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Im ersten Jahr
Sozial von Anfang an: Natürlich sind schon Babys Persönlichkeiten mit Vorlieben und Macken, aber zunächst sind sie mit anderen Dingen beschäftigt
Wenn kleine Menschen auf die Welt kommen, haben sie noch keinerlei Vorstellung vom eigenen Ich. Kunststück, erst mal geht es um die Basis – voller Bauch, leere Windel. Und trotzdem sind Neugeborene von Anfang an soziale Wesen: Sobald ein Baby weint, tun das andere auch. Schuld ist nicht der Lärm, jedenfalls nicht nur, sondern die Spiegelneuronen. Weinen und Lachen sind ansteckend. Schon ganz kleine Kinder spiegeln den Gesichtsausdruck ihres Gegenübers. Wenn Mama grinst, grinsen sie zurück, wenn Papa eine Grimasse zieht, versuchen sie, die nachzumachen. Das ist zunächst ein Reflex, an dem aber Tag für Tag geschraubt wird.
Vor allem, wenn Eltern feinfühlig auf die Bedürfnisse ihrer Kinder reagieren. "Wenn wir Babys von Anfang an respekt- und liebevoll behandeln, ihre Persönlichkeit ernst nehmen, dann kann die wachsen", sagt der Familienforscher Prof. Hartmut Kasten. Und das ist auch beinahe der einzige Tipp, den er Eltern geben kann, wenn sie ihren Nachwuchs bei der Ich-Entwicklung unterstützen wollen: Die Mäuse gern haben und ihnen ihre Gefühle erklären. "Du bist müde, deshalb musst du weinen." "Du bist wütend, weil der Bauch drückt." Alles andere funktioniert von alleine, weil es vor allem eine Sache der Hirnreife ist, wann aus einem Baby-Es ein Kleinkind-Ich wird. Irgendwann wird im präfrontalen Kortex ein Schalter umgelegt – beziehungsweise mehrere kleinere.
Ich bin Teil von einem Wir
Zum ersten Mal passiert das mit sieben, acht Monaten: Die Kinder fremdeln, sagen wir, dabei passiert eigentlich das Gegenteil. Mit etwa einem halben Jahr wissen Babys, dass sie nicht mehr fremd sind auf dieser Welt, sondern zu einer Gruppe gehören, zu Mama, Papa und dem großen Bruder. Oma schon nicht mehr, weil sie nicht jeden Tag da ist, und die nette Gemüse-Frau auch nicht. Babys verstehen jetzt – auch wenn sie es nicht benennen können –, dass es so etwas wie ein "Wir" gibt.
Und dass dieses Wir aus Einzelteilen besteht. Das ist verwirrend und macht Angst. Denn wenn Mama und ich nicht dieselbe Person sind, heißt das, dass Mama auch mal nicht da sein kann? Und wenn ich in die Küche krabble, bin ich dann für immer alleine? Kommt der Papa nach oder wartet er im Wohnzimmer?
Das müssen Babys immer wieder ausprobieren und sich dabei sicher und geborgen fühlen. So lange, bis die Abenteuerlust die Angst besiegt.
Im Zweiten Jahr
Unabhängigkeitsbestreben heißt …
… mit Karacho an der eigenen Persönlichkeitsentwicklung arbeiten. Wie Eltern damit klarkommen
Ella motzt, Ella mault. Ella wirft sich auf den Boden und schimpft: "Will nicht!" Und auch wenn das ganz schön nerven kann, hat sie gerade einen wichtigen Meilenstein gerockt. Sie versteht langsam, dass sie eine Persönlichkeit ist, ein Mensch, der eigene Entscheidungen treffen kann und für diese Ziele kämpfen muss. Dumm nur, dass Ich-Ausbrüche gern mal zur Unzeit kommen – beim Abholen in der Kita, im überfüllten Bus, beim Schlafengehen. Immer dann, wenn wir Großen auch nicht auf der Höhe unserer Möglichkeiten sind. Was dann hilft? Eine kluge Strategie.
1. Sich bewusst machen, was gerade passiert. Kinder trotzen nicht aus Ungehorsam oder um uns zu ärgern, sondern weil sie überfordert sind. Von hohen Treppenstufen, kniffligen Puzzleteilen, von Eltern, die Grenzen setzen, oder zu vielen Eindrücken am Tag. Es ist ein Ausdruck innerer Zerrissenheit, bei dem die Gefühle wie Vulkane aus Kindern herausbrechen. Das macht das Geschrei im Supermarkt nicht leiser und die Blicke der anderen Einkaufenden nicht weniger anstrengend, mit einem inneren Fahrplan im Kopf lässt es sich leichter aushalten. Wir müssen das Verhalten nicht abstellen, atmen besser tief durch, reden leiser statt lauter und nehmen den verzweifelten Wurm liebevoll in den Arm, sobald er das zulässt.
2. Sich einen Plan B überlegen. Nicht jede Situation lässt sich vermeiden, manche aber klug umschiffen. Wer den Nachwuchs auch mal einen Joghurt aus dem Kühlregal wählen lässt (auch den mit Vanille und zu viel Zucker), hat vor dem Süßigkeitenregal die besseren Argumente: "Du hast schon einen Joghurt ausgesucht, deshalb nehmen wir heute keine Schokolade mit." Funktioniert nicht immer, aber ist einen Versuch wert.
3. Überforderung vermeiden. Lego oder Playmo spielen, rutschen oder schaukeln, Wurst oder Käse aufs Brot – wer müde ist, kann keine weitreichenden Entscheidungen treffen. Dann ist es super, wenn Papa keine Fragen stellt, sondern einfach macht: "Ich denke, wir essen heute Butterbrot mit Gurke und Käse."
4. Lachen und loslassen. Gummistiefel zum Kleid und Schwimmflossen zum Regenmantel: Mitunter haben kleine Menschen sehr genaue Vorstellungen, was sie anziehen wollen. Das kann man ausdiskutieren, verbieten oder mit Humor nehmen. Ja, vielleicht guckt mancher komisch, aber egal – und irgendwann merkt sie auch, wie unbequem es ist, mit Flossen zu laufen.
Im dritten Jahr
Ich bin ich. Was Kinder stark und selbstbewusst macht
Hunde lernen es nie, Menschenkinder zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag: dass das Wesen im Spiegel kein Spielkamerad ist, der sich geschickt versteckt. Sondern sie selbst. Ob es schon so weit ist, lässt sich mit einem einfachen Trick herausfinden. Einen Punkt auf Stirn oder Nase des Kindes malen. Wenn es ihn im Spiegel sucht und wegwischt, ist die Sache gebongt. Euer Kind hat verstanden: Das Wesen im Spiegel und ich sind ein und dieselbe Person. Und weil in dieser Zeit der Wortschatz explodiert, nähern sich Kinder dem eigenen Ich auch sprachlich immer mehr an. Sie benennen, was ihnen unterkommt: Ball, Auto, Mama und sich selbst. Weil sie von den anderen mit Namen angesprochen werden, nennen sie sich zunächst genauso: Max trinkt, Max malt, Max rennt. Manchmal reden Ich-Anfänger von sich auch in der zweiten Person. Du machst das! Alleine, logisch. Verbessern muss man das nicht, weil das Wort "ich" schon um die Ecke lauert. Irgendwann ist es da und wird mit Begeisterung benutzt. "Ich will Schokolade, Roller fahren, später schlafen!" Dass sie das manchmal dürfen und manchmal nicht, steht auf einem anderen Blatt. Selbstbewusst und stark werden sie vor allem, wenn sie Spuren hinterlassen und selbst etwas bewirken können. So zum Beispiel:
Zeig deinem Kind, dass es gebraucht wird. Lass es mitmachen: das Waschbecken putzen, beim Bäcker die Brötchen bestellen, mit dem Roller in die Kita fahren statt mit dem Buggy.
Selbstgebasteltes macht stolz. Eine Laterne aus Käseschachteln, ein Puppenbett aus einem Schuhkarton, eine Kette aus großen Perlen.
Wer eigene Entscheidungen treffen darf, übernimmt Verantwortung. Natürlich wisst ihr, was gut für euer Kind ist. Deshalb bestimmt ihr auch, was es zu essen gibt. Wie viel wovon euer Kind isst (heute lieber nur Kartoffeln), darf der Nachwuchs selbst bestimmen. Und auch, ob er auf dem Spielplatz rutschen oder einfach nur abhängen will.
Superbuch für Ich-linge
50 Jahre hat Mira Lobes Buch inzwischen auf dem Buckel, trotzdem ist "Das kleine Ich bin ich" unübertroffen wunderbar für Menschen auf der Suche nach sich selbst: Pferd, Frosch, Fische, Vögel, sie alle wundern sich beim Anblick des rosa Fantasiewesens. Alle anderen sind anders, das lässt das kleine Tier beinahe verzweifeln, bis es merkt: "Aber sicherlich gibt es mich: ICH BIN ICH!" Astrein durchgereimt ist das Buch perfekt für alle, die sich gerade selbst entdecken.