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Expertengespräch Zuerst die Liebe, dann der Gehorsam

"Disziplin ohne Angst" ist der Titel eines neuen Buches, das sich in die aktuelle Erziehungsdebatte einschaltet. Ein Interview mit dem Autor des Buches, Wolfgang Bergmann, selbst Vater dreier Kinder.

Gespräch mit Wolfgang Bergmann

ELTERN: Ist Ihr Buch die Antwort auf Bernhard Buebs "Lob der Disziplin"?

Wolfgang Bergmann: Eher die Reaktion auf eine veränderte Erziehungslandschaft. Dafür ist Herr Bueb mit seiner inhumanen Pädagogik letztlich nur ein Symptom. Mir fällt einfach auf, wie sehr Eltern bei ihrem Kind heute alles unter Kontrolle haben wollen. Wie wichtig der Schulerfolg geworden ist. Dass Fachleute Grenzen und Disziplin für das Wichtigste in der Erziehung halten. Und – die besten Beobachtungen mache ich immer noch im Eiscaf: Ich sehe heute mehr Mütter als früher, die sich nicht scheuen, ihrem Kind was auf die Finger zu geben. Mir macht diese Entwicklung Angst.

ELTERN: Trotzdem lehnen Sie Disziplin, siehe Buchtitel, nicht grundsätzlich ab.

Wolfgang Bergmann: Was den Buchtitel angeht: Ich hatte mir ursprünglich "Gehorsam ist ein Kind der Liebe" gewünscht. Aber der Verlag hat mich überzeugt, "Disziplin ohne Angst" zu nehmen.

ELTERN: Geht es denn ohne diese Begriffe, die so nach Zucht und Ordnung klingen, gar nicht?

Wolfgang Bergmann: Es kommt darauf an, wie man sie verwendet. Ich bringe es mal auf die schlichte Formel: Kinder brauchen Liebe und Gehorsam. Entscheidend ist die Reihenfolge: Zuerst muss sich das Kind geliebt fühlen, es muss seinen Eltern vertrauen – dann folgt der Gehorsam von ganz alleine. Grundsätzlich wollen Kinder ihren Eltern ja folgen, und sie machen das gerne, wenn sie darauf vertrauen können, dass ihre Eltern wissen, wo es langgeht.

ELTERN: Und wenn die Reihenfolge nicht stimmt?

Wolfgang Bergmann: So ist es bei den Gehorsamspädagogen wie Herrn Bueb. Sie setzen Disziplin über alles. Sie verbreiten Angst, weil sie schnell mit Strafen bei der Hand sind. Sie sprechen zwar auch davon, dass sie ihre Kinder lieben. Aber das Wichtigste ist für sie, Kinder zu disziplinieren, ihnen Grenzen zu setzen. Wenn diese Kinder gehorchen, dann aus Angst. Das ist schlechter Gehorsam, früher sagte man Kadavergehorsam.

ELTERN: Aber ist es nicht richtig, Kindern Grenzen zu setzen und ihnen zu zeigen, dass im Leben nicht alles nach ihren Wünschen laufen kann?

Wolfgang Bergmann: Ach wissen Sie, überall sind Grenzen. Gemessen an dem strömenden Ich-Gefühl eines kleinen Kindes ist die Welt wie zugenagelt. Einjährige kämpfen gegen die Schwerkraft, gegen den ausgeprägten Willen der größeren Schwester, gegen die Tücken der deutschen Sprache. Wir Erwachsene müssen nicht noch extra Grenzen setzen, sie sind einfach da.

ELTERN: Und was mache ich mit einem trotzenden Zweijährigen? Beispiel: Ich muss dringend aus dem Haus, aber mein Sohn will unbedingt weiterspielen und macht einen Riesen-Tanz.

Wolfgang Bergmann: Im Idealfall haben Sie ihn ein bisschen vorgewarnt. Und wenn es wirklich Zeit wird, zeigen Sie ihm, dass Sie verstehen, wie blöd es ist, mit dem Spielen aufhören zu müssen. Er muss Ihr Mitempfinden spüren. Aber dann dürfen Sie sich so verhalten, wie sich die Gehorsamspädagogen von Anfang an verhalten hätten. Sie setzen sich durch und sagen nach Ablauf einer Frist: "Es hilft nichts, du kommst jetzt mit." Und wenn das Grundvertrauen stimmt, dann werden Sie weder Brüllen noch körperliche Gewalt brauchen, um sich durchzusetzen.

ELTERN: Sie betonen in Ihrem Buch immer wieder, wie wichtig es ist, dass Eltern stark sind.

Wolfgang Bergmann: Kinder empfinden Eltern als stark, denen sie vertrauen können. Die liebevoll und voller Verständnis sind, aber wenn es sein muss, auch mal auf den Tisch hauen. Die eben nicht lau sind. Das mögen Kinder nicht. Klare Worte sind ihnen lieber als weitschweifige Erklärungen. Sie suchen Eltern, die ihre Meinung sagen, auch mal augenzwinkernd, Väter, die einen Fußball auch mal richtig dreschen können und nicht gleich aus den Latschen kippen, wenn der Nachbar meckert, weil der Ball in seinen Garten geflogen ist.

ELTERN: Das wären alle Eltern sicher gern: stark, humorvoll, gelassen. Aber sie merken, dass sie das im Alltag nicht hinbekommen. Sie fühlen sich eben nicht stark. Kann man Stärke verordnen?

Wolfgang Bergmann: Natürlich nicht. Es geht aber auch gar nicht darum, fehlerfrei zu erziehen. Das meine ich nicht mit Stärke oder Souveränität. Ich mache in meiner Familie vielleicht 30 Prozent richtig. Den Rest gleichen die Kinder aus. Eltern sollten viel mehr auf das vertrauen, was sie haben.

ELTERN: Die Fähigkeit liebevoll, verständnisvoll, einfühlend zu sein?

Wolfgang Bergmann: Genau. Das möchte ich mit meinem Buch wachrufen. Eine innige Beziehung zu seinem Kind aufzubauen – das ist wichtiger als großes Wissen, kluge Erziehungstricks und ein allzeit ausgeglichenes Wesen. Eltern, die darauf setzen statt auf Strafen, vertrauen Kinder. Aus diesem Vertrauen wächst Neugier, Klugheit, Selbstbewusstsein. Und diese Kinder gehorchen ihren Eltern, wann immer es darauf ankommt.

Interview: Oliver Steinbach

Mehr?

Mehr zu diesem Thema lesen Sie im Buch:

Wolfgang Bergmann:
"Disziplin ohne Angst. Wie wir den Respekt unserer Kinder gewinnen und ihr Vertrauen nicht verlieren"
Beltz Verlag, 17,90 Euro

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