Haben Eltern noch genug Kraft für Erziehung?Ich will nicht mit meinem Kind streiten
Vielleicht ist es ja bei euch genau so: Die Kinder sind bis 16 Uhr in der Kita oder Schule. Mama und Papa im Job eingespannt. Wenn sich dann alle endlich wiedersehen, will man die paar gemeinsamen Stunden des Tages friedlich zusammen verbringen. Der Wunsch ist total nachvollziehbar, in der Umsetzung aber nicht immer easy. Und was nun? Nicht streiten, um des lieben Friedens willen? Oder doch den Spielverderber riskieren? Also nicht nachgeben. Erziehen. Uff. Vier Familien haben uns in ihren Alltag schauen lassen. Lösungen für die typischen Konflikte? Haben sie nicht. Und wir auch nicht. Aber die Mütter und Väter ziehen ihr persönliches Fazit. Sehr interessant!
Vier Eltern haben uns von schwierigen Familien-Alltagssituationen erzählt und wie sie den Spagat zwischen freundlichem Miteinander und dem Ende der eigenen Nerven erleben.

Max beim Kinderturnen
Einmal die Woche gehen wir zum Kinderturnen. In der Umkleidekabine ist es eng. Pro Kind ist mindestens ein Elternteil dabei, oft noch mit genervtem Geschwisterkind, was null Bock hat, wieder zuschauen/warten zu müssen. Jede Woche wieder eine Challenge, rechtzeitig von der Kita zum Turnen zu kommen. Max ist fünf Jahre alt und kann sich eigentlich alleine umziehen, aber wenn er merkt, dass ich drängle, wird er immer langsamer. Also packe ich schnell mit an. Damit das möglichst widerstandslos klappt, bekommt er Kräckerchen, Weingummis oder eine Laugenstange. Max hat ständig Hunger nach der Kita. Neulich in der Umkleide sagt er zu mir „Mama, du bist mein Diener.“ Er wollte bestimmt lustig vor den anderen Kindern sein, aber mir ist ganz anders geworden. Als er dann noch mit mir meckerte, dass sein Dino-Kräckerchen runtergefallen sei, während ich schwitzend vor ihm kniend den Fuß in den Turnschuh reindrücke, war ich dann völlig bedient.
Mein Fazit: Also dieser Satz „Du bist mein Diener“ war schon ein Schlüsselsatz für mich. Da habe ich noch lange drüber nachgedacht. Ich war auf einmal so wütend auf Max. Aber auch auf mich. Das kann doch nicht wahr sein, dass ich mich hier abracker, um dem Kind alles zu ermöglichen, vorausplane, eingreife und unterstütze und am Ende wie eine schlecht behandelte Bedienstete ausgeschimpft werde? Und ich bin auch noch selber Schuld dran. Ich glaube, Max muss sich jetzt doch alleine umziehen, auch wenn er dann zu spät beim Turnen ist.

Papa Enno holt die fünfjährige Ida bei ihrer Freundin ab
Find ich gut, wenn Ida Freundschaften schließt und sich nachmittags auch mal verabredet. Wenn nur das Abholen einfacher wäre. Ich würde gern auf dem Heimweg hören, wie ihr Tag so war und was die beiden gespielt haben. Die Realität sieht dann oft anders aus. Ida rennt schon beim Türklingeln in die letzte Ecke der Wohnung, um sich vor mir zu verstecken. Zu Beginn mag das noch lustig sein und zeigt mir auch, sie hatte einen tollen Tag und will nicht weg. Aber nach einer Weile wird es anstrengend.
Ich kann nicht in der Wohnung von Idas Freundin hinter ihr her rennen und sie unter dem Ehebett hervorziehen. Also wiederhole ich von Zeit zu Zeit die Ansage, jetzt bitte zum Anziehen in den Flur zu kommen. Darüber kichert Ida nur und taucht nicht auf.
Allmählich werde ich ärgerlicher und beginne zu drohen: “Wenn du nicht gleich kommst, gehe ich alleine.“ Tu ich natürlich nicht.
Dann sage ich ihr die nun wirklich allerletzten fünf Minuten an.
Einmal haben mir auch die Eltern von Idas Freundin geholfen und Ida durfte sich ein Spielzeug von ihrer Freundin aussuchen, was sie sich bis morgen ausleiht.
Wenn ich dann gar keine Lust mehr auf das Theater habe, verspreche ich Ida schon mal ein Eis auf dem Rückweg. Das geht dann meistens erstaunlich gut.
Das hat Ida auch echt ganz gut raus, wie sie mich da um den Finger wickeln kann. Sie fordert jetzt manchmal auch nach der Kita ein Eis mit mindestens zwei Kugel Schokoeis und bunten Streuseln ein.
Mein Fazit: Wahrscheinlich müsste ich ab und zu mal konsequent nein sagen, das stimmt schon. Aber erstens ist das leichter gesagt als getan nach einem langen Arbeitstag, wo man selber nur noch auf die Couch will und sich den ganzen Tag schon mit den Kunden rumgeärgert hat. Und zweitens macht es auch Spaß, dem Kind etwas zu gönnen.

Schlaf-Protokoll der anderen Art – eine Mutter berichtet.
Es ist soweit, mein fast dreijähriger Sohn Axel braucht die Gitterstäbe am Bett einfach nicht mehr. Es hat sich einfach so eingeschlichen, dass die da immer noch dran sind.
Sie sind auch bequem für mich, denn so kann mich Axel zum Beispiel nicht beim Rauchen aufm Balkon abends erwischen. Aber da er neulich im Schlafsack über die Gitterstäbe gekraxelt ist, ist mir das jetzt doch zu gefährlich. Mein Mann ist beruflich viel unterwegs, aber nach einem Telefonat mit ihm dazu haben wir beschlossen, dass ich die zwei herausnehmbaren Gitterstäbe am Bett ausbaue.
Meine Freundin hat schon ältere Kinder und gab mir den Rat, nicht aufs Babyphone zu gucken bzw. gucken schon, aber dieses „übergriffige Wissen“ für mich zu behalten. Früher hätte man die Dinger ja auch nicht gehabt und irgendwie hat es ja schon was von Big Brother. Ihr Rat ist: „Reagiere nur, wenn die Tür aufgeht oder du wirklich was Lautes von draußen hörst.“
Es geht also los. Ich habe Axel ins „neue“ Bett gelegt, zugedeckt und es läuft noch wie immer ein Hörspiel zum Einschlafen.
- Kaum ist die Tür zu, starre ich aufs Babyphone.
- Axel sitzt schon im Bett. Die Decke ist nur noch halb im Bild.
- Oh nein, jetzt krabbelt er aus dem Bett und vor allem aus meinem Bildausschnitt.
- Was tut er wohl?
- Ich höre leise Geräusche. Das reicht aber noch nicht, um rein zu gehen.
- Ich rufe meine Freundin an.
- Sie ist jetzt live am Telefon dabei.
- Sie versucht mich zu beruhigen.
- „Ist doch klar, dass er da erst mal aufsteht. Stell dir mal vor, Axel würde wie ein kleiner Soldat im Bett liegen bleiben, ohne seine neuen Freiheiten mal anzutesten. Das wäre doch auch komisch."
- Ja, schon, aber ehrlich gesagt, ist mir einfach nach Feierabend.
- Aha, die Kinderzimmertür geht auf.
- Ich tue überrascht: „Axel? Du bist noch wach? Warum liegst du nicht im Bett?
- Ich nehme Axels Hand, führe ihn zurück zum Bett. Erkläre ihm noch mal die neuen Regeln, dass er noch ein Hörspiel hören darf, nicht aufstehen und jetzt ist Schlafenszeit. Decke drüber. Tür zu.
- Kaum wieder am Telefon, geht die Tür wieder auf.
- „Nein, Axel. Jetzt ist Schlafenszeit. Bist du müde? Eine Antwort warte ich nicht ab. „ Axel, mein Kleiner, ich bin müde und will jetzt ein bisschen meine Ruhe. Guck mal, es ist schon dunkel draußen. Die Vögel gehen jetzt auch schlafen."
- Axel ist wieder zurück ins Bett gebracht. Nächster Versuch.
- Meiner Freundin am Telefon gestehe ich: „Ich glaube, das war ein Fehler. Wenn das so weiter geht, baue ich die Gitterstäbe morgen wieder dran.
- „Und dann? Dann ist dein Problem doch nur aufgeschoben."
- Ich schweige. Mist. Stimmt.
- Aber so geht das ja auch nicht weiter. Der Kleine braucht Schlaf und ich Ruhe nach Arbeit, Einkauf und Kinderbespaßung.
- Meine Freundin ermutigt mich, dass ich jetzt durchhalten soll. In 2-3 Tagen wär die Attraktion bestimmt rum. Nebenbei fragt sie, ob und wie lange Axel noch Mittagsschlaf macht.
- Ganz ohne schafft er es noch nicht, sonst liegen bei ihm und mir ab 17 Uhr die Nerven blank, aber kürzer könnte er schon sein. Am Wochenende lege ich mich nur selbst auch gerne mit hin und werde dann selber erst nach 2-3 Stunden wach, um Axel zu wecken.
- Tür ist schon wieder aufgegangen. Jetzt reicht es mir aber langsam.
- Jetzt habe ich doch laut geschimpft und gedroht, die Gitterstäbe wieder anzubauen. Aber was sage ich bloß das nächste Mal, wenn ich wieder ins Kinderzimmer muss?
- Aus dem Kinderzimmer zurück am Telefon. Der abschließende Rat meiner Freundin: Axel nicht noch einmal erklären, wie unsere Abmachung ist. „Das weiß er jetzt," meint meine Freundin, „Ich bin dann zum Schluss immer nur noch ruhig rein gegangen, habe die Tilda ruhig aber bestimmt ins Bett gelegt und bin kommentarlos raus. Probier da mal aus."
- Das Ins-Bett-leg-Spiel habe ich dann noch eine halbe Stunde mit Axel gespielt. Irgendwann war er dann endlich müde und ist zwar falsch herum, aber immerhin im Bett eingeschlafen.
- Jetzt, wo er da so friedlich liegt, habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich so geschimpft habe. Ich finde es immer richtig blöd, wenn wir im Streit auseinander gehen.
- Und morgen Abend geht das ganze von vorne los, da werde ich auf jeden Fall ruhig bleiben. Hoffentlich.
Mein Fazit: Mittlerweile hat sich das Ganze besser eingespielt. An guten Abenden steht Axel nur noch einmal auf und bleibt dann auch liegen. Wenn ich ihn vorher in die Wanne gesetzt habe, ist er dann selber schon sehr müde und wehrt sich nicht mehr groß. Dann freue ich mich, dass ich durchgehalten habe. An schlechten Abenden wünsche ich mir die Gitterstäbe wieder zurück und einfach nur meine Ruhe. Je nach dem wie meine Kraft dann so ist, schimpfe ich doch nochmal schnell los. Das fühlt sich im nachhinein nicht gut an, dass ich so genervt war und mich nicht beherrschen konnte. Aber das passiert zum Glück nicht so oft.

Das ist mir echt peinlich
Morgens haben Lotta, 3, und ich wenig gemeinsame Zeit, bis wir aus dem Haus müssen. Dann ist sie den ganzen Tag in der Kita. Es geht ihr da gut, das weiß ich und sie freut sich jeden Tag auf ihre Freunde, aber ich hätte schon gern mehr Zeit für sie. Mir fällt das Verabschieden dann morgens in der Kita auch echt schwer. Manchmal sitze ich noch 10 Minuten auf einer Bank und weine, bevor ich zur Arbeit fahren kann. Umso mehr freue ich mich, sie dann nachmittags abzuholen. Ich weiß nicht, was dann bei ihr so den Tag über war. Die Erzieher haben kaum Zeit für Gespräche und wirklich wichtige Infos zu Lottas Tag bekomme ich da auch nicht.
Also löchere ich sie auf dem Heimweg, wie ihr Tag so war. Neulich war sie mal wieder besonders wortkarg und wahrscheinlich habe ich zu viel Fragen gestellt, sie wurde richtig sauer und fing lauthals im Bus an mich zu beschimpfen. „Du bist doof, blöde Kuh“. Wenn sie besonders wütend ist, passiert das manchmal. Vor allen Leute war mir das natürlich sehr peinlich. Ich habe versucht, ganz ruhig mit ihr zu reden und gefragt, was denn los ist. Hat alles nichts gebracht. Im Gegenteil, irgendwann fing Lotta an mich zu hauen. Nicht ins Gesicht, aber immer wieder auf meine Arme und als ich versucht habe, sie festzuhalten, trat sie sogar nach mir.
Ich mag mir gar nicht ausmalen, was die Anderen um uns herum gedacht haben. Ich habe dann noch lange mit ihr am gesprochen und erklärt, dass man das nicht tut und das mir das weh tut. Aber ehrlich gesagt habe ich richtig Angst, dass das noch mal passiert.
Mein Fazit: Lotta kann mit ihrer Wut nicht gut umgehen. Natürlich frage ich mich, ob das an mir liegt? Ich selber bin eigentlich nicht schnell wütend, aber vielleicht spürt sie, wie schwer es mir fällt, sie alleine in ihren (Kita-) Tag gehen zu lassen? Ich bin richtig traurig darüber, dass ich so wenig von ihrem Tag mitbekomme. Das war für mich schon spürbar, als ich sie damals zum Kitabeginn abgestillt habe. Das habe ich nicht gern gemacht und fand es sehr ungewohnt, dann nicht zu wissen, ob sie genug in der Kita zu essen bekommt. Für Mütter normal, denke ich. Und ich weiß - ich muss das Loslassen endlich hinkriegen.