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Der Name klingt niedlich – doch hinter dem Rapunzel-Syndrom verbirgt sich eine psychische Störung, die ernste Folgen wie einen Darmverschluss oder eine Bauchfellentzündung haben kann. Zum Glück ist die Erkrankung äußerst selten: Weltweit sind nur vereinzelte Fälle dokumentiert. Wir erklären euch, mit welchen Symptomen sich das Syndrom genau äußert, wie die Erkrankung behandelt wird und warum ein verschlucktes Haar noch kein Grund zur Panik ist.
Was ist das Rapunzel-Syndrom?
Das Rapunzel-Syndrom betrifft vorwiegend junge Mädchen und ist eine potenziell lebensgefährliche, aber sehr seltene psychische Zwangsstörung. Die Betroffenen reißen sich ihre eigenen Haare aus (Trichotillomanie) und essen diese (Trichophagie). Sammeln sich die verspeisten Haare dann als verfilzte Haarklumpen oder Haarbälle im Magen und schlängeln sich wie ein Zopf bis in den Darm-Trakt – so, wie die langen Haare Rapunzels aus dem Turm herab – sprechen Ärzte und Ärztinnen vom Rapunzel-Syndrom. Die entstehenden Haarklumpen (medizinisch: Trichobezoare) können sehr groß werden, die Magenwand schädigen und im Verdauungstrakt der Betroffenen von Magen bis Dünndarm zu verschiedenen Komplikationen führen.
Warum ist das Rapunzel-Syndrom gefährlich?
Für unser Verdauungssystem ist menschliches Haar unverdaulich – verschlucken wir eines, scheiden wir es unverdaut wieder aus dem Verdauungstrakt aus. Isst ein Mensch über einen längeren Zeitraum größere Mengen seines (vor allem: langen) Haares, sammelt sich dieses im Magen, wo es verknotet und verfilzt. So können harte Haarknäuel (Trichobezoare) entstehen, die zu Bauchschmerzen und einer Beeinträchtigung des Verdauungssystems führen. Im schlimmsten Fall droht durch die Haarknäuel ein lebensgefährlicher Darmverschluss mit daraus resultierendem Absterben des betroffenen Darmteils.
Weitere mögliche Komplikationen der Zwangsstörung sind eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse oder des Bauchfells, eine Magenperforation sowie Nährstoffmangel durch die beeinträchtigte Verdauung. Abgesehen davon, geht das zwanghafte Ausreißen von Haaren und deren Verspeisung in der Regel mit psychischen Grunderkrankungen einher, die behandelt gehören.
Woran erkenne ich, ob mein Kind betroffen ist?
Wenn Kinder gelegentlich auf einem Haar kauen, sind sie nicht automatisch vom Rapunzel-Syndrom betroffen und leiden unter Trichophagie oder Trichotillomanie, also einer Zwangsstörung. Manchmal haben die Kleinen einfach eine sehr ausgeprägte orale Phase – und verspeisen neben Krümeln auch mal ein loses Haar, das sie auf dem Sofa finden.
Beginnt euer Kind allerdings, sich die eigenen Haare auszureißen und isst diese regelmäßig, ist eine ärztliche Abklärung ratsam – denn hinter diesem Verhalten kann ein psychischer Leidensdruck stecken. Kommen folgende Symptome hinzu, kann dies auf ein Rapunzel-Syndrom hindeuten:
- Kahle Stellen auf dem Kopf durch ausgerissene Haare
- Verstopfung und Appetitlosigkeit
- Gewichtsverlust
- Erbrechen
- Bauchschmerzen
- Verhärtungen unter der Bauchdecke
Zur Einordnung: Die Störung ist wirklich sehr selten, weltweit sind nur wenige Fälle dokumentiert. Laut Ärztezeitung waren im Jahre 2016 nur 89 Rapunzelsyndrom-Fälle auf der ganzen Welt bekannt – also kein Grund, euch als Eltern verrückt zu machen. Die Symptome sind (abgesehen vom Haare essen und ausreißen) zudem recht unspezifisch und können auch auf andere gastroenterologische Erkrankungen hindeuten. Trotzdem ist Vorsicht besser als Nachsicht und wenn euch das Verhalten eures Kindes Sorgen bereitet, sucht immer euren Arzt oder eure Ärztin auf.
Welche Ursachen hat die psychische Störung?
Es ist nicht geklärt, was genau das Rapunzel-Syndrom bei Mädchen und Jungen auslöst. Angenommen wird ein Zusammenhang mit kinderpsychiatrischen Erkrankungen und Vernachlässigung im Baby- und Kindesalter. Begleiterscheinungen können demnach Depressionen, Essstörungen wie Bulimie oder auch schizophrene Persönlichkeitsstörungen sein.
Wie wird das Rapunzel-Syndrom behandelt?
Liegt ein Rapunzel-Syndrom vor, also haben sich bereits Haarknäuel (Bezoare) gebildet, müssen diese operativ aus dem Magen und den betroffenen Darmteilen entfernt werden. Ob dem so ist, kann über eine Ultraschalluntersuchung oder eine Endoskopie herausgefunden werden.Je früher, desto besser – so können Komplikationen wie eine Magenperforation oder eine Ausweitung der Haarbälle unterbunden werden.
Sind die verfilzten Haarknäuel beseitigt, muss das Rapunzel-Syndrom zudem ursächlich behandelt werden: Also mittels einer psychiatrischen Behandlung und einer Psychotherapie das Essen und Ausreißen der Haare in den Griff bekommen werden. Hier sind Expert:innen für Kinderpsychiatrie und -psychotherapie die richtige Anlaufstelle.
Quellen:
- Ärztezeitung: Warum Menschen ihre eigenen Haare essen, zuletzt aufgerufen am 08.09.2023.
- Müller, Thomas: Rapunzelsyndrom – wenn das Haar den Darm verstopft, zuletzt aufgerufen am 08.09.2023.
- Gockel, Ines et al.: Das Rapunzel-Syndrom, in: Der Chirurg 74, zuletzt aufgerufen am 08.09.2023.