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Mama mit Migräne So ist es wirklich

Mama mit Migräne: Mutter mit Baby im Arm hält sich die Hand an die Stirn
© mytrykau / Shutterstock
Es gibt da diesen Spruch über das Tanzen: "Ginger Rogers konnte genauso gut tanzen wie Fred Astaire. Aber sie tat es rückwärts und auf hohen Schuhen." Der Spruch erinnert mich an mein Leben als Mutter mit Migräne. Ich mache genau den gleichen anstrengenden Job wie alle Mütter da draußen auch. Aber ich mache ihn mit zusammengebissenen Zähnen und konstanten Schmerzen.

Ich habe Migräne, seit ich 13 Jahre alt geworden bin. An guten Tagen spüre ich nur einen leichten Druck hinter den Augen, an normalen Tagen begleitet mich ein permanenter Kopfschmerz. Und an den richtig schlimmen Tagen … da lösen sich Begrifflichkeiten wie "Tag" oder "Nacht" irgendwie auf. Dann liege ich ein komplettes Wochenende lang kotzend und zitternd im Bett. Kann nicht sprechen, nicht einmal die Augen öffnen und warte wie ein Häufchen Elend darauf, dass es vorbeigeht.


Migräne wird auch nicht durch Mutterliebe gestoppt


Schon vor der Schwangerschaft hatte mein Mann mich gefragt, wie das denn gehen solle, ein Kind großzuziehen, mit so einer Krankheit. "Das schaffe ich schon", schob ich seine Bedenken beiseite. Und glaubte tatsächlich, dass die Beschwerden auf magische Weise verschwinden würden, sobald das Baby da wäre. Mutterliebe schlägt Migräne, dachte ich. Leider falsch. Als das Kind auf die Welt kam, schwappte zwar mein Herz fast über vor Liebe, gleichzeitig aber machte mir mein schmerzender Kopf einen Strich durch die Rechnung. Hatte ich schon erwähnt, dass es zwei Dinge gibt, die sich besonders gut dazu eignen, bei mir einen Migräneanfall auszulösen? Diese zwei Dinge sind Lautstärke und Schlafentzug. Und wie hätte ich wissen sollen, dass Kinder in den ersten Jahren zwei Lieblingsbeschäftigungen haben: Sie wecken nachts ihre Eltern. Und sie schreien. Gerne auch mal ein paar Stunden am Stück. Meine Migräne wurde chronisch. Ich begann, ziemlich viele Schmerztabletten zu schlucken.


Sehr schnell habe ich gelernt, das Kind auch mal abzugeben, damit ich mich um mich selbst kümmern kann. Schon früh hat meine Tochter ihr erstes Wochenende allein mit ihrem Vater auf dem Land verbracht, während ich zu Hause blieb und versuchte, eine Tablettenpause einzulegen. Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen, und diese Vater-Tochter-Wochenenden sind noch immer ein regelmäßiger Programmpunkt in unserem Familienkalender.


Ich weiß, wie sehr die Mütter in meiner Umgebung damit kämpfen, auch mal ihren eigenen Bedürfnissen Priorität zu geben, ab und zu nur auf sich zu schauen, selfcare zu betreiben. Ich blicke in ihre große Augen und registriere ihre Sprachlosigkeit, wenn ich erzähle, dass ich ganze Wochenenden allein im Bett verbringe, während der Vater mit dem Kind Ausflüge macht, Familientreffen besucht und sogar kleine Urlaube plant. Ein paar von ihnen, da bin ich mir sicher, haben kein Verständnis. So schlimm kann es ja wohl nicht sein, denken sie. Und sie haben keine Ahnung.


Der Wunsch nach dem, was man mit Migräne nicht haben kann


Ich werde neidisch, wenn ich höre, dass diese Mütter sich darüber beschweren, wie langweilig es doch sei, Stunde um Stunde auf dem Spielplatz zu verbringen. Ich wäre froh über solche Nachmittage. Wäre froh, wenn ich dort einfach sitzen, ein bisschen mit dem Kind spielen könnte, ohne ständig nur mit meinem schmerzenden Kopf beschäftigt zu sein: Wie lange halte ich noch durch? Sieht das Kind, wie fertig ich bin? Wie viele Tabletten muss ich noch nehmen, bis es im Bett ist und ich den Schmerz wieder zulassen, aushalten kann?


Manchmal reicht meine Kraft erst gar nicht für den Spielplatz. Dann liegen wir im Bett, und ich lese Bücher vor, stundenlang. Einfach, weil das meiner Erfahrung nach die ruhigste und nervenschonendste Art ist, miteinander Zeit zu verbringen. Das jahrelange Lesen hat Spuren hinterlassen: Schon vor ihrem fünften Geburtstag konnte meine Tochter lesen und schreiben. Ich könnte stolz sein. Aber weil ich weiß, wo dieses Talent herkommt, tut es auch ein bisschen weh: Wäre die Zeit, in der meine Tochter das ABC gelernt hat, nicht eigentlich dafür da gewesen, mit ihrer Mutter draußen in der Welt zu sein und laute, aufregende Abenteuer zu erleben?


Der Aspekt, der das Leben meiner Tochter aber wohl am meisten beeinflusst, ist die Tatsache, dass sie niemals ein Geschwisterchen bekommen hat. Ursprünglich hatte ich mir mehrere Kinder gewünscht. Aber meine Ressourcen sind erschöpft. Der Gedanke an womöglich jahrelang laut streitende Geschwister an unserem Küchentisch schreckt mich zusätzlich ab. Und so bleibt unsere Tochter ein Einzelkind.


Stolz darauf, dass ich trotz der Schmerzen immer weiter mache


Ob ich ein schlechtes Gewissen habe? Manchmal ja. An schlimmen Tagen, wenn da nur Schmerz ist und Dunkelheit und kein Platz für ein Kind, wenn ich mich in Embryonalhaltung zusammenrolle und nur noch aus weiter Ferne spüre, wie zwei rettende Arme das Kind von meiner Bettkante ziehen, dann habe ich ein schlechtes Gewissen. Oder wenn mich meine Tochter fragt: "Mama, warum bist du immer so oft krank?" An allen anderen Tagen, an Tagen, an denen ich es wieder einmal überstanden habe, mich wieder einmal aufgerafft habe, an denen ich für meine Tochter da sein kann, da bin ich stolz. Darauf, dass ich ruhig und geduldig bleibe, während mir eigentlich gerade der Kopf platzt. Darauf, dass ich mich liebevoll um mein Kind kümmere, auch wenn alles in mir danach schreit, mich einfach nur um mich selbst zu kümmern. Darauf, dass ich trotz der Schmerzen immer weitermache.


Seit das Kind in den Kindergarten geht, ist es einfacher geworden. Und eigentlich wird es seitdem jeden Tag besser. Weil ich immer weniger gebraucht werde und wieder Zeit für mich habe. Außerdem gibt es da ein neues Medikament. Nachdem ich so ziemlich alles probiert habe, was der Migränemarkt hergibt, ist es das erste, das hilft. Ich staune darüber, wie einfach das Leben sein kann, wenn es einem gutgeht. Es ist schön, meiner Tochter zu zeigen, dass ihre Mama auch ausgelassen und energiegeladen sein kann. Die Migräne ist immer noch chronisch und wird niemals weggehen. Aber die Tage, die wir flüsternd und lesend im Bett verbringen, diese Tage sind weniger geworden. Manchmal mache ich jetzt sogar Musik an. Dann tanze ich mit dem Kind durch die Wohnung – wie Ginger Rogers und Fred Astaire.

Interview


Interview mit Dr. Bettina Müller, Neurologin mit Praxis für ganzheitliche Neurologie in Frankfurt am Main


ELTERN: Frau Dr. Müller, geht es vielen Ihrer Patientinnen wie der Autorin im Text?


Dr. Bettina Müller: So schlimm ist es selten. Die Hälfte meiner Migräne-Patienten haben relativ gut kontrollierbare Schmerzen. Ungefähr 30 Prozent geht es schlechter, denen kann man mit Medikamenten aber immer noch sehr gut helfen. Die restlichen 20 Prozent haben wirklich schlimme chronische Schmerzen.


Was können sie tun?


Als Erstes schauen wir, ob man mit Ernährung und Sport etwas bewirken kann. Was passiert zum Beispiel, wenn wir Gluten oder Laktose weglassen? Da kann man viel ausprobieren. Außerdem erzähle ich in fast jeder Sprechstunde, wie wichtig Sport ist. Vielen Frauen hilft Yoga, weil sich hier Verspannungen im Nacken lösen. Aber ich empfehle auch Ausdauersport. Egal welcher, Hauptsache, er macht Spaß – und der Puls geht dabei nach oben.


Und wenn das nicht hilft?


Der nächste Schritt sind Medikamente. Eine große Hilfe sind verschreibungspflichtige Triptane. Vorbeugend setzt man gerne auf prophylaktische Medikamente: Betablocker oder Antidepressiva haben oft erstaunliche Effekte auf Migränepatientinnen. Manchen hilft auch Botox, das in bestimmte Hals- und Kopfmuskeln injiziert wird. Letzter Schritt ist die Antikörper-Spritze. Sie ist gut, aber sehr teuer, weswegen wir als Ärzte beweisen müssen, dass alles andere bereits probiert wurde.


Was ist mit speziellen Schmerzkliniken?


Auch damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Hilfe kann eben sehr unterschiedlich aussehen. Die Schmerzkliniken bringen einen raus aus dem Hamsterrad. Ganz in Ruhe lernt man Entspannungstechniken und wird auf neue Medikamente eingestellt. Gerade Eltern mit einem hohen Anspruch an sich selbst profitieren sehr davon, wenn sie dort runterkommen können. Und einfach mal die Zeit haben, sich um sich selbst zu kümmern.


Welche Rolle spielen Hormone bei Migräne und Kopfschmerzen?


Eine große. Viele Frauen bemerken jede einzelne Hormonumstellung. Also vor allem in der Zeit rund um den Eisprung und in den Tagen der Periode. Wenn kein weiterer Kinderwunsch besteht, spreche ich mich mit der betreuenden Gynäkologin ab: Manchmal hilft es, die Pille durchzunehmen.


Angeblich gibt es Frauen, deren Beschwerden sich in der Schwangerschaft verbessern.


Das kommt sogar ziemlich oft vor. Auch hier liegt es an den Hormonen. Die Schwangerschaft, aber auch das Stillen und später das Abstillen können etwas verändern. Später dann, in den Wechseljahren, verbessert sich die Sache auch noch mal. Dann ist oft viele Jahre Ruhe. Interessanterweise gibt es aber bei Frauen im Alter um die 60, 70 Jahre manchmal noch eine Veränderung. Da tauchen dann plötzlich seltsame und atypische Arten von Kopfschmerzen auf. Aber das ist eher selten.

Eltern Family 9/ 2021 ELTERN

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