. Schwangerschaftswoche zugelassen. Bei leichter Schwangerschaftsübelkeit hat sich bewährt, ein Scheibchen zu lutschen, etwas als Gewürz in Suppe oder Reisgerichten zu geben oder Ingwertee zu trinken. 5 bis 6 Gramm frischer Ingwer oder 1 bis 4 Gramm als Pulver gelten als gut verträglich. Bitte nicht zu viel – und nicht als Aromaöl: Die Wirkstoffe können Wehen auslösen.
Melisse (Blatt), melissa officinalis
Melissentee kann leichte Stresssymptome lindern, den Schlaf fördern und bei leichten Verdauungsproblemen wie Blähungen helfen. Das "Committee of Herbal Medicine Products" hält diese aus der tradierten Heilkunde bekannten Effekte für plausibel ("traditional use").
Manche Hebammen empfehlen den Tee bei Stimmungstiefs in der Wochenbettzeit und wenn die Milchbildung in Gang kommen soll. Melisse wird zudem eine krampflösende Wirkung bei Regelbeschwerden nachgesagt.
Himbeerblätter, rubus idaeus
Der süßlich-herbe Tee ist der klassische Trank zur Geburtsvorbereitung: Den enthaltenen Tanninen wird eine leicht hormonelle Wirkung nachgesagt, die die Durchblutung fördert, den Muttermund weicher, den Beckenboden elastischer macht. Verlässliche wissenschaftliche Nachweise gibt es nicht. Gynäkologin und Naturheilkundlerin Dr. Reinhild Georgieff rät, den Tee in der Schwangerschaft nicht vor der 34. Woche einzusetzen: wenn der Geburtstermin näher rückt. Das HMPC-Fachgremium der Europäischen Arzneimittelagentur schätzt Präparate als sicher ein und hält die krampflösende Wirkung bei der Regelblutung für plausibel ("traditional use").
Ringelblume (Blüte), calendula
Zubereitungen gibt es vor allem zur äußerlichen Anwendung. Die Wirksamkeit bei kleinen Wunden und Entzündungen gilt als lange erprobt ("traditional use"). Zu Ringelblumen-Zubereitungen können Schwangere bei Juckreiz oder Schwangerschaftsstreifen greifen, nach der Geburt bei wunden Brustwarzen und auch zur Wundpflege eines Dammrisses oder Dammschnittes (auch gut dafür: Sitzbäder mit Eichenrinde). In manchen Hautpflegetees ist Ringelblume ebenfalls enthalten.
Fenchel (Früchte), foeniculi-dulcis-fructus
Fencheltee ist ein Klassiker bei leichten Bauchkrämpfen, sowohl bei Magen-Darm-Beschwerden als auch während der Menstruation. Das HMPC hält die traditionelle Anwendung für gerechtfertigt. Fenchel ist auch in vielen Milchbildungstees enthalten.
Salbei (Blatt), salvia
Der Aufguss ist als Abstilltee bekannt: Er soll den Milchfluss bremsen. Traditionell wird Salbei auch bei Erkältungen und Entzündungen im Mundraum verwendet. In der Schwangerschaft spricht nichts gegen den (mäßigen) Genuss, aber auf Salbei-Tinktur sollte man vorsichtshalber verzichten: wegen des Alkoholgehalts und weil der potenziell nervenschädigende Wirkstoff Thujon darin stärker konzentriert ist. Salbei kann auch gegen hormonell bedingte Schweißausbrüche in den Wechseljahren helfen.
Wie lange zieht der Tee?
Das hängt vom härtesten Pflanzenteil ab, der verwendet wird. Bei einem Kräutertee aus Blüten (zum Beispiel Kamille, Ringelblume) reichen drei Minuten. Blätter oder das ganze Kraut (Salbei, Schafgarbe) sollten fünf bis zehn Minuten ziehen. Aus Rinden, Wurzeln und Samen (Ingwer, Kümmel) lösen sich die Inhaltsstoffe langsamer: Tee aus diesen Bestandteilen gießt man nach etwa 15 Minuten ab.