ELTERN family sprach mit Dr. Cornelia Schröder, Kinderradiologin in Kiel.
Warum sollten Kinder von einem spezialisierten Radiologen geröntgt werden?
Kinderradiologen müssen zusätzlich zu ihrer Ausbildung in der Allgemeinradiologie eine dreijährige Ausbildung in der Kinderradiologie ableisten. Ein Kind ist kein kleiner Erwachsener. Es gibt sogenannte alterspezifische Befunde, also Bilder, die in einer bestimmten Altersphase der Kindheit ganz typisch sind. Da muss man wissen: Was bewegt sich im Normalbereich - und was nicht? Gleichzeitig gibt es bei Kindern Erkrankungen, die im Erwachsenenalter nicht vorkommen, die man aber erkennen muss. Deshalb lernen Kinderradiologen in ihrer Ausbildung das gesamte Spektrum der bildgebenden Diagnostik mit allen Methoden und für sämtliche Organgebiete der Altersgruppe bis 18 Jahre kennen.
Können Sie ein Beispiel nennen für Phänomene, die nur bei Kindern auftreten?
Ein Beispiel, das die meisten kennen, sind Wachstumsfugen: Sie sehen auf Röntgenbildern wie Spaltbildungen aus. Wenn man nicht weiß, in welchem Alter welche Wachstumsfugen noch offen - also noch vorhanden sind - kann man sie für einen Bruch halten. Auch könnte man umgekehrt einen Bruch für eine Wachstumsfuge halten und somit den Handlungsbedarf übersehen.
Haben Kinderradiologen die Möglichkeit, die Strahlenbelastung klein zu halten?
Ja. In der Kinderradiologie wird heute im Allgemeinen mit digitalen Röntgengeräten gearbeitet, die hochempfindliche Detektoren haben. Fehlbelichtungen, die früher zu Wiederholungsaufnahmen führten, gibt es praktisch nicht. Auch wird ein Kinderradiologe immer streng darauf achten, dass das Strahlenfeld eng auf die Untersuchungsregion eingeblendet wird, dass also z. B. bei einer Aufnahme des Brustkorbs nicht der halbe Kopf mitabgebildet wird. Immerhin befindet sich im Unterkiefer strahlungsempfindliches Knochenmark. Kinderradiologen und ihre Mitarbeiter sind geübt darin, Kinder sanft und mit viel Ruhe in speziellen Halterungen zu fixieren, wenn während des Röntgens bestimmte Stellungen erforderlich sind. Ist eine Computertomographie notwendig, wird ein Kinderradiologe auf speziellen Kinderprogrammen bestehen, die mit niedriger Dosis arbeiten.
Gibt es Situationen, in denen man Röntgenaufnahmen durch andere Untersuchungen ersetzen kann?
Auf jeden Fall! Ein Kinderradiologe wird je nach Fragestellung Alternativmethoden anbieten können, die erstens aussagefähiger sind und zweitens ohne Strahlenbelastung auskommen. Diese Methoden sind der Ultraschall, also die Sonographie, und die Magnetresonanztomographie, abgekürzt MRT. Ein Beispiel: Beim Sturz auf die Hand kann es zu einer sogenannten Navikularefraktur kommen. Diese Brüche sind im Röntgen oft nicht sichtbar, die Magnetresonanztomographie liefert aber immer ein zweifelsfreies Ergebnis. Ein anderes Beispiel: Möchte man nachsehen, was dahinter steckt, wenn ein Kind immer wieder Bauchschmerzen hat, dann erfolgt das heutzutage strahlungsfrei durch die Sonographie. Röntgenaufnahmen des Bauches werden kaum noch benötigt. Man kann mit dem Ultraschall z. B. sogar den Mageneingang und -ausgang sehen und deren Funktion beim Trinken beobachten. So können Röntgen-Durchleuchtungen eingespart werden.
Kinder fallen gerne mal auf den Kopf. Sollte man da sicherheitshalber röntgen?
Da sollte man gar nicht mehr röntgen! Entscheidend für den klinischen Verlauf ist nämlich nicht der eventuelle Bruch, denn der heilt ja wieder von selbst, sondern die mögliche Blutung im Kopf. Letztere sieht man am besten mittels MRT, bei kleinen Kindern auch mittels Sonographie. Man muss hier immer bedenken: Wenn die Beschwerden an eine Blutung im Kopf denken lassen, dann muss relativ rasch eine Aufnahme des Schädelinneren, also des Gehirns, erfolgen! Ohne Strahlenbelastung ist dies mittels der MRT möglich. Da die MRT nicht überall genügend schnell verfügbar ist, muss alternativ in solchen Fällen die Computertomographie eingesetzt werden.
Es ist nicht einfach, einen Kinderradiologen zu finden. Woran liegt das?
Die Kinderradiologie in Deutschland kämpft um das Überleben des Faches! Es gibt nur 85 hauptamtliche Kinderradiologen, diese arbeiten meist als Einzelkämpfer an den Universitäten oder in großen Kinderkrankenhäusern. Es gibt nur neun niedergelassene Kinderradiologen in der freien Praxis. Die überwiegende Zahl der Kinderkliniken (über 300!) ist ohne Kinderradiologen. Das ist ein Missstand, der viel zu wenig bekannt ist! Es gibt kaum Ausbildungsstellen, also fehlt dem Fach der Nachwuchs. An eine flächendeckende Versorgung mit Kinderradiologen ist überhaupt nicht zu denken. Zur Zeit arbeitet die Politik aber leider so, dass die "kleinen" speziellen Fächer "totgespart" werden - den Kinderchirurgen geht es ganz ähnlich. Darunter leidet die gesamte Kinderheilkunde. Unglaublich ist auch, dass eine Exzellenzuniversität wie Heidelberg entschieden hat, keine eigenständige Kinderradiologie mit entsprechender Professorenstelle mehr zu benötigen. Eltern hätten sicher anders entschieden. Wir brauchen dringend die Unterstützung der Eltern, um hier eine Verbesserung zu erreichen!