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Interview mit einer Sozialpädagogin Zwischen Mom-Bashing und Mama-Burnout: Warum es Mütter schwer haben

Psychologie: gestresste Mutter legt Kopf in Hände
© Mangostar / Shutterstock
Sozialpädagogin Sonja Sidoroff erzählt im Interview mit ELTERN.de, was es mit dem Begriff Mama-Burnout auf sich hat, warum Mom-Bashing eigentlich ein Hilferuf ist und wo der Ursprung unserer gestressten Gesellschaft liegt. 

Mama-Burnout, Mom-Bashing, das sind Trendwörter, die wir alle schon einmal irgendwo gehört haben. Sie werden ziemlich inflationär benutzt. Aber was bedeuten die Ausdrücke eigentlich? Und bist du vielleicht auch betroffen?

Gar nicht so unwahrscheinlich, weiß Sozialpädagogin Sonja Sidoroff, denn Mütter sind prädestiniert dafür, an Burnout zu erkranken. Auf die Wortneuschöpfung Mama-Burnout möchte sie lieber verzichten. Denn Burnout bleibt Burnout, ob Mutter oder nicht. 

ELTERN.de: Ein Mama-Burnout ist also ein ganz "normales" Burnout?  

Sonja Sidoroff: Definitiv. Burnout ist Burnout. Ich weiß aber, worauf der etwas unglücklich gewählte Begriff hinaus möchte. Obwohl Mütter 24/7 auf Hochtouren laufen, unbezahlte Care-Arbeit bewerkstelligen und vielleicht zusätzlich einen Beruf ausüben, erhalten sie wenig gesellschaftliche Wertschätzung. Dazu kommen hohe Erwartungen an sich selbst, Streben nach Perfektion, die (Un)-Vereinbarkeit verschiedener Rollen, Ängste und Verunsicherungen. Alles zusammen ergibt den perfekten Nährboden für ein Burnout.

Ein Burnout kommt also nicht nur vom "Gestresstsein"?

Nein, externe Faktoren wie Stress allein verursachen noch kein Burnout. Das droht oder entsteht erst, wenn wir der uns selbst auferlegten Rolle nicht mehr nachkommen. Es gibt kaum eine Frau, die das Gefühl hat, ihrer Rolle als Mutter 100 Prozent gerecht zu werden. Immer wieder zweifeln wir an unseren Fähigkeiten, an unserem Erziehungsstil. Dann schleicht sich langsam Unzufriedenheit ein, und die hat wiederum ganz viel mit unseren Selbstmanagement-Fähigkeiten zu tun. 

Selbstmanagement? Was heißt das konkret?

Ein effektives Selbstmanagement basiert auf realistischen Vorstellungen unserer selbst, von dem, wie wir sind. Dies führt bestenfalls zu einer Übereinstimmung von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung und damit zu Zufriedenheit. 

Hast du ein Beispiel dafür?

Wir alle werden von Denkmustern und Glaubenssätzen begleitet, die in unserer Kindheit verankert sind. Sie wirken unterbewusst auf unser Denken und Verhalten. Wenn ich zum Beispiel das Selbstbild "Ich bin nicht ehrgeizig" von mir habe, dann werde ich mein ganzes Leben lang denken, dass andere in ihrem Leben mehr erreicht haben als ich, weil sie ehrgeiziger sind. Wenn ich Dinge nicht zu Ende führe oder abbreche, werde ich es auf meinen mangelnden Ehrgeiz schieben – obwohl sie für mich in dem Moment vielleicht einfach nicht wichtig genug erschienen. Ich muss mir also eingestehen, dass mein Selbstbild falsch war und ich sehr wohl ehrgeizig bin, um zufrieden zu sein.

Ich habe gerade die Stimme meiner Oma im Ohr: "Siehst du, früher war alles besser, da gab es so was nicht!" Stimmt das? 

Das ist Quatsch. Jede Zeit bringt ihre Widrigkeiten mit sich. Jede Generation kämpft gegen andere "Stressoren". Waren es zu Großmutters Zeiten eher materielle und finanzielle Sorgen, sind es heute die verschiedenen Rollen, die wir erfüllen müssen, und die Vielzahl an Wahlmöglichkeiten, die zu Stress führen. Wie möchten wir unsere Kinder ernähren? Vegetarisch, vegan, Bio? Auf welche Schule sollen sie gehen? Welche Betreuungsform wählen wir? Fragen über Fragen, die wir uns heute stellen, begleitet von der Angst, die falsche Entscheidung zu treffen.      

"Für diese Freiheit zahlen wir einen hohen Preis. Den Preis der Verunsicherung. Wer die Wahl hat, hat die Qual"

Wer frei ist, trägt auch Verantwortung. Und das Bewusstsein um diese Verantwortung macht uns Angst. Suggeriert es doch, dass ausschließlich wir und unsere Entscheidungen unser Kind zu dem machen, was es ist und was es einmal sein wird. Im Positiven wie im Negativen. 

Und was ist Mom-Bashing?

Das sind vereinfacht gesagt Mütter, die andere Mütter runtermachen und ihnen damit das Gefühl geben, eine Rabenmutter zu sein.

Ist Mom-Bashing eine Art Bewältigungsstrategie?

Die Mütter, die andere in Internetforen oder auf dem Spielplatz als schlechte Mütter dastehen lassen, haben im Endeffekt die gleichen Sorgen: Sie fühlen sich verunsichert. Mom-Bashing kann in der Tat eine Bewältigungsstrategie sein, mit der das eigene Selbstwertgefühl gestärkt wird, à la "Ich mache es besser". Das Ursprungs-Problem ist ein gesellschaftliches, fehlende Anerkennung und Schwierigkeiten in der Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Da wir an diesen äußeren Faktoren nichts ändern können, gilt es, an unserer Einstellung zu schrauben. 

Quelle: Interview mit Sozialpädagogin Sonja Sidoroff

ELTERN

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