Antje Lehmann-Laue ist die Leiterin der medizinpsychologischen Versorgung am Universitätsklinikum Leipzig. Ihr Schwerpunkt ist die Psychoonkologie, also die psychologische Betreuung von Krebspatienten. Häufig begleitet sie dabei auch ganze Familien. Kinder haben ein Gespür für feinste Veränderungen in der Familie. Ihnen etwas zu verschweigen, könnte schlimmere Folgen haben, als ihnen in einer ruhigen Atmosphäre die Wahrheit zu sagen.
Es ist völlig normal, dass Eltern nicht wissen, wie und was sie ihren Kindern jetzt erzählen sollen
Antje Lehmann-Laue: Erst einmal ist es wichtig zu wissen, dass es vollkommen normal ist, wenn Eltern sich fragen, wie sie ihren Kindern erzählen sollen, dass sie oder ein Familienmitglied Krebs haben bzw. hat. Dies ist immer mit Sorge verbunden: Wenn ich mit meinen Kindern über so ein schwieriges Thema rede, dann wird ihnen das nicht guttun, dann könnten sie sehr belastet werden. Dieser Gedankenprozess ist erst einmal völlig normal. Eltern wünschen sich ja, dass ihre Kinder unbeschwert und in einer behüteten Umgebung aufwachsen. Die Mitteilung der Diagnose Krebs könnte diese Sicherheit dann trüben.
Kinder bekommen mehr mit, als wir meist denken
Kinder reagieren in jedem Alter auf die Atmosphäre in der Familie. Sie nehmen Stimmungen sehr gut wahr und bekommen es mit, wenn die Eltern sich beispielsweise gestritten haben. Sie reagieren auf die Gefühle ihrer Eltern, spüren Sorgen und Ängste. Ob sie das verbal auch schon ausdrücken können, ist noch einmal eine andere Sache, das hängt natürlich vom Alter des Kindes ab.
Die Art und Weise der Information sollte kindgerecht sein
Die erste Frage ist: Wie viele Informationen verträgt und versteht mein Kind? Das ist stark abhängig vom Alter. Allgemein würde ich aber sagen, dass jedes Kind ein Anrecht darauf hat, über die Erkrankung eines Familienmitglieds und die notwendigen Therapien informiert zu werden.
Es ist ebenfalls wichtig, über die Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen der Krankheit und der Therapie zu sprechen. Die sichtbaren lassen sich ohnehin nicht lange verstecken, etwa das Ausfallen der Haare oder eine mögliche Operationsnarbe. Aber auch die nicht sofort erkennbaren Nebenwirkungen wie Erschöpfung sollten thematisiert werden.
Das Wichtigste bei diesem Gespräch: Das Wort Krebs sollte ausgesprochen werden. Die Eltern sollten nicht drumherumreden, sondern klare Worte finden. Das Kind wird über kurz oder lang mit dem Wort in Berührung kommen. Und wenn Kinder ihrer eigenen Fantasie überlassen werden, dann malen sie sich ihre eigene Realität – und diese kann unter Umständen schlimmer aussehen, als es der reale Zustand tatsächlich ist.
Das Verschweigen von Informationen oder undeutliche Erklärungen haben Folgen
Wenn die Kinder hintenrum über die Krankheit oder ihnen noch unbekannte Informationen erfahren, zum Beispiel durch ein Telefonat, das sie mithören, dann ist die Gefahr, dass die Kinder enttäuscht sind, viel größer. Das Vertrauen zu den Eltern ist gebrochen, und auch der Schock kann viel schwerwiegender sein, als wenn sie es in einer ruhigen Atmosphäre im Gespräch mit ihren Eltern erfahren.
Kinder, vor allem jüngere, beziehen Veränderungen oft auf sich. Sie neigen zu magischem Denken: Weil ich frech oder nicht brav war, ist Mama jetzt krank geworden. Wenn Eltern merken, dass magisches Denken eine Rolle spielt, sollten sie das aktiv ansprechen. Damit Kinder wissen, mit wem sie über die Erkrankung sprechen können, sollten Eltern ihnen sagen, wer zu den vertrauten Personen gehört, und gezielt einzelne Situationen beschreiben: Mama ist müde, weil sie gerade eine Behandlung bekommt.
Informationen während der Behandlung sind wichtig
Kinder sollten erfahren, wenn es Veränderungen im Familienleben gibt, zum Beispiel durch Krankenhausaufenthalte oder wenn ein Rückfall festgestellt wurde. Aber auch warum Mama immer angespannt ist, bevor sie zum Arzt geht, sollte den Kindern erklärt werden. Und natürlich auch gute Nachrichten.
Die Frage, vor der sich alle Eltern fürchten: Wirst du wieder gesund?
Diese Frage kann man meistens noch gar nicht beantworten, weil keiner so genau weiß, wie der Verlauf der Erkrankung aussehen wird. Da ist es wichtig, die Wahrheit zu sagen, also nicht zu einer Notlüge greifen und sagen: "Das wird schon wieder gut." Besser sind Formulierungen wie: "Die Ärzte helfen mir bei der Behandlung. Sie versuchen alles, damit ich so lange wie möglich leben kann."
Die Formulierungen sollten sich auf den aktuellen Stand beziehen, bei einer guten Diagnose wird das anders aussehen als in einer palliativen Situation. Wenn Eltern unsicher sind, können sie sich dazu beispielsweise in Krebsberatungsstellen beraten lassen.
Es gibt mittlerweile auch viele Bücher und soziale Medien, wie die App "Der Zauberbaum", die Kindern das Thema auf kindgerechte Weise näher bringen soll. Es gibt auch einen guten Ratgeber: "Mit Kindern über Krebs sprechen" von Bianca Senf und Monika Rak. Das ist eine kleine Broschüre, die man sich bestellen oder im Internet herunterladen kann. Auch auf der Seite der Deutschen Krebshilfe finden sich Videos, die Eltern bei dieser herausfordernden Aufgabe unterstützen.
Verwendete Quelle: Interview mit Dr. rer. med. Antje Lehmann-Laue