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Kranke Eltern Und jetzt?

Kranke Eltern: Kranke Mutter hält ihr Baby
© Tomsickova Tatyana / Shutterstock
Krank sein ist ein Luxus, den sich viele Mütter und manche Väter heute kaum leisten können. So kann es nicht weitergehen, findet Nora.

Vor einigen Wochen machte einer dieser fiesen Kita-Keime in unserer Familie die Runde. Als Erstes war mein fünfjähriger Sohn dran. Eine Woche lag er mit Fieber im Bett. Und ich ließ meine Arbeit Arbeit sein, kochte ihm Tee, wickelte ihn in weiche Decken und las ihm vor. 

Dann hatte sich seine kleine Schwester angesteckt, und zwar richtig heftig. Ich sagte alle Termine ab und legte mich mit ihr ins Bett, denn nur so wurde sie ruhig. Meine Eltern kamen, um mir mit den älteren Kindern zu helfen, denn mein Mann war auf Geschäftsreise. Sie steckten sich dabei selbst an und fuhren krank wieder nach Hause. Da hatten meine beiden ältesten Kinder schon Fieber. Ich wickelte sie in Decken und kochte literweise Tee, das gerade gesund werdende Kleinkind auf dem Arm. Und dann wurde ich selber krank. 

Dass Mütter (oder zu Hause bleibende Väter) krank werden, ist in unserem System nicht vorgesehen. Es gibt keine Richtlinien dafür, keine gesetzlichen Regelungen. Während berufstätige Eltern kranker Kinder ganz offiziell der Arbeit fernbleiben und sich um ihre kleinen Patienten kümmern dürfen (zumindest zehn Tage pro Kind im Jahr, in Pandemie-Zeiten auch mehr), besteht kein solcher Anspruch, wenn das Elternteil erkrankt, das im Alltag einen Großteil der Kinderbetreuung stemmt. Was in den allermeisten Familien die Mütter sind. Insbesondere, wenn die Kinder noch klein sind. 

Wie gemein das ist, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als meine erste Tochter noch klein war und ich noch davon ausging, der schmerzhafteste Verlust im Zuge meiner Mutterwerdung sei der des Ausschlafenkönnens am Wochenende. Übers Krankwerden machte ich mir keine Sorgen. Ich war schließlich jung und gesund. Und dann wachte ich eines morgens auf und fühlte mich wie von einer Dampfwalze überfahren: elend und erschlagen. Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Gliederreißen – eine typische Erkältung eben. „Ich bin krank“, krächzte ich also in Richtung meines Mannes. „Ich muss heute im Bett bleiben.“ 

Dass er dann natürlich nicht zur Arbeit gehen, sondern zu Hause bleiben und sich um unser gemeinsames Kind kümmern würde, erschien mir so selbstverständlich, dass ich nicht einmal darüber nachdachte, es könnte auch anders sein. Er sah das offensichtlich anders. „Tut mir wirklich leid, aber das geht nicht“, sagte er entschuldigend und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Kopf. „Ich muss zur Arbeit. Du schaffst das schon!“ 

Dass Mütter das schon schaffen, sich auch krank um ihre Kinder zu kümmern, ist eine Erzählung, die in unserer Kultur tief verwurzelt ist. Sie ist ein Teil des deutschen Muttermythos, der uns einerseits zu quasi Heiligen verklärt, uns andererseits aber auch jeden Anspruch auf Unterstützung der Solidargemeinschaft abspricht. Wenn wir Mütter auf Glückwunschkarten zu Superheldinnen stilisiert werden, die einfach die Besten sind und alles schaffen können, ist das deshalb auch nur vordergründig ein Kompliment. Denn dahinter steckt die zutiefst sexistische Zuschreibung, dass solchen Übermenschen, wie wir Mütter sie angeblich sind, auch guten Gewissens viel mehr zugemutet werden kann als jedem anderen Menschen. Weil es doch in unserer Natur liegt, uns für unsere Kinder aufzuopfern. 

Wie tief dieses Bild von der guten Mutter, die niemals ausfällt, in unserem kollektiven Gedächtnis verankert ist, zeigt der Werbespot für ein Erkältungsmedikament, der jedes Jahr zur Erkältungssaison wieder neu aufgelegt wird. „Mütter nehmen sich nicht frei“, heißt es darin. „Mütter nehmen …“, Tabletten, die Krankheitssymptome unterdrücken und sie in die Lage versetzen, durchzupowern, statt sich auszuruhen. So wie die unglücklichen Hausfrauen der 50er-Jahre reihenweise Frauengold nahmen, um ihre eigene Verzweiflung nicht mehr zu spüren. 

Das sind die Auswüchse unserer Leistungsgesellschaft in der Mutteredition. Bloß nicht ausfallen. Bloß nicht zur Last fallen. In einer Partnerschaft nicht. Und erst recht nicht als Alleinerziehende. 

Wenn ich mit anderen Müttern darüber sprechen will, stoße ich häufig auf schulterzuckende Resignation. „So ist es eben“, höre ich dann. „Kranksein ist als Mutter einfach nicht drin.“ Dahinter steckt oft auch der Wunsch, nicht länger streiten zu wollen. Denn die Tatsache, dass Partner kranker Mütter kleiner Kinder keinen gesetzlichen Anspruch darauf haben, sich von der Arbeit freistellen zu lassen, verlagert ein strukturelles Problem ins Private. Denn Väter, die ihre kranken Frauen allein lassen und zur Arbeit gehen, tun das im Normalfall ja nicht, weil sie verantwortungslose Idioten sind. Sondern weil sie in unserer modernen Arbeitswelt selbst krass unter Druck stehen und oft nicht einfach fehlen können ohne Rechtsgrundlage. 

Nach fast fünfzehn Jahren Elternsein, vielen Streitigkeiten und noch mehr verschleppten Erkältungen haben mein Mann und ich mittlerweile zum Glück einen Modus gefunden, uns gegenseitig im Krankheitsfall den Rücken freizuhalten. Doch dass wir das heute hinbekommen, hat viel mit Privilegien zu tun, die längst nicht alle haben. Wie dem, dass mein Mann an solchen Tagen mittlerweile im Homeoffice arbeiten kann. Und so kam ich, als ich neulich selbst krank wurde, tatsächlich in denselben Genuss wie meine Kinder zuvor: weiche Decken, frischer Tee und ein paar Tage im Bett. Dass das nicht selbstverständlich ist, sondern für viele Frauen mit kleinen Kindern ein unerreichbarer Luxus, muss sich unbedingt ändern. Mütter müssen krank sein dürfen, wie alle anderen Menschen auch.

ELTERN

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