Im ersten Jahr
Das Neil-Armstrong-Gefühl
Babyalltag sieht nicht nach Wissenschaft aus. Ist aber genau das: Aus Erkundungen leiten schon die Kleinsten Gesetzmäßigkeiten ab und überprüfen sie immer wieder.
Erster Schritt auf dem Mond. Auch nicht viele spannender als der Blick auf die neue Cremedose neben dem Wickeltisch. Jedenfalls, wenn man gerade mal sechs Wochen alt ist. Alles, was neu ist (und neu ist alles), bringt Neugeborene zum aufgeregten Strampeln, interessierten Schauen, neugierigen Erkunden. Die Motivation eines Babys ist die gleiche, die auch Wissenschaftlerinnen haben: Was ist das für ein Ding, was macht es, kann ich etwas damit anfangen?
Ein wunderbares Instrument für die ersten Erkundungen der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten sind Wiederholungen. Kinder verstehen zum Beispiel sehr früh, dass Dinge nach unten fallen. Breilöffel vom Tisch schubsen, wunderbare Sache, zuverlässig landet der Karottenmatsch auf dem Boden. Sitzt diese Erkenntnis erst einmal, können Ausnahmen davon erkannt werden. Auf dem Sommerfest reißt sich der Einhornballon aus der Hand los, steigt in den Himmel. Aha! Dinge können also nicht nur nach unten, sondern auch nach oben.
Zuverlässige Entwicklungsschritte machen Babys besonders dann, wenn sie sie selbst bestimmen dürfen. Ein Mobile etwa ist für ein Kind deutlich interessanter, wenn es mit den fuchtelnden Ärmchen eigenständig in Bewegung gesetzt wird – und nicht nur einfach so im Luftzug wackelt. Eltern können ihrer Nachwuchsforscherin und dem zukünftigen Physikschüler viele unterschiedliche Möglichkeiten bieten, die Welt zu erkunden: mit der frischen Windel fuchteln lassen, dass es nur so knistert. Wildes Platschen in der Waschschüssel erlauben. Die leere Brötchentüte zum Zerknautschen überlassen. Alles, was Kinder selber tun, macht sie nicht nur schlauer. Es stärkt sie auch: Ich bin ich, weil ich mache.
Besser als das Beste aus dem Silicon Valley
"Baby sind Computer, die nicht aus Silikonchips, sondern aus Neuronen bestehen, und die nicht von Nerds, sondern von der Evolution programmiert wurden. Sie nehmen ständig Input aus jenem Chaos von Eindrücken auf, das unsere Welt ist. Die Babycomputer müssen dafür wesentlich leistungsfähiger sein als selbst das beeindruckendste Produkt aus Silicon Valley."
Das sagt Alison Gopnik, Professorin für Psychologie an der Universität von Berkeley. Sie ist bekannt für ihre Forschung auf dem Gebiet der kognitiven kindlichen Entwicklung.
Im Zweiten Jahr
Allein auf Expedition
Warum aus Forscherdrang auch Frust entstehen kann
Klötzchen auf den Turm. Turm fällt um. Noch mal vorn vorne, diesmal vorsichtiger. Ein Klotz, zwei Klötze, drei Klötze, hält, super! Versuch und Irrtum. So entdecken Kinder die Welt und was in ihr möglich ist. Einmischung ist dabei eher nicht erwünscht. Selber machen. Allein können. Die Erkundungstechnik im zweiten Lebensjahr heißt Autonomie. Das Kind strotzt vor guten Gefühlen über das eigene Können und Lernvermögen. Es verteidigt seine Unabhängigkeit – die es oft noch überschätzt. Einfühlsame Eltern beobachten ihren großen kleinen Möchtegern-Könner höchstens diskret, helfen nur, wenn es unbedingt sein muss, schauen bei Missgeschicken auch mal weg.
Wasser in den Trinkbecher gießen. Ich! Gummistiefel anziehen. Ich! Buggy geradeaus schieben. Ich! Bei so viel neugieriger Eigenständigkeit sind Niederlagen natürlich immer drin. Und können kleine Autonome ganz schön sauer machen. Wie laut der Protest gegen den eigenen Misserfolg ausfällt, ist auch Typsache. Es gibt Stoiker, die zielen noch nach dem vierten Fehlversuch gut gelaunt zum fünften Mal mit dem Breilöffel in – beziehungsweise neben – den Mund. Andere Zweijährige sind ungeduldig flatternde Temperamentshühner, die ganz schnell auf dem Baum sitzen, wenn etwas nicht will, wie es soll.
Ein übersichtliches Labor
Ordnung hilft kleinen Entdeckern. Fünf Tipps:
Nicht jedes Spielzeug muss zu jeder Zeit verfügbar sein. Besser immer mal wieder Dinge hervorholen, die seit längerer Zeit nicht mehr bespielt wurden. Das stachelt die kindliche Neugier an.
Lieblingssachen, die dem Kind nie langweilig werden, an einem festen Platz aufbewahren, den es selbstständig erreichen kann.
Auf Körbe und Kisten im Kinderzimmer Bilder mit dem Inhalt kleben. Dann sieht das Kind sofort, wo es was finden kann.
Spielzeug ist spannend, aber ganz normale Alltagssachen lassen sich auch super untersuchen. Ein ausgedienter Rührmixer ohne Kabel, Plastikschüsseln verschiedener Größe, Kochlöffel. Mit Fantasie aufladen, stapeln, räumen, Krach machen – das mögen Nachwuchsforscher besonders.
Wer viel forscht, braucht Ruhezonen, in denen sein Gehirn ausruhen kann. Feste Zeiten für Mahlzeiten, Vorlesen, Kuschelrunden sind solche Inseln.
Im dritten Jahr
Psychologische Feldforschung
Über Rollenspiele und Experimente, bei denen auch geschubst, gezwickt und geküsst wird.
Es geht nicht mehr nur um Sachen. Immer interessanter werden Versuche im sozialen Umfeld: Wie reagieren Menschen? Was tun sie, wenn ich das oder dies mache.
Ich. Du. Die Unterscheidung wird jetzt auch ausgesprochen. Und erforscht. Ich nehme Lasse den Bagger weg. Lässt er sich das gefallen? Wie werden wir wieder Freunde nach einem Streit? Solche Versuche sind ein großer Entwicklungsschritt. Auch, wenn sie aussehen wie ein kleiner Ringkampf mit Lasse. Oder sich anfühlen wie ein nasser Kuss auf Luisas Backe, die in dieser Woche die allerliebste Kita-Freundin ist. Beziehungen mit, Auseinandersetzung zwischen und das Lernen von Gleichaltrigen ist von großer Bedeutung.
In der Kita erlebt das Kind, wie wichtig es ist, sich für die Gemeinschaft einzusetzen, sich zu beteiligen. Wer nicht mithilft beim Tischdecken, steht blöd daneben. Wer nicht zuhört, was andere sagen, wird selber nicht gehört.
Auch die Entwicklung der Persönlichkeit wird durch Versuch und Irrtum vorangetrieben. Das Kind entdeckt, was es besonders gut kann. Andere zum Lachen bringen etwa. Bilder malen, über die sich die Erzieherin freut. Kleine trösten. Schritt für Schritt versteht es: Das bin ich. Sein wachsendes Ich-Gefühl führt zu Vergleichen: Was mache ich besser als andere? Wie komme ich an? Was können die, was ich nicht kann? "Selbstbezogene Emotionen" nennen Psychologen solche Empfindungen wie Scham, Verlegenheit, Neid oder Stolz. Durch was sie entstehen, wie sie sich äußern, verstehen zwei- und dreijährige Seelenforscher jetzt schon.
Plus
Wir tun so, als ob
Rollenspiele sind für die Entwicklung wichtig
Ihr wisst schon: Du wärst die Apfelfrau, zwei Äpfel, bitte schön. Macht drei Euro. Möchten Sie eine Tüte? Super, vielen Dank und bis morgen.
Ich bin. Du bist. Wir spielen das richtige Leben nach. Das steht jetzt hoch im Kurs. Gut, wenn Gleichaltrige da sind, die genauso leidenschaftlich in den Kaufladen gehen, auf zu Lokomotiven umfunktionierten Stühlen ruckeln, imaginäre Eisbecher befüllen. Kein anderes Kind da? Dann darf Mama oder Papa ran, denn für die soziale und persönliche Entwicklung brauchen Kinder diese Spiele.
Tipp:
Ruhebedürftige Eltern können das "Ich bin ein bisschen krank und liege auf dem Sofa"-Spiel einführen. Ihr Dreijähriges wird "Medizin" holen, Waschlappen für den Kopf und vielleicht sogar auf Zehenspitzen schleichen, damit der Patient nicht gestört wird.