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Rassismus ist nicht gerade ein Thema, das sich in einem Kindergarten vermuten lässt. Ballspielen, Malen und Toben – das ja. Aber rassistische Denkweisen analysieren, erkennen und lernen, diese zu vermeiden? Das klingt vielmehr nach einer Debatte unter Erwachsenen am Abendbrottisch, als nach einem Gespräch bei Apfelschnitzen in der Kindergartengruppe.
Dabei gehört es genau dort hin, findet Erzieherin Luisa B.. Sie bereitet gerade ein Projekt namens "Ich und Du" vor. Darin geht es um Identität, Selbstfindung, soziales Miteinander, Ähnlichkeiten, aber eben auch Unterschiede zwischen Menschen. Das Thema existierte schon lange, bevor sich 2020 die Debatte um den Tod von George Floyd entzündete. Denn Rassismus geschieht jeden Tag, in Deutschland und den USA, im Großen, aber vor allem im Kleinen im Alltag – und ist daher bereits bei den Kleinsten gut aufgehoben. Im Interview verrät die Erzieherin, wie und wieso sie mit ihren Kindergartenkindern offen über Rassismus spricht.
Wieso wir mit Kindern über Rassismus sprechen sollten
Luisa, viele Eltern fragen sich gerade: Kann und sollte ich mit meinem Kind schon über Rassismus sprechen?
"Also ob ist gar keine Frage und da gibt es auch eine ganz einfache Begründung für: Wir Erwachsene merken ja gerade, dass wir in eine Gesellschaft reingewachsen sind, die eben noch durch Privilegien gekennzeichnet ist. Die immer noch Rassismus beinhaltet. Das sieht man ja teilweise schon bei den eigenen Eltern, die vielleicht mit Begriffen um sich werfen und gar nicht merken, dass sie rassistisch sind, weil sie es gar nicht böse meinen."
Können Kinder denn schon mit dem Thema umgehen?
"Es ist sogar am besten, wenn man schon im Kindesalter anfängt. Dann beginnt man ja auch, Kindern Werte wie Höflichkeit, Toleranz usw. beizubringen. Wichtig ist dabei auch Resilienz – wenn man zum Beispiel selbst in dem Alter schon mit Rassismus konfrontiert wird. Wenn ein Kind aufgrund von Hautfarbe oder Herkunft ausgegrenzt wird, muss man schon im Kindesalter eingreifen. Ich finde, dass es dabei auch weniger um eine Meinung, sondern etwas Selbstverständliches geht: Andere Leute zu verletzen, auszuschließen, im schlimmsten Fall sogar Gewalt anzuwenden, da gibt es keine Meinung dazu, das ist einfach falsch.“
Manche Menschen meiden das Thema Rassismus mit Kindern ja auch, um nichts falsch zu machen. Vor welchen Fehlern sollte ich mich hüten?
"Ein großer Punkt ist, dass man Kindern nicht beibringen sollte: Du musst jetzt alle nett finden, zum Beispiel alle, die Schwarz sind oder anders aussehen als du. Darum geht es nicht, das wäre ja auch wieder Rassismus! Da macht man eine Charaktereigenschaft an der Hautfarbe fest, das ist genau das, was wir nicht wollen. Ein Klassiker ist da: "Ach, die Homosexuellen, die sind immer alle so herzlich". Das ist zwar nicht Rassismus, aber sexuelle Identität. Das ist ja Quatsch. Man darf jemanden auch blöd finden. Nur der Grund dafür sollte nicht die Hautfarbe sein. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die man Kindern immer wieder beibringen muss. Und dazu gehört auch, dass man jetzt nicht aus Angst davor, rassistisch zu wirken, mit jedem spielt, der irgendwie anders aussieht, den man aber gar nicht mag."
Also muss man aufpassen, auch keine Bevorzugung anzulernen.
"Man sollte nicht vermitteln, dass wir alle gleich sind. Ja, wir sind alle Menschen, aber wir sind nicht alle gleich. Und das ist doch gut so und schön, dass wir alle verschieden sind. Und auch nicht alle weißen oder alle schwarzen Menschen sind gleich. Wir sind alle verschieden und das ist gut. Das Wichtige dabei ist: Wir sind alle gleich viel wert. Das sollte man den Kindern beibringen.“
Das klingt immer so leicht. Und wie macht man das?
- "Ein ganz großes Thema sind natürlich Bücher. Zwei Klassiker sind "Irgendwie anders“ und "Elmar“. Beide beschäftigen sich mit Diversität und Ausgrenzung.
- Dann kann man Selbstportraits zeichnen lassen oder bei kleinen Kindern die Hände. Und dabei auch ruhig die Hautfarbe mit einspielen lassen: Haben wir überhaupt alle die gleiche Farbe? Nein, die ist immer unterschiedlich.
- Da gibt es auch Experimente zu: Alle Kinder nehmen eine Zitrone und man fragt, wie sie aussieht. Klein, rund, mit Beulchen vielleicht. Wenn man sich dann aber mal einen ganzen Beutel Zitronen anschaut, sieht man, eine ist kugelrund, andere etwas länger – die sehen nie gleich aus. So kann man das auch mit den Körpern machen. Das geht auch unabhängig von Rassismus darum, sich kennenzulernen. Dass man seinen eigenen Körper näher betrachtet, wertfrei guckt, welche Form hat meine Nase, habe ich lange oder kurze Finger. Und dann feststellt: Selbst mit gleicher Hautfarbe sehen wir alle überhaupt nicht gleich aus. Und das hat überhaupt nichts zu sagen.
- Dann kann man auch Rollen- oder Puppenspiele machen, wo zum Beispiel Ausgrenz-Situationen explizit vorspielt und Kinder fragt: Wie ist das für dich? Ist das richtig, was da passiert? Fällt dir überhaupt etwas auf? Wie fühlst du dich dabei? Es geht dabei darum, Empathie zu empfinden. Es gibt ja nicht nur Ausgrenzung aufgrund von Aussehen, sondern auch von anderen Sachen, die jeder irgendwann mal erlebt – und ein schönes Gefühl ist das nie.
- Mit älteren Kindern kann man auch schon eine Analyse des sozialen Umfelds starten. Wo komme ich her? Welche Hautfarben gibt es in meiner Familie, in meinem Freundeskreis? Und dann wirklich auch schon fragt, ob sie bereits rassistische Erfahrungen gemacht haben.
Es gibt also viele Möglichkeiten, spielerisch an das Thema Rassismus heranzugehen, aber das wirklich Wichtige ist, dass es nicht verschwiegen wird, sondern immer wieder zur Sprache kommt. Ich glaube, man sollte ganz offen mit Kindern reden und vor allem, sobald rassistische Konflikte aufkommen – und sei es nur im Spiel – sofort eingreifen. Um dem Kind, aber auch allen anderen Anwesenden, zu zeigen: Das ist falsch."
Können wir unsere Gesellschaft also vielleicht sogar nur dann ändern, wenn wir schon bei Kindern ansetzen?
"Man geht ja immer davon aus, Kinder sehen Rassismus noch nicht. Ich glaube auch, dass das so wäre – wenn da nicht die Erwachsenen wären und ihre Kinder in eine Welt einführen, die leider von Vorurteilen geprägt ist. Dieses Muster müssen wir aufbrechen."
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Luisa!
Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.
