Artikelinhalt
Sie heißen Emmo, Eka und Folas, Newton, Kuli oder Mellos: Wenn dein Kind zwischen zwei und vier Jahre alt ist, hat es vielleicht gerade einen unsichtbaren Begleiter bei sich, der es auf Schritt und Tritt überallhin begleitet. Das kennt ihr vielleicht aus Filmen oder Comics, wie Scooby-Doo und Calvin & Hobbs. Für Eltern kann so ein imaginärer Freund vielleicht ein wenig beunruhigend, eventuell sogar nervtötend sein. Beispielsweise, wenn man sich gemütlich in seinen Sessel fallen lässt und die dreijährige Tochter plötzlich schreit: "Vorsicht Papa, da sitzt doch schon der Inny!"
Ein imaginärer Freund als Begleiter
Oft werden Eltern von ihren Kindern auch angehalten, auf die Essgewohnheiten der Gäste Rücksicht zu nehmen. Imaginäre Freunde vertreten zum Beispiel häufig die Meinung, Paprika seien "ganz ungesund", Schokolade dagegen "gut für den Körper". Die meisten Mütter und Väter finden diese Erzählungen anfangs etwas irritierend. Wenn ihre Kinder dazu noch mit den fremden Wesen reden, sieht es aus, als führten sie Selbstgespräche.
Bestenfalls halten die Eltern ihren Nachwuchs dann für ein bisschen sonderbar. Manche jedoch machen sich echte Sorgen, dass ihr Kind mit der Realität nicht zurechtkommt und sich in seine Fantasie flüchtet. Dass es sich vielleicht einen unsichtbaren Freund schaffen muss, weil es keine echten Freunde findet. Aber könnte ein imaginärer Freund tatsächlich ein Problem sein?
Fantastische Freunde sind nützliche Wesen
Zur Beruhigung dieser Eltern sei gesagt: Das Problem ist in der amerikanischen Forschung mit aller Nüchternheit untersucht worden. Etwas Beunruhigendes steckt in den meisten Fällen erst einmal nicht dahinter – laut der US-Psychologin Page Davis erschaffen sich die meisten Kinder einen imaginären Freund schlicht aus Langeweile. Und es sieht sogar so aus, als seien Kinder mit imaginären Gefährten besonders gut fürs Leben gerüstet. In Befragungen erwiesen sie sich im Gegenteil zu den ersten Befürchtungen als kreativ, gesellig und überdurchschnittlich intelligent. Und bei ihren fantastischen Freunden handelt es sich keineswegs um Halluzinationen, sondern um durchaus nützliche Wesen.
Häufige Formen imaginärer Freunde
Ein imaginärer Freund erfüllt für das Kind meist eine gewisse Funktion und bekommt auch spezielle Wesenszüge angedichtet. Zu den häufigsten Formen der Fantasiefreunde gehören:
1. Spielgefährten
Es sind vor allem Einzelkinder und Erstgeborene laut der Psychologin Dorothy und ihrem Mann Jerome Singer, ebenfalls Psychologe, die sich imaginäre Freunde suchen. Aber auch Kinder mit Geschwistern haben Momente, in denen sie mit "Eka" oder "Inny" Vater-Mutter-Kind spielen oder ihnen aus einem Bilderbuch vorlesen. Etwa, wenn sie sich ohne einen echten Spielgefährten langweilen, schmollen oder einfach nur ihre Ruhe haben möchten.
2. Beschützer und Tröster
Zwei-, Drei-und Vierjährige haben nun mal oft Angst – und sei es nur vor dem Dackel der Nachbarn. Wer einen Traumtiger oder einen großen starken "Bruder" seinen Freund nennt, kann mit diesen Ängsten besser umgehen. Für Sebastian beispielsweise, dessen echter Bruder starb, als er zwei war, nahm Eka die Rolle des großen Freundes ein. Eka wusste viel, war stark und zeigte Verständnis, wenn Sebastian Krach mit seinen Eltern hatte.
3. Verbündete
Bei lästigen Diskussionen mit den Eltern kann man sich auf sie berufen: "Mein Freund sagt aber ...", lautet ein gern zitiertes, geflügeltes Wort. So behauptete Mavie, 4, als ihre Mutter sie von einem verbotenen Ausflug zurückholte: "Kuli und Mellos sagen aber, man darf da mit dem Roller fahren!"
4. Sündenböcke
Leonies Eltern zum Beispiel hörten einmal verwundert, wie ihre zweijährige Tochter fürchterlich mit dem ausgedachten Emmo schimpfte. Als sie in die Küche kamen, wussten sie auch, warum. Offenbar war es dieser Emmo, der ein Glas Apfelsaft vom Küchentisch gefegt hatte. Mit ihrem Gezeter nahm Leonie gleich mal vorweg, was von den Eltern zu erwarten war.
Warum auch immer sich Kinder imaginäre Freunde erschaffen – es handelt sich um eine kluge Strategie, mit der sich das Leben leichter bewältigen lässt. Und es zeigt wieder einmal, wie wenig schon Zwei- und Dreijährige auf unsere – wenn auch wohl gemeinte – Einmischung angewiesen sind.
Ein Zeichen von seelischer Gesundheit
Früher hielt man Fantasiegefährten für krankhaft, bemerkt Dorothy Singer: "Heute sehen wir darin ein Zeichen von seelischer Gesundheit." Muss man sich unter diesen Umständen gar Sorgen machen, wenn ein Kinder ganz ohne unsichtbare Freunde auskommt? So schlimm ist es auch wieder nicht – vielleicht hat es ja sogar welche, aber spricht nicht darüber. Oder es ist so oft mit echten Freunden zusammen, dass für andere gar kein Platz wäre. Es weist viel darauf hin, dass Fantasiegefährten heute ein Privileg jener Kinder sind, deren Zeit noch nicht verplant oder durch TV und PC belegt ist, die zwischendrin immer noch ein Stündchen für Tagträume übrig haben.
So können Eltern mit einem imaginären Freund umgehen
Bleibt noch eine Frage: Wenn Fantasiegefährten in der Familie auftauchen, muss man sich als Mutter oder Vater mit ihnen arrangieren – aber wie? So zu tun, als gebe es sie nicht, ist lächerlich. Sie sind ja da, im Kopf der Kinder. Wer das leugnet, riskiert, von seinem Nachwuchs nicht ernst genommen zu werden. Clevere Eltern versuchen, Spielkameraden wie Kuli und Mellos wie liebe Gäste zu behandeln. Schließlich verraten sie einem im Gegenzug einiges über Ängste und Sehnsüchte seines Kindes. Man kann sie freundlich um Rat fragen oder auch versuchen, sie auf seine Seite zu ziehen: "Ich glaube, Emmo ist müde und will, dass du den Fernseher jetzt ausschaltest!"
Quellen
- Imaginary friends open up fantastic world, News ins Science unter abc.net.au, zuletzt abgerufen am 10. März 2023
- Imaginary Friends and Enemies All Good, Scientists Say, livescience.com, zuletzt abgerufen am 10. März 2023