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Kassenleistungen fürs Kind Impfungen & Co.: Wann lohnt es sich, mit der Krankenkasse zu verhandeln?

Frau mit Säugling auf dem Arm sitzt vor dem Laptop
© Drazen / Adobe Stock
Eltern-Kind-Kuren, besondere Therapien oder Hilfsmittel, Impfungen, die nicht für alle Kinder von der STIKO empfohlen werden: Wenn die Krankenkasse mauert, kann es es sich lohnen, sich nicht einfach abwimmeln zu lassen. Wann das der Fall ist und wie du dann am besten vorgehst.

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Wie so oft, dreht sich alles ums Geld. Krankenkassen sparen, wann immer sie können. Was grundsätzlich wichtig und richtig ist: Sie müssen ihre Mittel zusammenhalten, um den, vergleichsweise sehr guten, Standard unserer medizinischen Versorgung hierzulande sicherzustellen. Doch im Einzelfall, wenn Eltern wegen ihres kranken Kindes in Not sind, wenn sie wissen, dieses oder jenes Hilfsmittel würde unseren Alltag sehr erleichtern, diese oder jene Behandlung neue Hoffnung geben – und dann kommt der ablehnende Bescheid der Kasse! Jetzt geht es eben nicht nur um das Finanzielle. Es kommen Emotionen ins Spiel, heftige Emotionen: Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit. 

Wann können Krankenkassen Leistungen ablehnen?

Bei 96 Prozent der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen gibt es praktisch keinen Spielraum, weil sie gesetzlich vorgeschrieben sind. "Bei den üblichen Leistungen, zum Beispiel im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen, hören wir eigentlich nicht von Ablehnungen durch die Kasse", erklärt Sabine Wolter, Referentin Gesundheitsrecht bei der Verbraucherzentrale NRW. Eltern wenden sich vielmehr an die Fachberater:innen der Verbraucherzentrale,  wenn bestimmte Hilfsmittel nicht bewilligt werden oder wenn es beispielsweise  um Kostenübernahme für Impfungen geht, die nicht ausdrücklich von der STIKO, der Ständigen Impfkommission, empfohlen werden

Bei diesen Impfungen handelt es sich dann um Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die nicht zum genau definierten Leistungskatalog für die vertragsärztliche Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung zählen und die daher von den Patient:innen selbst zu bezahlen sind. Auch zusätzlich gewünschte Vorsorgeuntersuchungen gelten als IGeL. Dass die Kasse die Kosten dafür nicht übernimmt, heißt allerdings nicht, dass diese Leistungen keinen Nutzen hätten. Möglicherweise liegt auch nur noch keine Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) dazu vor. 

"Im Wesentlichen betrifft das Problem die speziellen Anforderungen von schwer chronisch kranken oder mehrfach schwerbehinderten Kindern – ein Therapiefahrrad, Schreibhilfen und vieles mehr. Da kann es durchaus vorkommen, dass die Kasse sehr zögerlich bewilligt", sagt Sabine Wolter. Vielleicht genehmigen sie zwar, aber eben nicht das ärztlich verordnete Hilfsmittel, sondern eine günstigere Alternative. Bei Rollstühlen kommt das zum Beispiel vor, wenn die besonders leicht oder wendig sein sollen, oder auch bei speziellen, individuell geformten Sitzschalen.

Was können Eltern tun, denen besondere Impfungen wichtig sind?

Jede gesetzliche Krankenkasse hat einen eigenen Rahmen von Satzungsleistungen. Steht in dieser Liste zum Beispiel die bundesweite FSME-Impfung oder auch die Impfung für Meningokokken B, übernimmt sie auch die Kosten, selbst wenn die betreffende Impfung nicht von der STIKO ausdrücklich empfohlen ist. 

Sabine Wolter rät, sich im Vorfeld über die Leistungen der eigenen Krankenkasse zu informieren, wenn einem bestimmte Leistungen wichtig sind, und sie mit dem Angebot anderer Kassen zu vergleichen. Auf www.krankenkassen.de findest du dafür ein praktisches Tool. Und die Kinderärzte im Netz listen auf ihrer Webseite zum Beispiel auf, welche Kassen die Impfung gegen Meningokokken B übernehmen. "Wenn ich dann feststelle, dass eine andere Kasse mehr bietet oder eben das, worauf ich Wert lege, ist der Wechsel ganz einfach. Das geht immer, wenn man 12 Monate bei der alten Kasse war. Die Kündigung übernimmt dann sogar die neue Kasse."

Sie warnt jedoch eindringlich davor, erst einmal die Impfung selbst zu zahlen und dann, in der Hoffnung auf Erstattung, die Rechnung einzureichen. "Wenn das keine Regelleistung der Kasse ist, ist das keine gute Idee. Da bleiben Sie auf den Kosten sitzen." 

Wie verhandele ich am besten mit der Krankenkasse?

Im Rahmen ihrer Satzungsleistungen haben die Krankenkassen durchaus gewissen Spielraum. Mitunter kann es also sinnvoll sein, direkt bei der Kasse Rücksprache zu halten. Die Autorin, Coachin und Kommunikations-Expertin Nicole Staudinger aus Köln hat uns diese 3 Tipps verraten, die bessere Erfolgsaussichten versprechen:

  1. "Der Ton macht die Musik. Auch wenn der Frust vielleicht schon groß ist, denken Sie daran, Ihr Gegenüber kann dafür erstmal nichts. Daher bitte im Tonfall unbedingt freundlich und nicht zynisch oder gar laut werden.
  2. Holen Sie Ihr Gegenüber ins Boot. „Was muss ich dafür tun, damit wir hier zusammenkommen?“, denn vielleicht können Sie ja wirklich etwas tun. Und lassen Sie sich immer den Namen geben, aber nicht mit dem Hintergedanken der Beschwerde. Gehen Sie vom Besten aus: „Sind Sie so nett und geben mir Ihren Namen, damit ich weiß, wer mir hilft.“
  3. Was will ich? In guter Kommunikation ist es DIE Frage. Was wollen Sie? Ist es realistisch? Denn neben allem verständlichen Ärger, gibt es auch gesetzliche Vorgaben. Wollen Sie nur Dampf ablassen, oder ihrem Gesprächspartner contra geben? Dann gehen Sie lieber zum Sport."

Was Sabine Wolter von der Verbraucherzentrale nicht empfehlen kann: ausführliche, emotionale Bitt- oder Bettelbriefe. "Die bringen erfahrungsgemäß überhaupt nichts."

Welche Leistungen brauchen denn eine Bewilligung von der Kasse?

Bestimmte Verordnungen fallen zwar unter die abrechnungsfähigen vertragsärztlichen Leistungen, müssen jedoch zuvor bei der Krankenkasse beantragt werden. Dazu gehören:

  • Reha-Maßnahmen
  • Kuren
  • Psychotherapie
  • Hilfsmittel (z. B. Hörgeräte, Rollstühle, Prothesen)
  • Heilmittel (z. B. Ergo-, Physio-, Sprech- oder Schlucktherapie)
  • Haushaltshilfe

Wie lassen sich die Chancen eines Antrags erhöhen?

Sabine Wolter rät: "Es ist hilfreich, wenn der Arzt mit der Verordnung für das Hilfsmittel ein paar Zeilen dazu schreibt, mit denen er die spezielle Verordnung begründet, also warum er eine bestimmte Ausführung für notwendig erachtet, welches Therapieziel er damit verfolgt." Denn: Anträge, bei denen es nicht um Standardleistungen geht, gibt die Krankenkasse meist weiter zur Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD). Und der entscheidet nach Aktenlage. Das heißt, wenn die nötigen, überzeugenden Argumente nicht in der Akte stehen, können sie auch nicht berücksichtig werden.

Das gilt auch bei Impfungen: "Es ist besser, wenn der Arzt ein besonderes Risiko bestätigt und somit die Impfung für geboten hält", erklärt sie. Wichtig: Jede medizinische Bewertung, die z. B. eine Verschlechterung der Situation oder aber einen Therapieerfolg darstellen, sollte immer möglichst aktuell sein. 

Antrag abgelehnt – was nun?

Im ersten Schritt solltest du immer den Bericht, also das Gutachten des MD anfordern. Nur so kannst du den Grund für die Ablehnung herausfinden und gegebenenfalls dagegen angehen. Denn du kannst gegen den Bescheid Widerspruch einlegen. Im Zweifel kontaktiert ihr sogar eine:n Fachanwält:in für Sozialrecht. "Bei komplexen Sachverhalten oder großem Wert kann das gut investiertes Geld sein", empfiehlt Sabine Wolter. Die Expertin oder der Experte kann dann prüfen, ob überhaupt ein Anspruch besteht und ob es schon eine Rechtsprechung für ähnliche Fälle gibt. Menschen, die nur wenig Geld haben, können  auch Beratungshilfe und für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe beantragen. 

Worauf kommt es bei einem Widerspruch an?

Solltest du einen ablehnenden Bescheid bekommen haben und dich dagegen wehren wollen, musst du innerhalb von einem Monat schriftlich Widerspruch einlegen. Wichtig: Nicht per E-Mail und nicht telefonisch! Am besten schickst du den Brief per Einschreiben und legst entsprechende medizinische Unterlagen oder Gutachten bei. Beegründe den Widerspruch mit ärztlicher Hilfe ausführlich. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) bietet dafür kostenfreie Unterstützung.  

Interviewpartnerinnen:

Quellen:

ELTERN