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Unsicherheit beim Kinderarzt Entspannt in der Praxis

Unsicherheit beim Kinderarzt: Mutter und Sohn beim Kinderarzt
© Seventyfour / Adobe Stock
Früher galt: Der Arzt entscheidet, was für seine Patienten richtig ist. Heute weiß man: keine gute Idee.

Es war eine dieser Routineuntersuchungen: U3, Hüftultraschall. Ich machte mir keine Gedanken, als ich mit meinem Sohn zum Vertretungsarzt ging. Unsere Praxis hatte geschlossen. Der Arzt schallte die Hüfte, ein Blick auf den Monitor, und während er sagte "Ihr Sohn braucht eine Spreizhose", holte er die Schiene schon aus dem Schrank und legte sie dem Kind an. Peng! Ich war wie vor den Kopf gestoßen, brachte noch ein "Wie lange denn?" heraus, dann war ich entlassen. Zu Hause kamen mir tausend Fragen. Ganz praktische ("Wie ziehe ich das Ding eigentlich richtig an?"), aber auch grundsätzliche: Was hatte der Arzt gemessen? Wie stark wichen die Werte vom Standard ab? Gäbe es alternative Behandlungen, und was wären die Vor- und Nachteile? Fragen, die ich gern dem Arzt gestellt hätte, die er, finde ich, von sich aus hätte ansprechen müssen. Stattdessen wurde ich abgefertigt.

Meine Unsicherheit wuchs und ich beschloss, mir eine zweite Meinung zu holen. Zwei Tage später saß ich bei einem anderen Arzt: Er schallte und schallte, schaute auf die Bilder, vermaß, schallte wieder und sagte schließlich: "Ich kann die Werte des Kollegen nicht reproduzieren. Meine sind alle besser."

Danach sprachen wir noch lange miteinander: Er erklärte, wann eine Spreizbehandlung empfohlen werde, welchen Nutzen sie habe, was passieren könne, wenn nicht behandelt werde. Ich stellte Fragen, er antwortete. Langsam konnte ich mir ein Bild machen. Schließlich fragte ich ihn: "Würden sie behandeln?" Er sagte: "Eher nicht!" Wir ließen es bleiben. Ob die Entscheidung richtig ist, wird sich erst in vielen Jahren zeigen. In dem Moment fühlte sie sich gut an, vor allem, weil der Arzt und ich sie gemeinsam getroffen hatten.

Auf Augenhöhe entscheiden

Man weiß längst, wie wichtig eine gute Kommunikation für den Behandlungserfolg ist. Während früher galt: Der Arzt weiß und bestimmt, was für seine Patienten gut und richtig ist, wird heute eine partnerschaftliche Entscheidungsfindung angestrebt. Das hat gute Gründe: Zwar verfügen Ärztinnen und Ärzte über medizinisches Wissen und Erfahrung. Sie haben Zugriff auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Aber die Wünsche, Vorstellungen, Erfahrungen und Ängste ihrer Patienten kennen sie nicht. Dieses Wissen ist für den Behandlungserfolg immens wichtig. Ein Beispiel: Wenn Eltern Angst vor Kortison haben, ist das Risiko groß, dass sie eine Behandlung mit dem Wirkstoff vorzeitig abbrechen. Im schlimmsten Fall reden sich nicht darüber, aus Sorge, sich vor dem Arzt rechtfertigen zu müssen. Der aber wundert sich, dass das Medikament nicht wie erwartet anschlägt, und greift eventuell zu noch stärkeren Dosierungen oder gar Mitteln, die die Eltern ihrem Kind erst recht nicht geben wollen. Die Behandlung scheitert.

Solche Situationen lassen sich vermeiden, wenn Arzt oder Ärztin und Eltern offen über die verschiedenen Behandlungsoptionen sprechen und gemeinsam eine Entscheidung treffen. Fachleute sprechen von Shared Decision Making (SDM). Hinter dem Konzept steckt weit mehr als ein schnell hingeworfenes "Wollen Sie jetzt Behandlung A oder Behandlung B?". Wie sollen Patienten diese Frage als Laien beantworten? SDM ist ein Prozess, der aus mehreren Schritten besteht. Er beginnt mit einem ausführlichen Gespräch, in dem der Arzt die Erkrankung und die Behandlungsoptionen mit ihren Vor- und Nachteilen erklärt, aber auch die Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und Vorstellungen der Patienten abfragt. Auf dieser Basis arbeitet er dann gemeinsam mit ihnen heraus, welche Behandlung am besten zu ihrer Situation passt.

Die Last der Verantwortung

"Es muss nicht der perfekte Weg sein", sagt Salim Greven vom Nationalen Kompetenzzentrum für Shared Decision Making am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. "Aber er muss für die Beteiligten richtig und vor allem praktikabel sein. Durch das gemeinsame Überlegen können sie die Verantwortung teilen."

Wie wichtig das ist, merkte ich damals bei meinem Sohn. Schließlich musste ich nicht für mich, sondern für einen anderen Menschen eine medizinische Entscheidung treffen. Ich spürte die Last der Verantwortung sofort. Was, wenn ich falsch liege und er sein Leben lang mit einem Hüftschaden zu kämpfen hat? Erst das Gespräch mit dem Arzt, das gemeinsame Überlegen und Abwägen, gaben mir Sicherheit.

Um über medizinische Fragen entscheiden zu können, brauchen Eltern gute und verständliche Informationen. Inzwischen bieten Krankenkassen, Kliniken und Internetportale zu vielen Krankheiten und medizinischen Fragen Entscheidungshilfen an, in denen die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsalternativen einfach und verständlich erklärt werden (siehe unten). Salim Greven und sein Team haben viele solcher Entscheidungshilfen erarbeitet, darunter eine zur Hüftdysplasie. Darin erfahre ich zum Beispiel, dass sich die Fehlentwicklung in fünf Schweregrade einteilen lässt, eine leichte Reifungsverzögerung nicht unbedingt behandelt werden muss und verschiedene Therapien zur Auswahl stehen. Es wird erklärt, wie lange die Behandlungen dauern, was sie bringen und wie sie sich auf meinen Alltag auswirken. Auf dieser Basis kann ich eine Prioritätenliste erstellen, die dem Arzt hilft, mit mir die weitere Behandlung zu planen. Hätte ich damals eine solche Entscheidungshilfe gehabt, wären mir viele Sorgen erspart geblieben.

Das Wohl des Kindes, nicht die Ängste der Eltern

Shared Decision Making ist aber nicht nur ein netter Ansatz für bessere Kommunikation, sondern ein wichtiges Instrument, um die Rechte der Kinder zu wahren. Denn so gern ich glaube, dass ich immer zum Wohle meiner Kinder handele, fließen doch unbewusst eigene Wünsche und Ängste in meine Entscheidungen mit ein – die, wenn es dumm läuft, eben nicht im Sinne der Kinder sind.

Laut der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder ein Recht auf Schutz, Teilhabe und Unterstützung. Bezogen auf medizinische Behandlungen bedeutet das: Ihr Wohl steht im Mittelpunkt, sie müssen altersangemessen informiert und in Entscheidungen einbezogen werden. Meinen Säugling konnte ich noch nicht fragen. Hätte der Arzt aber herausgefunden, dass ich eine eigentlich notwendige Spreizbehandlung nur ablehne, weil ich mir Sorgen mache, mein Kind könne leiden, wäre es seine Aufgabe gewesen, gezielt auf diese Ängste einzugehen.

"Die Behandlung muss sich am Wohl des Kindes orientieren, nicht an den Ängsten der Eltern", sagt der Kinderarzt Jürg Streuli, der an der Universität Zürich zu Shared Decision Making und ethischen Fragen bei der Behandlung von Kindern arbeitet. "Viele spätere Konflikte in der Behandlung entstehen dadurch, dass Ärzte Eltern oder Patienten zu schnell unterbrechen und damit die Gründe eines Anliegens zu wenig verstehen."

Je älter Kinder werden, desto wichtiger ist es, auch ihre Wünsche einzubeziehen. Einige Entscheidungshilfen der Universitätsklinik Schleswig-Holstein richten sich deshalb gezielt an Kinder. Sie bekommen in kurzen Filmen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten erklärt, damit sie mitentscheiden können, welche Option ihnen am liebsten ist. Was wie frühe Demokratiebildung klingt, kann im Alltag den großen Unterschied machen. Arbeitet das Kind freiwillig mit, steigt die Therapietreue, also die Chance, dass es seine Tabletten nimmt oder Übungen macht.

Im Idealfall treffen also Eltern, Kinder und Ärzte gemeinsam eine Behandlungsentscheidung, mit der alle Seiten gut leben können. Die Realität sieht leider oft anders aus. In Deutschland dauert der Kontakt zwischen Hausarzt und Patient sieben Minuten, der typische Arzt unterbricht seine Patienten nach elf bis 24 Sekunden. Das sind Durchschnittswerte, klar. Viele Kinderärzte nehmen sich mehr Zeit. Aber Eltern erleben auch, dass sie schnell abgefertigt werden. Was können sie tun, um mehr Gehör zu finden?

Gut vorbereitet zum Arzt

Die Patientenuniversität an der Medizinische Hochschule Hannover hat Tipps für den Arztbesuch zusammengestellt. (siehe unten) Sie rät, die wesentlichen Informationen schon in Ruhe zu Hause aufzuschreiben: Welche Beschwerden hat mein Kind? Seit wann und in welchen Situationen treten sie auf? Wie lange halten sie an? Was tut meinem Kind in dieser Situation gut? "Solche Notizen helfen, sich selbst zu sortieren, und der Arzt kann die Informationen in der knappen Zeit einer Konsultation besser einordnen", sagt Kinderarzt Jürg Streuli.

Für das Gespräch mit dem Arzt sind drei Fragen zentral, findet Salim Greven:

1. Welche Möglichkeiten habe ich?

2. Was sind die Vor- und Nachteile jeder dieser Möglichkeiten?

3. Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Vor- und Nachteile bei mir oder meinem Kind auftreten?

"Eltern müssen wissen: Es ist ihr Recht, nachzufragen und in die Entscheidungen eingebunden zu werden", sagt Greven.

Wichtig ist auch die Frage: Was passiert, wenn ich erst mal nichts tue? Oft besteht kein akuter Handlungsbedarf, und es ist Zeit, sich zu Hause in Ruhe über die verschiedenen Behandlungsoptionen zu informieren. Bei meinem Sohn beispielsweise hätte es keinen Unterschied gemacht, ob er die Spreizhose sofort oder erst drei Tage später angezogen bekommt. Weil der Vertretungsarzt uns aber schnellstmöglich wieder loswerden wollte, landete sie am Ende ungenutzt im Schrank. Eines habe ich aus dieser Erfahrung gelernt: Ich lasse mich nie wieder so in einer Praxis überrumpeln.

Von allergischem Schnupfen bis Zahnnerv-Erkrankungen: Das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz DNGK hat Links zu mehr als 170 Entscheidungshilfen zusammengestellt: dngk.de/medizinische-entscheidungshilfen/

Wenn ihr mehr zu Shared Decision Making wissen wollt: Das Projekt Share to Care am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein informiert ausführlich über das Konzept: share-to-care.de/

Oft fällt einem erst nach dem Arztbesuch ein, welche Fragen wichtig wären. Ärgerlich! Um das zu vermeiden, hat die Patientenuniversität Hannover eine Checkliste ins Internet gestellt: Einfach die passenden Fragen anklicken und die Sammlung anschließend als PDF ausdrucken: patienten-universitaet.de.

ELTERN

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