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Psychologie Mobbing im Sandkasten

Mobbing bei Kleinkindern
© Thinkstock - altrendo images
Gibt es das wirklich? Oder gehört Hänseln, Hauen und Drohen zur Entwicklung Drei- bis Sechsjähriger? Was ist normal und ab wann sollte man einschreiten? Lesen Sie, was Pädagogen, Erzieherinnen und Wissenschaftler dazu sagen.

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Mobbing am Arbeitsplatz - das kennt man aus Medienberichten, von Kollegen oder aus eigener Erfahrung. Auch in Schulen kommt Mobbing leider schon vor. Doch mittlerweile machen Berichte die Runde, wonach bereits im Kindergarten gemobbt werde und Eltern fragen sich besorgt, ob ihr eigenes Kind möglicherweise ein Opfer sein könnte.Doch was heißt "Mobbing" eigentlich genau? Ist es schon Mobbing wenn manche Kinder nicht mitspielen dürfen oder von anderen gehaut werden? Oder ist das alles ganz normal unter Kindergartenkindern? Und: Können Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren überhaupt schon mobben?

Was ist Mobbing?

Eine Definition des aus dem Englischen kommenden Begriffes "Mobbing“ - was übersetzt soviel wie "anpöbeln" heißt - liefert Franoise Alsaker, Professorin für Psychologie an der Universität Bern. In ihrem Buch über Mobbing im Kindergarten, "Quälgeister und ihre Opfer", heißt es: "Mobbing ist eine besondere Form der Gewalt. Von Mobbing spricht man, wenn ein Kind regelmäßig und systematisch von anderen Kindern direkt oder indirekt, körperlich oder seelisch verletzt wird."
Das Opfer fühlt sich permanent erniedrigt und hilflos, schlimmstenfalls nimmt das Selbstwertgefühl dauerhaften Schaden.
Schubsen, schlagen, bedrohen, Kleidung verstecken, auslachen, ignorieren, erpressen, fälschlicherweise beschuldigen... all das kann laut Franoise Alsaker Mobbing sein, wenn es nach einem gewissen Muster geschieht und - das ist entscheidend - wenn mehrere Täter immer das selbe Opfer im Visier haben.

Probleme im Kindergarten

Ist Alexander also ein Mobbing-Opfer, weil er täglich von Peter gehauen und sogar gewürgt wird? Solange er "nur" von Peter drangsaliert wird, handelt es sich zwar um aggressives Verhalten, nicht aber um Mobbing.

Ist es Mobbing, wenn ein Mädchen dem anderen die beste Freundin abspenstig macht? Solange sich die Affäre nur unter den drei Mädchen abspielt, ist es kein Mobbing. Erst wenn auch noch andere Mädchen sich gegen die Alleingelassene verbünden und sie ignorieren und das über einen längeren Zeitraum, erst dann könnte man möglicherweise von Mobbing sprechen.

Wenn ein Kind nicht mehr in den Kindergarten will und auffällig oft alleine spielt, könnte es sein, dass es sich unwohl fühlt. Daraus aber gleich zu schließen, andere Kinder seien an diesem Verhalten schuld, wäre zu voreilig. Das Verhalten könnte auch ebenso gut in Problemen zuhause begründet sein, zum Beispiel andauernder Streit der Eltern, Frustration wegen des kleinen Geschwisterchens, häufiges Alleinsein, Einsamkeit oder Krankheit.

Können Kleinkinder mobben?

Dann bin ich nicht mehr dein bester Freund

"Was nach Mobbing aussieht, sind meist Konflikte, die Teil eines natürlichen Entwicklungsprozesses sind", sagt Melitta Walter, als Fachberaterin zuständig für Gewaltprävention in den städtischen Kindergärten Münchens. In der Regel dauern diese Streitereien gar nicht lange genug, um die Form von Mobbing anzunehmen. "Kinder reagieren situativ. Deshalb ist es fraglich, ob Vier- oder Fünfjährige zu derart systematischen Handlungen überhaupt fähig sind", so Frau Walter.

Auch die Erzieherinnen in einem Münchener Kindergarten, Irene Ott und Christine Bosch, glauben nicht, dass ihre Schützlinge die nötige Reife haben, um langfristig und methodisch vorzugehen. Natürlich gibt es dominante Kinder, die in der Rolle des Anführers bewundert werden. Und auf der anderen Seite gibt es jene, die bereitwillig einem Bandenführer folgen oder die sich nie zur Wehr setzen, auch wenn ihnen etwas weggenommen wird. Aber das passiert nicht absichtlich oder gar geplant. Oft ist es einfach nur eine Frage des Temperaments.

Die Münchener Diplompädagogin, Dr. Marija Kulis, sieht wie ihre Kolleginnen das Problem des Mobbings eher in der Schule und im Hort. Als Fachberaterin auf diesem Gebiet hat sie allerdings beobachtet, dass "die Grundformen des Mobbings im Kindergarten bereits vorhanden sind, z.B. in Form sozialer Erpressung". Dazu zählt die bekannte Drohung: "Dann bin ich nicht mehr dein bester Freund!". Macht das Kind die Erfahrung, dass es mit Hilfe von Drohungen seine Wünsche durchsetzen kann, lernt es daraus, dass es Macht über andere hat. Und dass es dafür bewundert wird.

Kinder, die Spaß daran finden, andere zu dominieren und zu ärgern, müssen nicht böse oder aggressiv sein. "Es reicht, dass sie gelernt haben, dass sich Mobbing lohnt und dass niemand eingreift", so die Autorin Alsaker. Melitta Walter dagegen gibt zu Bedenken, dass Kinder solche Verhaltensweisen auch von Erwachsenen vorgelebt bekommen. Sie machen ihre Vorbilder einfach nach.

Was tun bei Mobbing?

Einige Kinder müssen erst lernen "Nein" zu sagen

Damit sich solche Verhaltensmuster gar nicht erst dauerhaft ausprägen und zu Mobbing in Schule und Hort führen können, ist es wichtig, genau hinzusehen. Irene Ott hat in der von ihr geleiteten Kindertagesstätte ein wöchentliches Treffen des gesamten Teams eingeführt: "Unterschiedliche Bezugspersonen haben auch unterschiedliche Beobachtungsschwerpunkte. Deshalb ist der permanente Austausch enorm wichtig. Nur so und mit zusätzlichen Informationen der Eltern können die Beobachtungen richtig eingeordnet und bewerten werden."

Erst, wenn es zu einem stetigen Kräfteungleichgewicht unter Kindern kommt, schreiten die Erzieherinnen ein: Wenn also Peter immer der Ton angebende wäre und Alexander nie mitbestimmen dürfte. Oder wenn Sarah immer alleine bliebe, auch beim Turnen oder beim gemeinsamen Essen. "Wir versuchen dann, zusammen mit den Kindern eine Lösung zu finden", so Ott. Das rät auch Franoise Alsaker, die im Rahmen ihrer Studie mit den Kindern Verhaltensregeln erstellen ließ, auf die sich dann alle - auch die schwächeren - berufen konnten.

Grundsätzlich werden bei schwächeren Kindern gezielt Stärken gesucht und gefördert, um das Selbstbewusstsein aufzubauen. Mit pädagogischen Mitteln wie Rollen- und Bewegungsspielen, Geschichten und Gesprächen gelingt es oft, das Kind vor der potentiellen Opferrolle zu bewahren. Alexander fühlt sich viel selbstsicherer, seit er weiß, dass er weiter zählen und mehr Buchstaben schreiben kann, als Peter, obwohl dieser fast ein Jahr älter ist. Jetzt hilft er Peter dabei, seinen Namen zu schreiben.

Einige Kinder müssen auch erstmal lernen, "Nein" zu sagen, wenn sie sich schlecht behandelt fühlen oder aufgefordert werden, etwas Verbotenes zu tun, erklärt Alsaker in ihrem Buch. Häufig ist es leider so, dass zuhause kein Widerspruch geduldet wird und den Kindern daher ein "Nein" als etwas Schlechtes erscheint. Oder ihr "Nein" wird einfach ignoriert, so dass es den Kindern irgendwann sinnlos vorkommt.

Dominante Kinder wiederum brauchen Hilfe, mit ihrer Anführerrolle umzugehen. Würdigt man ihre Stärke und ihre Energie anstatt sie zu unterdrücken und zu bestrafen, lässt sich diese Kraft statt in Trotz in kreative Kanäle umlenken, berichtet Melitta Walter aus ihrer langjährigen Erfahrung. Eine Fußballmannschaft zum Beispiel braucht einen starken Kapitän, um gewinnen zu können.

Warnsignale und nützliche Adressen

Das bekannte Mobbing, wie man es aus dem Arbeitsleben kennt, gibt es also in der Regel nicht im Kindergarten, wenngleich die Grenzen fließend sein und Ausnahmen nicht ausgeschlossen werden können.

Wenn ein Kind tatsächlich über längere Zeit unglücklich im Kindergarten ist - aus welchen Gründen auch immer – so zeigen sich in der Regel eines oder mehrere Warnsignale, die Franoise Alsaker so beschreibt:

  • Das Kind will nicht mehr in den Kindergarten gehen.
  • Es klagt oft über Kopf-, Bauchweh oder andere Schmerzen.
  • Es spielt im Kindergarten und auf Spielplätzen meistens allein.
  • Es ist sehr ängstlich.
  • Es spricht abwertend über sich selbst.
  • Es leidet an Appetitlosigkeit, Schlafstörungen oder Albträumen.
  • Das Kind hat Verletzungen oder blaue Flecken.
  • Es verliert Sachen oder bringt sie beschädigt nachhause.

Diese Verhaltensweisen bedeuten natürlich nicht automatisch, dass das Kind ein Opfer ist, sondern können auch viele andere Ursachen haben. In jedem Fall sollten Eltern zeigen, dass sie die Sorgen des Kindes ernst nehmen und Geduld haben, wenn es nicht gleich mit der Sprache rausrücken will. Oft fühlen sich die Kinder selbst Schuld an ihrer Notlage.

Hilfreich und ratsam ist immer das Gespräch mit der Kindergärtnerin, um den Grund für das auffällige Benehmen herauszufinden. Gemeinsam mit dem Kind kann dann eine Lösung gesucht werden. Meistens tritt schon durch die Thematisierung des Problems eine Besserung ein.

Beratung und Informationen

Generell ist die erste Anlaufstelle für besorgte Eltern die Sprechstunde des Kindergartens. Wenn nötig, kann die Kindergartenleitung auch fachliche Hilfe vermitteln, wie Psychologen, Pädagogen oder Sozialstellen.

Die Träger offizieller Beratungsstellen zum Thema Gewaltprävention sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Deshalb am einfachsten beim zuständigen Sozial- oder Jugendamt nach aktuellen Telefonnummern und Adressen fragen.

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