Heidi Gößlinghoff ist Frauenärztin und Reproduktionsmedizinerin. Sie berät und begleitet Frauen mit Kinderwunsch und hat dabei einen Schwerpunkt auf Frauen ab Mitte 30 und älter. Sie selbst hat ihre Kinder mit 38, 39 und 49 Jahren bekommen, auf natürlichem Weg. Im Interview gibt sie Tipps für den Umgang mit einem Kinderwunsch ab 40 plus.
ELTERN: Wenn Frauen übers Kinder kriegen nachdenken, rechnen sie oft mit ihrer biologischen Uhr bis 40 Jahren. Ist diese Einschränkung noch zeitgemäß?
Heidi Gößlinghoff: Ich glaube nicht. Viele Frauen sind heute älter, wenn sie in die Familienplanung eintreten. Dies Altersgrenze 40 ist ein bisschen von den Krankenkassen gemacht, weil sie ab dem 40. Geburtstag keine Kinderwunsch-Maßnahmen mehr bezahlen. Ich habe viele Frauen mit 40, 42, 44 Jahren durch eine Schwangerschaft begleitet, die völlig unkompliziert war. Es ist möglich. Ein wichtiger Faktor ist der Anti-Müller-Hormonwert, AMH genannt, der gibt Auskunft über die Eizellreserven. Ich hatte viele junge Patientinnen, die schon sehr schlechte Werte hatten und Über-40-Jährige mit guten Werten. Das schwankt sehr.
Ist das Alter für die Fruchtbarkeit also gar nicht so entscheidend?
Es ist der Hauptfaktor, das muss man leider sagen. Ab 35 sinkt die Fruchtbarkeit deutlich. Außerdem steigt mit zunehmendem Alter die Anzahl der Eizellen, die Chromosomenauffälligkeiten haben und entweder nicht befruchtet werden oder mit einer Fehlgeburt enden.
Es gibt einige Promi-Mütter, die ziemlich spät schwanger geworden sind. Da wird ein Bild in der Öffentlichkeit aufgebaut, dass man bis 50 ohne Probleme schwanger werden kann. Hier bin ich dann immer die Spielverderberin, wenn ich klarstellen darf, dass es zwar möglich ist, spät noch ein Kind zu bekommen. Aber es ist kein Spaziergang, auch wenn wir uns alle jünger fühlen als wir sind. Der biologischen Uhr unserer Eierstöcke ist das egal.
Was empfehlen Sie Frauen ab 40 Jahren, die mit einem Kinderwunsch zu Ihnen kommen?
Ich empfehle immer eine Basis-Diagnostik. Als erstes sollte das Anti-Müller-Hormon bestimmt werden. So bekommt man einen ungefähren Eindruck von der Anzahl an verfügbaren Eizellen. Genauer wird es, wenn man mit einem Ultraschall nach den Primärfollikeln schaut, das sind die kleinen unreifen Eizellbläschen. Drei bis fünf pro Eierstock sollten es sein. Wenn es weniger sind, wird es schwierig. Das muss man den Frauen klar sagen. Allerdings sagen alle diese Werte nichts über die Qualität der Eizellen aus. Die hängt stark davon ab, wie die Frau vor ihrem Kinderwunsch gelebt hat.
Das heißt, wenn eine Frau ihren Lebenswandel ändert, um schwanger zu werden, kann es bereits zu spät sein?
Wichtig ist, was sie vorher getan hat - oder gelassen. Starke Raucherinnen beispielsweise kommen bis zu fünf Jahre früher in die Wechseljahre. Die Eizellen und die Gebärmutterschleimhaut werden schlechter versorgt, da Rauchen die Gefäße verengt. Rauchen und Alkohol sind Zellgifte, die zu Chromosomenstörungen führen können. Je länger sich eine Frau gesund ernährt hat, desto besser.
Aber natürlich kann man immer etwas tun. Eine ausgewogene, pflanzenbasierte Ernährung hilft. Wichtig sind auch Nahrungsmittel mit Radikalenfängern wie Zink, Selen, Vitamin C, Vitamin E, Vitamin D und Omega-3-Fetten. Dann werden die Eizellen besser ernährt. Frauen können also in gewissem Rahmen die Qualität ihrer Eizellen verbessern.
Das ist doch eine gute Nachricht. Sie selbst haben ihre Kinder mit 38, 39 und 49 Jahren bekommen. Gelang das ganz spontan?
Ja, meine eigenen Schwangerschaften sind unkompliziert entstanden. Die letzte war ungeplant, aber wir haben uns sehr darüber gefreut. Vielen Frauen hat es Mut gemacht, dass ich selbst noch mit 49 Jahren entbunden habe. In meine Praxis kamen immer Frauen, die in den Kinderwunschkliniken abgewiesen wurden. Ich habe das Gefühl, die Kliniken wollen sich ihre Erfolgsquoten nicht verderben. Und die sind bei Frauen mit Ende 30 oder später geringer als bei 25-Jährigen.
Gab es bedeutende Unterschiede bei ihrer Schwangerschaft mit 38 und zehn Jahre später? Wie haben Sie das erlebt und welche Reaktionen haben Sie bekommen?
Es hat nie jemand negativ darüber gesprochen, zumindest nicht offen mir gegenüber. Aber es ist tatsächlich eine Frage der Kondition. Mit 38 war ich nicht so schnell aus der Puste wie mit 48. Am Ende meiner dritten Schwangerschaft war ich dankbar, nicht mehr den ganzen Tag arbeiten müssen, sondern nur noch halbtags. Ich hatte damals schon zwei Kinder, die auch etwas von ihrer Mutter haben wollten. Die waren neun und zehn Jahre alt. Es ist zu bewältigen. Aber es ist ein Kraftakt, ich war einfach schneller müde. Andererseits hatte ich schon zwei Kinder. Das hat mir geholfen. Eine grundlegende körperliche Fitness ist wichtig. Man muss keinen Leistungssport treiben, aber man sollte es schaffen, hinter so einem 3-jährigen Kind herzurennen.
Was raten Sie Frauen, die einen Kinderwunsch haben, aber meinen, zu alt dafür zu sein?
Ich empfehle, in sich hineinzuhören und sich vorzustellen, wie man auf diesen Wunsch 20 Jahre später zurückblickt. Entsteht das Gefühl, „Ach, hätte ich es bloß versucht!“, dann würde ich die Chancen abklären lassen. Wenn herauskommt, dass die Anti-Müller-Hormonwerte schlecht sind, es kaum reagierende Eizellen gibt und beide Eileiter zu sind, ist klar: Die Voraussetzungen sind schlecht. Dann kann man das verarbeiten und abschließen. Das ist besser, als sich immer zu fragen, ob es doch noch einmal geklappt hätte.
Die Fragen sind also: Wie stark ist der Kinderwunsch? Was bin ich bereit, dafür zu tun? Und wie würde ich später darauf schauen, dass ich nicht einmal die Basiswerte und damit die Möglichkeit abgeklärt habe?
Wie sind Ihrer Erfahrung nach die Vorteile einer späten Mutterschaft?
Die meisten Spätgebärenden haben einen sehr gesunden Lebenswandel. Sie sind bereit, alles für ihr Kind zu tun. Mit ihnen kann man sehr gut reden, sie halten sich an ärztliche Vorgaben und Empfehlungen während der Schwangerschaft. Außerdem sind sie deutlich ruhiger und gelassener. Sie haben Lebenserfahrung, manche haben Karriere gemacht und sind finanziell abgesichert. Vor allem aber sind es bei ihnen Wunschkinder, die mit sehr viel Herzblut herbeigesehnt werden. Deshalb habe ich immer gerne mit „älteren Frauen“ gearbeitet.