Stress stört den Schlaf
Babys und Kleinkinder schlafen oft schlecht - das wissen wir, und damit leben wir. Aber auch nach dem zweiten Lebensjahr ist nicht unbedingt Schluss mit unruhigen Nächten: Kindergartenkinder träumen wild, Grundschulkinder sind oft schon zu gestresst, um gut einzuschlafen, und bei Pubertierenden ist die innere Uhr dermaßen aus dem Takt, dass sie nicht schlafen können, wenn sie schlafen sollten. Dabei ist regelmäßiger und ausreichender Schlaf lebenswichtig.
Ein Blick hinter die Kulissen zeigt, was im Schlaf passiert, warum er manchmal Probleme macht und was wann hilft:
Wenn wir abends einschlafen, verändert sich die Hirnstromkurve immer mehr in Richtung Tiefschlaf. Nach einiger Zeit wird der Schlaf wieder so leicht, dass man aufgrund der Daten denken könnte, der Schläfer wache gleich auf. Und dennoch: Genau jetzt ist es nahezu unmöglich, ein Kind zu wecken. Hebt man seinen Arm an, plumpst er wegen der niedrigen Muskelanspannung sofort wieder runter.
Diese Schlafphase wird REM-Schlaf genannt - nach den schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements), die sich durch die geschlossenen Lider beobachten lassen.
Im Tiefschlaf wird gelernt
REM-Schlaf und Tiefschlaf folgen bei Erwachsenen innerhalb einer Nacht etwa fünf- bis sechsmal aufeinander, bei Kindern noch öfter. Beide Phasen sind wichtig für das Wohlbefinden am nächsten Tag. Im Tiefschlaf wird zum Beispiel gelernt. Das heißt: Tagsüber gebüffelte Fakten wie Vokabeln, Geschichtszahlen oder der Inhalt eines Referats werden vom kleinen Zwischenlager Hippocampus an den sicheren Speicher Neokortex weitergereicht. Gleichzeitig, so eine neuere Vermutung, werden im Hippocampus gespeicherte Gedächtnisinhalte gelöscht, um so täglich frischen Speicherplatz zu schaffen.
In den REM-Phasen träumen wir und verarbeiten das Tagesgeschehen. Träume sind außerdem eine Art Trainingsraum für die Wirklichkeit, in dem sich neue Strategien und Verhaltensweisen ausprobieren lassen. Egal, ob es darum geht, den Streit mit der besten Freundin zu schlichten, dem Blödian aus dem Schulbus die Meinung zu geigen oder einen Volley im Tennis zu platzieren - im Traum ist alles möglich! In Wahrheit ist unser Gehirn nachts genauso aktiv wie tagsüber.
Wenn also reichlich Schlaf für optimale Lernprozesse unerlässlich ist, stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen hat es, dass Grundschüler in Deutschland an Schultagen immer eine Stunde zu wenig schlafen? (Wissenschaftler machen dies daran fest, dass die Kinder am Wochenende oder in den Ferien durchschnittlich 60 Minuten länger schlafen.)
Eine Stunde = wesentlich mehr Leistungsfähigkeit
Die Antworten darauf kommen aus der ganzen Welt: In einer Studie der psychologischen Fakultät der Universität Tel Aviv konnte ein Forscherteam um Dr. Avi Sadeh zeigen, dass eine zusätzliche Schlafstunde die Leistungsfähigkeit bei Kindern enorm erhöht und wiederum eine Stunde weniger Schlaf genügt, um die Gehirnfunktionen negativ zu beeinflussen. Für diesen Nachweis ließen die Forscher die Schüler in zwei von fünf Nächten ganz normal schlafen. Die anderen drei Nächte durfte die eine Hälfte der Probanden eine Stunde länger und musste die andere eine Stunde weniger schlafen. Am Anfang und am Ende der Untersuchung testeten die Forscher Reaktionszeiten wie zum Beispiel die Tippgeschwindigkeit am Computer. Außerdem mussten sich die Testschläfer an bestimmte Zahlenfolgen erinnern.
Das Ergebnis: Schüler mit weniger Schlaf hatten deutlich schlechtere Reaktionszeiten als vor der Untersuchung. Die Schüler mit der Extraportion Schlaf waren dagegen so viel schneller geworden, dass die Forscher die Leistungsdifferenz zwischen den beiden Gruppen mit dem entwicklungsbedingten Unterschied zwischen Viert- und Sechstklässlern verglichen!
Wenig Schlaf erhöht das Risiko für Übergewicht
Viel Schlaf macht aber nicht nur geistig und psychisch stark - er hält auch schlank! Schlafmangel verdreifacht bei Kindern dagegen das Risiko, übergewichtig zu werden. Das fanden Experten der Universität Laval in Kanada heraus. Kein anderer Faktor - übergewichtige Eltern, soziale Herkunft, Familieneinkommen, Medienkonsum oder Bewegung - wirkte sich so negativ auf das Gewicht aus wie mangelnder Schlaf.
Den genauen Zusammenhang zwischen Schlaf und dem Körpergewicht von Kindern haben die Wissenschaftler noch nicht geklärt. Aus Studien an Erwachsenen schließen sie jedoch, dass Schlafmangel hormonelle Mechanismen aus dem Gleichgewicht bringt. Das Hormon Leptin wird weniger, Ghrelin dafür vermehrt produziert. Leptin senkt das Hungergefühl. Ghrelin sorgt für das Gegenteil: Es stimuliert die Ausschüttung von Neuropeptid Y - und das steigert den Hunger.
Auch Wissenschaftler der Northwestern University in Chicago haben den Zusammenhang zwischen Schlaf und Gewicht erforscht. Für ihre Untersuchung sammelten die Forscher Daten von über 2.000 Kindern. Das Fazit: Auch hier macht wieder eine Stunde mehr Schlaf den Unterschied. Laut Emily Snell, Mitautorin der Studie, ist dabei auch entscheidend, wann das Schlafplus erfolgt: "Kinder zwischen drei und acht Jahren profitieren vor allem davon, früh schlafen zu gehen. Während zwischen acht und 13 Jahren das Übergewichtsrisiko besonders stark sinkt, wenn Kinder länger ausschlafen können."
Die Zeitfenster und die benötigte Schlafmenge verändern sich also mit dem Großwerden. Aber die weit verbreitete Formel "Je älter, desto weniger Schlaf genügt" ist leider falsch.
Schlaf im Grundschulalter: Lerche oder Eule?
Tatsächlich schlafen die meisten Grundschulkinder abends schnell und mühelos ein und durch, tagsüber sind sie fit und ausgeschlafen - auch weil Kinder in diesem Alter nie das Bedürfnis nach einem Mittagsschlaf haben (es sei denn, sie sind krank). Spannend ist diese Zeit trotzdem. Denn jetzt zeigt sich, ob ein Kind eher ein Frühaufsteher, eine sogenannte "Lerche", oder ein Nachttyp, eine sogenannte "Eule", ist. Diese Einschätzung ist deshalb so wertvoll, weil die innere Uhr, die den individuellen Rhythmus bestimmt, ein Leben lang bestehen bleibt. Wird sie zu oft gestört, schadet das der Gesundheit und dem Wohlbefinden.
Grundschüler schlafen schlechter als erwartet
Schlaf in der Pubertät: Völlig aus dem Rhythmus
Mary A. Carskadon leitet die Abteilung "Chronobiologie und Schlaf" am Bradley Hospital in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island. Jugendlichen wird nicht unbedingt gefallen, was sie zu sagen hat: "Die gängige Meinung, dass mit zunehmendem Alter immer weniger Schlaf gebraucht wird, stimmt nicht für die Jahre acht bis 20."
Schlimmer noch: Während der Pubertät benötigen viele Jugendliche wegen der Umbauarbeiten im Körper und im Kopf sogar etwa eine Stunde mehr Schlaf als in den Jahren davor. Durchschnittlich liegt das Schlafbedürfnis jetzt bei knapp zehn Stunden pro Nacht. Das ist aber schon allein deshalb utopisch, weil die wenigsten Jugendlichen zum Tagesschau-Beginn müde sind. Der Grund dafür: Die innere Uhr der Jugendlichen ist offenbar so gestellt, dass sie tatsächlich erst gegen 23 Uhr einschlafen können und erst nach neun Uhr morgens richtig wach werden. In diesem Zusammenhang verweisen Wissenschaftler wie Carskadon auf die Produktion des Schlafhormons Melatonin, das bei Jugendlichen erst zwei Stunden später als bei jüngeren Kindern seine höchste Konzentration im Blut erreicht.
Am Wochenende setzt die Schlafsucht ein
Ein Teufelskreis beginnt: spät einschlafen, aber schon früh wieder aus den Federn müssen. Da ist es kein Wunder, dass die meisten Jugendlichen in Deutschland unter einem chronischen Schlafdefizit leiden und am Wochenende dann das passiert, was Carskadon "binge sleeping" nennt (was sich etwa mit "Schlafsucht" übersetzen lässt): "Es hilft beim Auftanken, wenn von zwei Uhr morgens bis zwei Uhr nachmittags geschlafen wird. Aber damit wird dem Gehirn signalisiert:, Schlafzeit ist von zwei bis 14 Uhr!' Fatal, wenn dann Montagmorgen der Wecker klingelt!"
Carskadon empfiehlt deshalb einen Kompromiss: "Jugendliche sollten wochentags versuchen, achteinhalb Stunden Schlaf pro Nacht zu bekommen. Das ist zwar zu wenig, aber damit lässt es sich einigermaßen gut leben. Wenn sie dann am Wochenende etwa zehneinhalb Stunden pro Nacht schlafen, können sie sich erholen, bringen aber nicht die innere Uhr komplett durcheinander."