Ein Experte über die Hoffnungen, die auf Stammzellen gesetzt werden:
Prof. Dr. Thomas Dittmar ist der Leiter der Arbeitsgruppe "Stammzellen" am Institut für Immunologie an der Universität Witten/Herdecke und Sprecher für das nordrheinwestfälische Kompetenznetzwerk Stammzellforschung. Er ist außerdem einer der Autoren des Buchs "Stem Cell Biology in Health and Disease" (Stammzellenbiologie bei Gesundheit und Krankheit). Hier beantwortet er Fragen über die vielversprechenden Möglichkeiten von Stammzellen:
Prof. Dittmar, mit Stammzellen behandeln Ärzte heute schon Störungen des blutbildenden Systems. Forscher halten sie aber auch für vielversprechend, um eines Tages zum Beispiel Krankheiten wie Parkinson zu heilen? Wie wahrscheinlich ist das?
Wir züchten heute mit Stammzellen Knorpelgewebe oder Haut. Damit können Ärzte zum Beispiel Verbrennungen behandeln. Aber bei Schädigungen von anderen Gewebearten wird sicherlich noch viel Zeit vergehen, bis man es schafft, Therapien mit Stammzellen zu etablieren. Also zum Beispiel den Herzmuskel nach einem Herzinfarkt durch Stammzellen zu regenerieren. Oder sie bei Störungen des Nervensystems wie Alzheimer oder auch Parkinson einzusetzen.
Vor einiger Zeit haben Forscher Nabelschnurblut als eine Quelle sehr junger und potenter Stammzellen entdeckt. Können die vielleicht bald solche Krankheiten heilen?
Das Interesse an Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ist sicher auch entstanden, weil sich vor mehr als zehn Jahren gezeigt hat, dass blutbildende Stammzellen in der Lage sind, sich nicht nur in alle Blutzellen sondern auch in andere Zellarten zu entwickeln. Von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ist außerdem bekannt, dass diese Zellen besonders gut im Knochenmark anwachsen und dadurch geeigneter sind für Transplantationen als zum Beispiel blutbildende Stammzellen, die Ärzte aus Knochenmark gewinnen. Wir denken aber heute auch, dass Blutstammzellen nicht so leistungsfähig sind, wie es ursprünglich vermutet wurde. Zwar sind sie in der Lage, Leber- oder Muskelgewebe zu bilden, aber Nervengewebe nicht überzeugend. Auch gibt es widersprüchliche Meinungen, ob sie Herzmuskelgewebe bilden können.
Falls die tiefgefrorenen Nabelschnurzellen tatsächlich viele Jahrzehnte halten, sind sie dann für ein heute geborenes Kind eine große Chance?
Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, weil die Forschung noch zu wenig darüber weiß. Es gibt viel zu wenig verlässliche Langzeitstudien über die Behandlung mit eigenen Nabelschnurzellen.
Es ist vor ein paar Jahren gelungen, Zellen aus der Haut quasi rückwärts zu programmieren, so dass sie wieder ähnliche Fähigkeiten haben wie embryonale Stammzellen. Könnte diese Technik andere Stammzellenquellen in Zukunft ersetzen?
Embryonale Stammzellen sind ethisch bedenklich und dürfen in Deutschland nicht gewonnen werden, weil dazu ein Embryo zerstört werden muss. Die rückentwickelten (so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen, iPS-Zellen) sind ethisch unbedenklich. Und sie sind wie embryonale Stammzellen sehr leistungsfähig, das heißt, sie können sich in jede Gewebeart unseres Körpers entwickeln. Ich kann sie aus meinem Körper gewinnen und im Labor in die gewünschte Zellart ausreifen lassen. Das hört sich sehr einfach an, aber das Problem ist, dass die gegenwärtigen Herstellungsverfahren mit Viren arbeiten. Weil Viren ihr Erbmaterial zufällig in die DNS einer Zelle einbauen, kann es zu Schädigungen des Erbguts der Zelle kommen. Und das begünstigt wiederum unter Umständen die Bildung von Krebs.
Können denn solche rückentwickelten Zellen theoretisch Krankheiten wie einen Herzinfarkt heilen?
IPS-Zellen sind zwar in der Lage, jede mögliche Zellart unseres Körpers zu bilden. Allerdings wäre selbst mit ihnen nicht geklärt, ob sie auch ein Gewebe wieder regenerieren, also heilen. Ich kann sie ja nur punktuell einsetzen und sie müssen in die dreidimensionale Struktur einwandern. Das gilt für den Herzmuskel genauso wie für Nervengewebe und andere Gewebearten.