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Kinder-Ernährung Kriegen essgestörte Mütter essgestörte Kinder?

Kinder-Ernährung: Kriegen essgestörte Mütter essgestörte Kinder?
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Viele Frauen haben kein entspanntes Verhältnis zum Essen: Sie essen mal zu viel, mal zu wenig, zu einseitig oder zu unregelmäßig. Was passiert, wenn diese Frauen Kinder kriegen? Werden diese Essprobleme weitergegeben?

Wir haben uns mit dem Psychologen Dr. Martin Grundwald unterhalten. Er leitet die Deutsche Forschungsinitiative an der Universität Leipzig.

ELTERN: Herr Dr. Grunwald, was passiert, wenn Frauen mit Essproblemen Kinder kriegen? Vererben die ihre Essstörungen weiter?
Dr. Martin Grunwald: Ich würde nicht von Vererbung sprechen, sondern von Prägung. Das fängt schon in der Schwangerschaft an. Wir wissen z. B., dass Mütter, die in der Schwangerschaft gern Fisch oder Knoblauch essen, später häufig Kinder mit den gleichen Vorlieben haben.

Was ja bei Fisch oder Knoblauch kein Problem ist. Wie aber ist es, wenn Mütter nach der Geburt nicht normal essen? Zum Beispiel, weil sie Bulimie haben?
Dann steigt das Risiko, dass auch die Kinder später Essstörungen bekommen. Kinder entwickeln ihr Verhältnis zum Essen und zu bestimmten Nahrungsmitteln vor allem durch Vorbilder. Neigen Mütter z. B. dazu, sich in angespannten Situationen schnell und unkontrolliert irgendwas in den Mund zu schieben, lernen auch die Kinder nicht, wie man mit Stress, Angst oder Wut konstruktiv umgeht.

Nun leben Essgestörte solche Essanfälle ja meistens heimlich aus, bei den Mahlzeiten essen sie oft eher wenig und sehr diszipliniert ...
Ja, und auch hier wird dann eine negative Botschaft weitergeben, die vor allem bei den Töchtern ankommt, nach dem Motto: "Oh, essen ist gefährlich, man muss unheimlich aufpassen, sonst wird man dick, und das ist schrecklich."

Das passiert aber doch erst in der Pubertät?
Nein - ein Viertel aller Mädchen unter zehn hat schon mal Diät gemacht. Und auch schon Kleinkinder spüren etwas von diesem Geist. Wir wissen etwa, dass bulimische und magersüchtige Mütter ihre Kinder viel öfter streng nach Plan füttern. Weil sie selbst kein richtiges Hunger- und Sättigungsgefühl mehr haben, erkennen sie die Bedürfnisse des Kindes nur schwer und orientieren sich lieber an Packungsangaben oder einem vom Arzt vorgegebenen Stundenrhythmus.

Sind denn immer nur die Mütter schuld?
Natürlich nicht. Zwar sind für Frauen die Themen Figur, Essen, Gewicht meist wichtiger als für Männer - das hat aber gesamtgesellschaftliche Ursachen und hängt mit unseren Rollenbildern zusammen. Genauso wie die Tatsache, dass es immer noch mehr die Mütter sind, die nach der Geburt zu Hause bleiben. Und sich dann auch mehr ums Essen kümmern.

Was kann denn eine Mutter tun, die von sich selbst weiß: Ich bin beim Essen komisch? So ein Problem kann man ja nicht von heute auf morgen ändern!
Eine echte Essstörung wie Bulimie oder Magersucht muss immer therapeutisch behandelt werden. Unabhängig davon sollten sich Eltern aber klarmachen, dass ein Kind erst mal das Recht hat, beim Essen alles auszuprobieren: dazu gehören Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, aber auch der Lolli mit Farbstoff, Schokolade oder Pommes.

Müttern mit Essproblemen, fällt es oft schwer, das zuzulassen?
Ja, denn sie haben ein sehr enges Spektrum an erlaubten Nahrungsmitteln. Das Gleiche gilt aber übrigens auch für Familien, die auf gesund fixiert sind und nur Körner, bio und öko essen. Oder für Vegetarierfamilien, die nervös werden, wenn das Kind ganz wild auf Wiener ist.

Kritische oder abwertende Kommentare zu Gewicht, Figur oder Essverhalten des Kindes sollte man sich also möglichst verkneifen?
Ja. Kritische Sprüche über die eigene Figur im Beisein der Kinder übrigens auch. Und wenn man sich schon täglich wiegen muss, dann nicht vor den Kindern.

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