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Anmerkung der Redaktion: Die Wirksamkeit von Homöopathie über einen Placeboeffekt hinaus ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Dieser Artikel gibt die Meinungen der Autorinnen wieder.
Contra: "Auch Abstinenz ist manchmal ganz heilsam"
Die Meinung von Anke Willers zum Thema Homöopathie
Lange hat sie mich begleitet, und stets war sie hübsch anzusehen – meine homöopathische Hausapotheke: gehüllt in rotes Leder, gefüllt mit Kügelchen, die in transparenten Röhrchen auf ihren Einsatz warteten. Ich holte Arnika, wenn Jette nach einem Sturz in die Rosen Dornen in der Nase hatte. Ich holte Ledum, wenn Clara von Mücken zerstochen worden war. Und wenn mein Gatte nach einem feuchtfröhlichen Abend über Magengrimmen klagte, verklepperte ich fix etwas Nux vomica. Am liebsten aber war mir, wenn einer von uns Kopfweh hatte. Denn dann kam Belladonna zum Einsatz und – oh! – wie poetisch das klang: Belladonna! Das konnte nur heilsam sein. Egal, was Doppelblindstudien behaupteten.
Doch dann, in einem Sommerurlaub, habe ich sie verloren: Euphrasia, Belladonna, Arnika – und die anderen. Ich vergaß sie auf der Fensterbank eines Hotels in Siena. Danach wagte ich ein Experiment. Statt ein neues teures rotes Mäppchen zu kaufen, blieb ich "mittellos": Ich ließ ihn einfach kommen, den Herbst und den Winter. Clara hatte Schnupfen, Bauchweh, eingerissene Mundwinkel und Angst vor Hunden. Jette hatte blaue Flecke nach dem Schlittenfahren und Ohrenweh. Und ich? Nein, ich guckte nicht in die Röhrchen. Und gab niemandem die Kugel – stattdessen füllte ich Wärmflaschen, wickelte Zwiebeln, las Bullerbü vor – und wartete ab: bis die blauen Flecke weggingen. Und der Schnupfen. Und der Schnee. Und der Hund. Es war eine interessante Erfahrung. Denn Abwarten ist heutzutage aus der Mode gekommen. Ich jedenfalls hatte es verlernt. Und meine Kinder auch. Schließlich waren unsere Helfer aus der Globuli-Gruppe früher mindestens zweimal die Woche vorbeigekommen: Sie hatten ein einnehmendes Wesen. Und das konnte ja nicht schaden!
Heute denke ich: Doch, es kann schaden! Weil mir mein gesunder Menschenverstand sagt, dass eine wirksame Medizin nicht ohne Nebenwirkung sein kann! Und sollten Belladonna und ihre Freundinnen es tatsächlich so in sich haben, wie du, Uli, meinst, dann tun wir ihnen Unrecht mit unserer Trial-and-error-Herumdokterei. Denn wir behandeln sie wie harmlose Schnuckiputzis, die bei jedem Wehwehchen antanzen müssen – und die jeder richtig zu nehmen weiß.
Außerdem: Selbst wenn glaubhaft belegt sein sollte, dass etwas Chamomilla die kindliche Reizbarkeit vor der Hausaufgabenstunde mildert: Müssen wir immer was einwerfen, wenn das Leben gerade hart ist? Nein! Müssen wir nicht. Macht schlechte Zähne. Und, wer weiß, vielleicht auch: süchtig! Deshalb dürfen sich Euphrasia und Co. bei uns ruhig noch etwas rar machen. Sollte der Doktor sie irgendwann ausdrücklich vorbeischicken, lass ich sie gern rein. Bis dahin aber werde ich bei Beulen und Stimmungstiefs statt ins homöopathische Handbuch öfter mal ins italienische Wörterbuch schauen: "pusten? heißt dort "soffiare", und "Komm in meine Arme": "Vieni nelle mie braccia"...
Ist zwar kein Homöopathen-Latein. Wirkt aber auch. Und klingt fast so poetisch wie Belladonna.
Pro: "Niemals ohne meine Kügelchen, auch wenn das Krieg bedeutet."
Die Meinung von Ulrike Blieffert zum Thema Homöopathie
Also, meine homöopathische Apotheke befindet sich in einem handgenähten Mäppchen aus zartgemustertem blauem Stoff. Man kann das Mäppchen einrollen und mit zwei hübschen hellblauen Bändern verschnüren. Das ist aber auch das Einzige, was an der Homöopathie süß und verspielt ist. Letztens wollte eine Kollegin – nein, es war nicht Anke – mir das Jugendamt auf den Hals hetzen, weil ich Globuli auch bei Fieber gebe.
Es ist ja keine große Sache, "diese weißen Kügelchen" – wie meine Mutter sie argwöhnisch nennt – bei "Rosenbusch-Resten" in der Nase einzuwerfen. Weil sie einem dann das gute Gefühl vermitteln, etwas getan zu haben: "Hier, hast was Süßes, jetzt wird alles wieder gut!" Mein Sohn aber hat eine anständige Anamnese durchlaufen, und die Kügelchen werden ihm nicht von mir, sondern – genau! – vom Arzt verordnet. Und zwar deswegen, weil ich an Globuli glaube, obwohl ich weiß, dass man gar nicht an sie glauben muss, damit sie wirken. Sie wirken auch ohne Glauben. Das ist das Tolle an ihnen.
Andere sehen das anders. Sie finden diese Erklärung konfus, was sie ja auch ist, ich bin halt kein Arzt. Sie lassen durchblicken, dass man solchen wie mir das Sorgerecht entziehen sollte. Gehe ich so auf Leute los, die ihre Kinder mit Fieberzäpfchen und Antibiotika abfüllen? Nein, ich teile ihnen vielleicht meine Bedenken mit, wenn ich gefragt werde. Werde ich aber nicht. Denn es besteht nicht der leiseste Zweifel daran, dass richtig ist, was die Mehrheit tut und uns die Pharmaindustrie empfiehlt.
Warum also löst die Erwähnung von Globuli heftige Gefühlsaufwallungen aus, die mit Augenverdrehen und Fäusteschütteln einhergehen? Medizin, die nicht bitter ist, erscheint suspekt. Und dann noch diese kleinen weißen Kugeln, in denen so wenig von einem Stoff ist, dass eigentlich schon gar nichts mehr drin ist. Globuli sind bestens geeignet, seine eigene Sicht der Welt auf sie zu projizieren. Das Wort "Globuli" kommt ja auch von "Globus". Und das unschuldige Weiß, in dem doch alle Farben stecken, scheint Kontroversen generell zu befeuern: Ladet euch ein paar Leute zum Abendessen ein und sprecht mit ihnen über Zahn-Bleeching oder Zigaretten, weiße Socken oder weiße Kügelchen – und ihr werdet merken: Es gibt ihn noch, den Eisernen Vorhang. Die Frage ist nur, wer besser gerüstet ist. Es ist wahr, Anke, auch bei mir zeigt die Homöopathie schon Nebenwirkungen. Wenn ich mir mein blaues Mäppchen mit den hübschen Bändern so anschaue, erinnert es mich mitunter an eine – wenn auch niedliche – Zwangsjacke. Mit so einer werden die vom Jugendamt sicher demnächst kommen, wenn sie mich holen.
Lese-Tipp: Helfen homöopathische Kümmelzäpfchen für Babys bei Bauchweh und Blähungen?