Die Welt wird immer schnelllebiger und kann überfordernd sein. Formate wie Instagram und TikTok zeigen: Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen nimmt ab, zu schnell sind wir desinteressiert oder werden von einem anderen Inhalt abgelenkt. Klingt erst einmal sehr negativ.
Auch für Kinder, die in dieser Umgebung großwerden, eine Herausforderung. Doch das muss nichts Schlechtes sein. Nir Eyal ist US-Autor und Lehrkraft an der Stanford Graduate School of Business für Themen, die Psychologie, Technologie und Business miteinander verbinden. Er rät, Kindern beizubringen, wie sie sich auf Dinge fokussieren – und vor allem selbstständig ihre eigene Zeit zu managen.
Screen Time – Ja? Nein? Vielleicht?
Wichtig sei es laut Nir Eyal, Kindern die Möglichkeit zu geben, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Inklusive der Fehler und Momente des Scheiterns, aus denen die Kleinen etwas lernen. Denn wenn sie die Zeit zum Reflektieren über ihr Handeln bekämen, würden sie damit auch besser lernen, ihre Aufmerksamkeit und Zeit zu managen, so Eyal.
Doch gerade beim Thema Screen Time sei das für Kinder oft schwierig. Dort seien sie oft nicht mehr von den Inhalten wegzubewegen. Eyal, selbst Vater, hat dieses Problem damals auch mit seiner Kleinen diskutiert: "Meine Tochter war fünf Jahre alt, als sie unter Protest immer wieder auf ihre 'iPad Zeit' bestanden hat. Da wussten meine Frau und ich, dass wir eingreifen müssen", erklärt er im Online-Artikel auf CNBC. "Wir erklärten ihr so einfach wie möglich, dass zu viel Screen Time Konsequenzen hat." Und diese kamen nicht von ihm, sondern waren ganz generell:
Gemeinsam mit seiner Frau erklärte er seiner Tochter, dass es nur eine begrenzte Zeit geben könne. Denn mehr Zeit mit Apps und Videos zu verbringen bedeute gleichzeitig weniger Zeit zum Spielen mit Freund:innen, im Park oder mit Mama und Papa verbringen zu können. "Wir erklärten ihr, dass die Inhalte auf dem iPad von schlauen Menschen gemacht und designt wurden, um sie an dem Gerät zu halten und regelmäßig Dinge zu konsumieren." Ein wichtiger Punkt, der Kindern in ihrem Medienverständnis weiterhelfe: "Das mag nach zu viel Input für eine Fünfjährige klingen, aber wir hatten das starke Verlangen, sie mit dem Können auszustatten, eigene Entscheidungen über ihre Screen Time zu treffen und ihre eigenen Regeln aufzustellen," so Eyal.
Autonomie – auch mit fünf Jahren
Die Regeln zum Problem wurden nun aber nicht elterngemacht, sondern kindgemacht. Das Mädchen durfte selbst überlegen, wie viel Zeit angebracht ihrer Meinung nach angebracht sein könnte. "Es war ein Risiko, ihr die Verantwortung für die Entscheidung zu geben, aber es war einen Versuch Wert", so Eyal. Anstatt eines trotzigen: "Den ganzen Tag!" habe seine Tochter tatsächlich gründlich nachgedacht und sich dazu entschieden, täglich zwei Folgen einer Kinderserie schauen zu wollen.
"Ich habe ihr dann erklärt, dass zwei Episoden eines kinderfreundlichen Programms etwa 45 Minuten lang sind", so der Vater. Dann habe er sie gefragt, ob 45 Minuten für sie wie die richtige Länge klingen würde. Und schwups: Schon gab es eine Einigung und natürlich auch eine zufriedene kleine Tochter. Genauso wie Eyal selbst, denn bei 45 Minuten bliebe schließlich noch eine Menge Zeit für weitere Aktivitäten.
Um die Zeit nicht zu überschreiten, stellte seine Tochter sich ab diesem Moment selbstständig eine Küchenuhr, mit der sie ihr Limit hören konnte. Er sei damit einverstanden gewesen, allerdings unter einer Bedingung: "'Wenn Mama und Papa bemerken, dass du das Versprechen, dass du gegeben hast, nicht einhältst, müssen wir noch einmal darüber reden'."
Kleine Änderungen mit dem Älterwerden
Die Regeln des ursprünglichen Eltern-Kind-Paktes änderten sich mit der Zeit. Mit dem Alter seiner Tochter blieb es nicht starr bei den täglichen 45 Minuten, stattdessen sei später beispielsweise die zur Verfügung stehende Zeit gegen einen Filmabend am Wochenende eingetauscht worden. Das Wichtigste: Immer nach den Regeln der Tochter anstatt denen der Eltern: "Sie hatte das Sagen dabei, ihre Regeln einzuhalten. Und das Beste war, dass ich nicht der Böse sein musste, wenn die Zeit um war", erklärt Eyal. Denn der Timer war dafür bereits die Erinnerung.
Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten sind OK
Die Devise sei es immer gewesen, seine Tochter zu involvieren und ihr dabei zu helfen, die eigenen Regeln aufzustellen, so Eyal. "Wenn Eltern die Limits ohne den Input von ihren Kindern setzen, können die Kleinen ihnen das nachtragen und es kann ihnen Anreize geben, um sich aus dem System herausmogeln zu wollen", erklärt der Vater. Das Vorgehen von ihm und seiner Frau sei allerdings keine Garantie für ein harmonisches Eltern-Kind-Dasein. Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten über das Anpassen von Regeln seien etwas ganz Natürliches und würden dazu gehören, so der Ausbilder der Stanford Graduate School of Business.
"Wenn es eine Sache gibt, die ich daraus lerne, dann, dass Ablenkung ein Problem wie jedes andere ist", so Eyal weiter. "Ob nun in einem Unternehmen oder in einer Kleinfamilie, wenn wir offen über unsere Probleme diskutieren, in einer Umgebung, in der wir uns sicher fühlen, können wir sie auch gemeinsam lösen." Gerade bei den Medien sei es aber essenziell, dass Kinder wissen, wie durchdringend und überzeugend Angebote sein können – und dass die Produkte (für den Profit) sehr fesselnd gestaltet sind. Um die ständigen Ablenkungen in den Griff zu bekommen, sei es wichtig, Kindern den Glauben in ihre eigene Selbstbestimmtheit zu lehren, sodass sie die Verlockung überwinden können. "Es ist ihre Verantwortung und auch ihr Recht, ihre Zeit weise zu nutzen", so Eyal abschließend.