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"Nein!", "Meiner!", "Ich mache es!", sicher haben wir alle schon des Öfteren gehört, wie Kleinkinder mit fester Entschlossenheit ihre Unabhängigkeit verkünden. Sie versuchen mit allen Mitteln, sich mitzuteilen und ihre Autonomie einzufordern. Selbstbestimmung ist ein völlig normaler innerer Antrieb. Zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr erleben Kinder ein rasantes Wachstum in allen Bereichen. Mit der Entwicklung ihrer kognitiven, beziehungsweise denkenden Fähigkeiten, lernen sie Ursache und Wirkung kennen und experimentieren damit, wie sich ihre Handlungen auf ihre Umgebung auswirken. Bei manchen Kindern tritt dies jedoch schon früher ein, als bei anderen.
Was ist ein autonomes Kind?
Die Begrifflichkeit autonome Kinder wurde vom dänischen Familientherapeuten Jesper Juul geprägt. Hierbei handelt es sich nicht um eine vorübergehende Trotzphase. Autonome Kinder wollen quasi von Geburt an selbstständig sein. Juul geht davon aus, dass etwa 15 Prozent aller Sprösslinge in diese Kategorie fallen. Während viele Eltern autonome Kinder als falsch oder anstrengend wahrnehmen, geht es dem Familientherapeuten darum, den Begriff in ein positives Licht zu rücken. Eltern, die die Entwicklung von Autonomie unterstützen, sind in das Leben ihres Kindes eingebunden, fördern aber auch deren Unabhängigkeit und Problemlösungsfähigkeiten. Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern sowohl altersgemäße Autonomie als auch Handlungskompetenz zugestehen. Juul bezeichnet Kinder als "gleichwürdig", aber nicht als gleichberechtigt. Einfacher gesagt: Wenn sich autonome Kinder ernst genommen fühlen, verwenden sie nicht mehr so viel Energie darauf, ihren eigenen Willen durchzusetzen.
Merkmale: Wie erkennt man ein autonomes Kind?
Jedes Kind trägt Selbstbestimmung und Autonomie in sich. Bei manchen ist dies jedoch stärker ausgeprägt als bei anderen. Während sich die einen damit zufriedengeben, Dinge nicht zu bekommen, bestehen andere nahezu darauf, ihren Willen durchzusetzen.
An den folgenden Merkmalen erkennst du autonome Kinder:
- Autonome Kinder versuchen aufgrund ihres starken Willens stets, ihre Interessen durchzusetzen.
- Sie haben ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein.
- Sie kennen ihre Grenzen und wahren diese.
- Nur wenn sie die komplette Wahlfreiheit haben, sagen sie "ja".
- Ihr Verhalten erinnert an das einer erwachsenen Person.
- Sie nehmen nur Hilfe an, wenn diese unaufdringlich und ohne Manipulation entgegengebracht wird.
- Sie akzeptieren Körperkontakt nur, wenn er von ihnen ausgeht.
- Sie durchschauen pädagogische Maßnahmen schnell und wehren sich dagegen.
Welche Probleme können Eltern willensstarker Kinder haben?
Obwohl Jesper Juul immer wieder unterstreicht, wie bereichernd autonome Kinder sind, können die Kleinen für ihre Eltern eine Herausforderung darstellen. Schließlich bringen sie Charaktereigenschaften mit sich, die man von Säuglingen und Kleinkindern nicht erwarten würde. Eltern wollen ihren Kleinen Fürsorge und Zuneigung entgegenbringen. Da kann man sich schnell vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn das Kind einen eigenen Plan zu haben scheint und ein selbstbestimmteres Verhalten an den Tag legt. Werden autonome Kinder nicht als das erkannt oder "falsch" behandelt, kann das zu Machtkämpfen und Frustration in der Eltern-Kind-Bindung führen.
Was tun bei autonomen Kindern?
Autonome Kinder zu erkennen, ihr wunderbares Potenzial wertzuschätzen und zu akzeptieren, dass sie besonders stark zu ihren Wünschen stehen, ist die wichtigste Erkenntnis im Umgang mit den Kleinen. Im nächsten Schritt geht es darum, das Kind zu begleiten und sich die Frage zu stellen, was es braucht. Das ist individuell, von Kind zu Kind. Im Allgemeinen geht es jedoch darum, das Kind wahrzunehmen und ihm zuzuhören, aber als Elternteil gleichzeitig die Führung zu übernehmen. Besser gesagt: Kinder dürfen ihre Meinungen und Wünsche äußern, die Entscheidung liegt am Ende aber bei den Eltern. Insbesondere bei autonomen Kindern kann das zu wenig Akzeptanz und viel Frustration führen – gleichzeitig werden sie daraus aber lernen, dass man nicht immer das bekommen kann, was man will. Die Tragweite ihrer Entscheidungen können die Kleinen noch nicht absehen – also führt als Elternteil kein Weg daran vorbei, das letzte Wort zu haben. Dies sollte allerdings auf Augenhöhe geschehen.
Autonome Kinder: Braucht mich mein Kind überhaupt?
Falls du denkst, dass dein Kind ein Sonderfall ist und eine spezielle Betreuung benötigt – dem ist nicht so. Du hilfst deinem Sprössling schon dabei, indem du dich von festgefahrenen Erziehungsmethoden löst und individuell beobachtest, wer dein Kind ist und was es braucht. Autonome Kinder benötigen ihren Freiraum. Sie genießen es, ihre Ruhe zu haben. Das bedeutet nicht, dass du deinem Kind keine Beachtung schenken solltest. Aber respektiere, dass es regelmäßige Verschnaufpausen braucht. Die tun jedem Kind gut. Oft füllen wir die Terminkalender unserer Kleinen mit unzähligen Freizeitaktivitäten – dabei sind Pausen nicht nur erholsam, sondern steigern gleichzeitig die Konzentrationsfähigkeit. Hier gibt es viele spannende Konzentrationsübungen für Kinder.
Tipps für den Umgang mit autonomen Kindern
- Dränge dich deinem Kind nicht auf, sondern respektiere, dass der Körperkontakt von ihm ausgeht.
- Anstatt deinem Kind Anweisungen zu geben, kannst du ihm Wahlmöglichkeiten aufzeigen.
- Verzichte auf Babysprache und behandele dein Kind auf Augenhöhe. Oft kann man mit autonomen Kindern wie mit Erwachsenen sprechen.
- Beobachte dein Kind und versuche zu verstehen, wie sich die Bedürfnisse wandeln.
- Sei geduldig mit deinem Kind und gib ihm Zeit, um über Gespräche und Konflikte nachzudenken.
- Verzichte auf Machtkämpfe. Sprich stattdessen offen über deine Gefühle und Emotionen.
- Gehe authentisch mit den Kleinen um und verzichte auf übertriebene pädagogische Maßnahmen.
- Schenke deinem Kind ausreichend Freiraum.
Verwendete Quellen:
- "Nein aus Liebe: Klare Eltern – starke Kinder", Jesper Juul, 2014
- "Dein selbstbestimmtes Kind: Unterstützung für Eltern, deren Kinder früh nach Autonomie streben", Jesper Juul, 2022