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Zusammen spielen
Da ist er wieder, dieser grimmig-enttäuschte Blick: Die Augen zusammengekniffen, die Unterlippe weit nach unten gerollt. Als hätte unser Kühlschrank mal wieder ihren Lieblingspudding gefressen. Aber es ist noch viel schlimmer: Meine Tochter schmollt, weil ich gerade eine Fünf gewürfelt habe. Und mit der gelangt meine Spielfigur zurück in ihr Haus. Gewonnen! Für Annika bedeutet das aber: verloren. Letzte sein.
Ich versuche, meine Fünfjährige aufzumuntern: "Man kann nicht immer gewinnen, Schatz. Nächstes Mal hast du bestimmt wieder Glück." Und füge dann noch ganz pädagogisch hinzu: "Es ist doch viel wichtiger, dass das Spiel Spaß macht. Wer am Ende gewinnt, ist ganz egal!" Von wegen! "Will ich aber" kontert meine Tochter bockig.

"Der Ärger muss raus!"
Dass ich einen Kardinalfehler begangen habe, erfahre ich erst später von Dr. Armin Krenz: "Der Ärger muss doch raus! Man muss die Kinder dort abholen, wo sie stehen. Also ihr Gefühl bestätigen, damit sie ihren Frust ausleben können." Krenz, der als Wissenschaftsdozent am Institut für Angewandte Psychologie und Pädagogik in Kiel arbeitet, hätte gesagt: "Dieser blöde Würfel! Ich war als Kind auch immer richtig wütend, wenn ich verloren habe. Ich hab sogar mit Kissen geschmissen!" Statt Annika zu beschwichtigen, hätte ich sie also auffordern können, mir auch mal zu zeigen, wie sauer sie tatsächlich ist. Denn: "Nur wenn die Wut sein darf, kommen Kinder auch schnell wieder aus ihr heraus", sagt Kerstin Bahrfeck-Wichitill von der Uni Dortmund, die als Sprachpädagogin mit chronisch schlechten Verlierern über das faire Spielen spricht.
Verlieren als Existenzbedrohung
Was wir Erwachsenen uns nur schwer vorstellen können: Eine verlorene Partie "Pass auf, der Wolf" ist für Kinder nicht einfach nur Pech, sondern eine echte Existenzbedrohung - eine brutale Antwort auf Fragen wie: "Wer bin ich?" und "Was kann ich?" Das kratzt am Selbstwertgefühl. Und wer davon noch nicht genug hat, fühlt sich schwach und verletzlich. Denn der kleine Spieler erfährt: Ich habe mir Mühe gegeben und trotzdem verloren. Sollten wir unseren Kindern diese Erfahrung also besser ersparen? "Uno" und "Mensch-ärgere-dich-nicht" aus dem Kinderzimmer verbannen? "Nein", meint Armin Krenz. "Dass Kinder hin und wieder schlechte Verlierer sind, ist völlig normal." Wie bei nuns Erwachsenen spiele dabei auch die Tagesform eine Rolle.
Nachholbedarf in Sachen Selbstsicherheit
Das beruhigt mein Mutterherz. Denn Annika kann in der Tat auch mal gut verlieren. Neulich beim Uno Spielen lag sie sogar um vier verlorene Partien zurück und hatte immer noch ein Lächeln auf den Lippen. Lag es an dem großen Schokoladeneis, das sie vorher verputzt hatte? Bei ihrem Freund Enzo gingen Spiele dagegen stets gleich aus: mit Krawall. Entweder flogen die Figuren durch den Raum, oder er zerfetzte vor lauter Frust das Spielbrett.
"Wenn Kinder auch im Vorschulalter beim Verlieren noch ständig um sich schlagen, wenn sie immer Erster sein und stets bestimmen müssen, was gespielt wird, dann sollte man genauer hinschauen", sagt Armin Krenz.
Bei diesen Kindern bestehe offenbar noch Nachholbedarf in Sachen Selbstsicherheit. "Denn eigentlich sollten Fünf-, Sechsjährige schon genügend Seelenproviant gesammelt, um - meistens - fair verlieren zu können" so Krenz. Kinder, die Ich-Stärke im Sinne von "Ich bin was, ich kann was" aufgebaut haben, verfügen über jene innere Zufriedenheit, die es einem erlaubt, abzugeben und ohne Groll zu verlieren.
Spiele ohne Konkurrenzkampf
Enzo, heute knapp sechs Jahre alt, scheint inzwischen die Kurve gekriegt zu haben und sein Nachholbedarf an "Seelenproviant" gedeckt zu haben: Seit er die Vorschule besucht, streitet er sich weniger mit Gleichaltrigen, ist weniger aufbrausend und kann auch mal verlieren. Vielleicht, weil die Mama ein neues Abendritual eingeführt hat und sich in letzter Zeit bewusst viel um ihn kümmert. Vielleicht, weil seine Klassenlehrerin über besonders gutes Händchen verfügt. Vielleicht auch, weil es mehr Spiele spielt, bei denen das Siegen nicht im Vordergrund steht. "Womöglich ist es eine Mischung aus allem. Aber den letzten Punkt darf man nicht unterschätzen" sagt Armin Krenz. Er hält Beweguns-, Kreis- und Rollen- oder Bauspiele, in denen Kinder ihren persönlichen Wert erfahren, für wichtiger als Brettspeile, bei denen es um Konkurrenzkampf geht. "Wer den Frust aushalten kann, wenn zum Beispiel der selbst gebaute Turm einstürzt, ist auch gewappnet für ein Spiel, bei dem es ums Gewinnen geht."
Wie man es kleinen Verlierern leichter macht
Tipps von Sprachpädagogin Kerstin Bahrfeck-Wichitill
- Ärger zulassen: Je mehr sich ein Kind verstanden fühlt, desto eher kann es sich wieder beruhigen.
- Aggressive Rauswerf-Spiele nicht zu oft spielen.
- Öfter mal kräftig auf die Spielfiguren schimpfen
- Mitspieler um Verständnis für schlechte Verlierer bitten: Das frustrierende Gefühl kennt schließlich jeder!
- Verlierer loben, wenn sie sich fair verhalten
- Eventuell einfachere Spielregeln aushandeln