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"Bitte fass mich nicht an" Overtouched-Syndrom: Wenn Mütter nicht berührt werden wollen

Mutter mit Kind auf dem Arm
© Monkey Business / Adobe Stock
Babies und Kinder brauchen Körperkontakt und fordern ihn auch ein. Meist von Mama, meist 24/7. Doch manchmal ist es einfach zu viel. Unsere Autorin kennt das und will nicht mehr angefasst werden.

Meine kleinste Tochter war und ist ein Kuschelkind durch und durch. Wann immer sich die Gelegenheit bot, wurde Körperkontakt gesucht. Und auch heute noch, als Grundschulkind krabbelt sie regelmäßig nach dem Essen auf meinen Schoss, um nochmal ihren Kuschelakku aufzuladen, wie sie sagt. Und das ist okay, denn mittlerweile weiß ich: Die Momente sind gezählt. Dass sie Großwerden und dann gefühlt von heute auf morgen eigenständige Menschen sind, ist in der Theorie klar, aber wenn sie so klein und hilflos sind und bei allem Mama brauchen, kann aus diesen wunderschönen Kuschelmomenten durchaus auch ein "Bitte, lass mich einfach in Ruhe"-Moment werden. Nämlich dann, wenn jede Berührung nur schwer zu ertragen ist, egal wie zauberhaft das Kind oder liebevoll der Partner ist und wie sehr wir beide lieben.

Wir fühlen uns zu oft angefasst und berührt. Ständig überschreitet jemand unsere körperlichen Grenzen und setzt die Dynamik von Nähe und Distanz außer Kraft. Nähe kann man schließlich nur dann genießen, wenn es auch das Gegenstück gibt. Wir brauchen ganz dringend unseren Körper wieder nur für uns. Dieses Phänomen nennt sich Overtouched-Syndrom oder auch Touched out-Syndrom.

Liebesbeweis trifft auf Aggressionen

Einschlafen ohne zu stillen war bei uns undenkbar. Hinzu kam, dass jedes Mal, wenn meine Tochter müde wurde, ihre kleine Hand an meinem Hals, in meinem Gesicht oder an meinem Ausschnitt landete und dort vor sich hin zwickte und meine Haut knetete. Ihre Art Körperkontakt herzustellen und sich sicher zu fühlen, hat mich irgendwann nur noch aggressiv gemacht, besonders, wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als dass sie bitte endlich einschlafen möge, damit ich endlich, endlich mal eine Stunde für mich hatte, bis ich selbst todmüde ins Bett fiel.

Natürlich ist das unfair. Es steckt ihr Bedürfnis dahinter und auch ein ziemlich großer Liebesbeweis, weil dieses kleine Mäuschen, dass da neben mir lag, mich ganz nah bei sich haben wollte. Warum aber fand ich das manchmal kaum ertragbar?

Overtouched und endlos genervt: Das steckt dahinter

Hinter dem Overtouched Syndrom (direkt überbesetzt: "über-berührt") versteckt sich Folgendes: Junge Eltern, besonders oft Mütter, erleben ein"Zuviel" an Körperkontakt. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Kinder nicht lieben und mit ihnen kuscheln wollen. Doch vor allem bei Kindern, die noch sehr klein sind, gestillt und viel getragen werden wird oder einfach insgesamt viel Nähe brauchen, können Mütter und Väter das Gefühl bekommen, sie pausenlos an sich kleben zu haben. Dann kann es passieren, dass jede Berührung von Kind und Partner zu viel und kaum erträglich ist. 

Wie kommt es zum Overtouched-Syndrom?

Zu viel Oxytocin

Beim Kuscheln wird das Bindungshormon Oxytocin freigesetzt. Eigentlich fühlt sich das schön an, löst positive Gefühle wie Zuneigung und Wohlbefinden aus. Wenn jedoch ständig gekuschelt wird und jemand dauerhaft an einem klebt, wie das mit Babys oft der Fall ist, fühlen sich Eltern manchmal fast überflutet von diesem Hormon und es ist keinerlei Bedürfnis nach noch mehr davon vorhanden, sondern das Gegenteil ist der Fall: Das Bedürfnis nach Ruhe und Zeit für sich ganz allein wird größer und größer, vor allem, wenn es nicht gestillt wird. 

Zu wenig Me-Time

Mamas (und Papas), die die Berührungen ihrer Lieben nicht genießen können, haben zu wenig Zeit ganz für sich allein. Zeit, in der sie für niemanden zuständig sind und sich einfach mal zurücklehnen und durchatmen können. Wer sich rund um die Uhr um andere kümmert, bleibt irgendwann selbst auf der Strecke. Der Körper sucht sich dann ein Ventil für die angestauten Emotionen und den Stress, um die Psyche zu schützen. In diesem Fall macht er einfach dicht und fährt seine eigenen Mauern hoch. Wichtig ist deshalb: Overtouched zu sein, heißt keineswegs, dass wir keine Liebe mehr für unsere Liebsten empfinden, sondern einfach gerade ganz dringend eine Pause brauchen und unser Bedürfnis nach Zeit für uns selbst übergroß ist.

Was hilft dagegen gegen das Overtouched-Syndrom?

  • Wie schon erwähnt: Du brauchst dringend eine Pause und ein wenig Abstand. In der Regel sieht es danach schon wieder anders aus. Leider ein Tipp, der oft nicht so leicht in der Umsetzung ist. Kann dein Partner bestimmte Rituale übernehmen? Kannst du an den Abläufen schrauben, damit mehr Ruhe für dich reinkommt, vielleicht klappt es schon ab und an mit einem Babysitter oder die Großeltern können übernehmen oder nimm dir zur Not fünf Minuten, um dich wieder zu erden und verlasse den Raum für eine kurze Atemübung (natürlich nur, sofern das gefahrlos möglich ist). Falls all das nicht klappt, hilft dir vielleicht das Mantra: Es ist alles eine Phase und für dein Kind bist du das ein und alles. 
  • Sprich mit deinem Partner, damit er weiß, wie du dich fühlst. Sonst können leicht Missverständnisse entstehen. Überlegt gemeinsam, wie ihr euch gegenseitig entlasten könnt. 
  • Hör auf, dich selbst zu geißeln. Du bist auch nur ein Mensch und die wenigsten besitzen Nerven aus Drahtseilen. Es ist okay, auch mal nicht perfekt zu sein oder die Fassung zu verlieren. Versuch, deine eigenen Erwartungen herunterzuschrauben und es dir einfach mal leicht zu machen. Der Haushalt muss nicht perfekt sein, es darf auch mal Fast Food auf dem Tisch stehen. Sei lieb zu dir selbst, sei deine beste Freundin.
  • Berührungen, nur für dich: Massage, Wellness, Maniküre, Pediküre – also Berührungen, die nur dir gehören und die du genießen kannst. So tust du dir Gutes und spürst wieder, wie wundervoll Berührungen eigentlich sind. Auch Sport ist eine tolle Gelegenheit wieder mit dir selbst in Kontakt zu kommen. 
jba ELTERN

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