Nicole Jäger, 39, ist Bestseller-Autorin, Stand-up-Comedian und Podcasterin. Sie feiert große Erfolge und spielt ihre Programme vor ausverkauften Rängen. Doch mit einem Teil ihrer Persönlichkeit hadert sie seit Jahren: Ihrem Selbstwertgefühl. Sie beschreibt es als eine "Achterbahnfahrt".
Die Stärkung des Selbstwertgefühles beginnt bereits in der Kindheit
Einer der Gründe, warum sie durch ungesunde Beziehungen schlidderte und am Ende bei ihrer großen Liebe landete, der sich dann aber schnell zu ihrem schlimmsten Albtraum entwickelte. Jäger steckte mittendrin in einer Beziehung aus Manipulation und psychischer Gewalt. Sie hat es geschafft, sich zu befreien und teilt ihre Geschichte jetzt mit allen, die das gleiche erleben.
Im Interview mit eltern.de spricht die 39-Jährige jetzt darüber, was bereits in ihrer Kindheit schieflief und warum es ihr so schwer viel ihre eigenen erlernten Glaubenssätze zu durchbrechen.
An was denken Sie als Erstes, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
Eine meiner allerfrühsten Kindheitserinnerungen ist, dass wir in Dänemark waren und mein Vater mich auf dem Arm hatte. Wir sahen einen Hasen, der auf einer Düne saß. Ich hätte schwören können, der Hase war mindestens 2,10 Meter groß. Ich war überzeugt in Dänemark gibt es riesige Osterhasen. Bis ich irgendwann herausfand, dass ich einfach nur sehr klein war. Ich erinnere mich an sehr liebende Eltern, aber damals waren sie nicht besonders liebevoll.
Was genau meinen Sie damit?
Heute ist es was anderes. Heute sind es liebevolle Eltern, voller Herz und Wärme, die selbst auch ein paar Schicksalsschläge hinnehmen mussten. Ich liebe meine Eltern sehr, ich behaupte zu sagen, ich habe ihnen sehr vieles vergeben. Aber ja, der Selbstwert eines Menschen wird gebaut und geprägt oder eben auch zerstört in der Kindheit.
Das bedeutet, Ihr Selbstwertgefühl wurde bereits in der Kindheit zerstört?
Ich bin damit großgeworden, dass meine Eltern immer gesagt haben, wir machen das anders als unsere Eltern. Unsere Kinder werden nicht mit Schlägen groß. Und das haben sie geschafft. Psychische Gewalt ist aber ein großes Thema und ich bin mit Liebesentzug groß geworden. Habe ich mich benommen, habe ich gespurt und gehorcht, war ich ein gutes Kind und habe Aufmerksamkeit bekommen.
Habe ich das nicht getan, wurde ich ignoriert. Man hat mit mir nicht mehr gesprochen, ich war quasi unsichtbar. Man hat mir nicht gute Nacht gesagt, man hat mit mir am Tisch gesessen und so getan, als sei ich nicht da, mir nicht aufgefüllt. Fehlverhalten wurde mit dem höchsten Strafmaß betraft, was es für Kind gibt: Du bist meiner Liebe nicht wert, wenn du nicht spurst.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Das macht unglaublich viel mit einem. Der eigene Vater ist die erste große Liebe im Leben jedes Mädchens. Der Vater ist Vorbild für das spätere Männerbild. Man lernt, wenn du dich gut verhältst, dann hat man dich lieb, wenn du dich nicht gut verhältst, ist es das gute Recht eines anderen Menschen, dir diese Liebe wegzunehmen. Das bedeutet, du musst dir die Liebe immer wieder erarbeiten.
Liebe ist nichts, was du bekommst, Liebe ist etwas, was du dir verdienen musst. Das ist etwas, was du jederzeit wieder verlieren kannst. In der Kindheit liegt der Ursprung dafür, dass deine Wertigkeit an dem Gutdünken eines anderen Menschen hängt. Deine Liebenswürdigkeit hängt an deinem Wohlverhalten. In späteren Beziehungen ist es dann häufig so, dass man denkt, der Partner hat recht, wenn er dein Verhalten bestraft. Du denkst, mit dir so umzugehen ist okay, denn du hast dich falsch verhalten.
Standen Ihnen in ihrer Kindheit noch andere Hürden im Weg?
Bei mir kommt noch hinzu, dass ich eine dicke Frau bin und ein übergewichtiges Kind war, ich musste schon immer mehr leisten, um die gleiche Anerkennung zu bekommen. Es war immer ein „obwohl“. Obwohl sie eine dicke Frau ist, hat sie ein schönes Gesicht. Wenn ich diesen Satz noch einmal höre, dann beiße ich demjenigen einen Tunnel ins Gesicht. Das ist der Standardsatz, bei dem ich gerne erwidere: Das Fettgewebe drum herum heißt übrigens Nicole, hi schön dich kennenzulernen. Das sind so Antikomplimente.
Noch immer gibt es Unterschiede in der Erziehung beziehungsweise bei der Behandlung von Jungen und Mädchen. Was glauben Sie, macht das mit Kindern?
Das macht nicht nur ein bisschen, das macht auch nicht viel, das ist ausschlaggebend, das ist existenziell. Weil Mädchen sagst du damit immer: Deine Aufgabe in der Gesellschaft ist es, einem Mann zu gefallen oder einem Partner zu gefallen. Deine Aufgabe ist es, schön zu sein. Es ist nicht deine Aufgabe, klug zu sein, gebildet zu sein, kämpferisch oder stark. Deine Aufgabe ist es zu gefallen. Die Potenziale interessieren in diesen Momenten nicht, sondern wie sind deine Haare, wie ist deine Figur, lächle bitte. Das macht sehr viel mit dem Gefühl eines Mädchens eines Kindes.
Warum ist das Thema Selbstwertgefühl bei Kindern so wichtig?
Die Arbeit am Selbstwert beginnt in den kleinsten Details. Man muss Kinder dazu erziehen, dass sie später Menschen sind, die in der Lage sind, sich selbst zu lieben und sich selbst zu retten. Es geht nicht nur um Bitte und Danke sagen und pünktlich sein, das ist zwar auch wichtig, wie Lesen lernen und Schuhe binden.
Das Kind muss wissen, dass es auch mal Nein sagen darf und trotzdem geliebt wird. Und dass es okay ist, dass es nicht immer alles richtig machen kann. Dass es auch manchmal richtig scheiße sein kann, aber trotzdem in den Arm genommen wird, weil die Liebe zu diesem kleinen Menschen stark ist. Liebe muss unabhängig sein und nicht davon abhängen, ob man pariert.
Sie haben das Buch „Unkaputtbar“ geschrieben, in dem sie von ihren Erfahrungen zu einer toxischen Beziehung erzählen. Sie sprechen viel von der großen Liebe, von Manipulationen und ihren Gefühlen in diesen Momenten. Der Selbstwert spielt für sie dabei eine entscheidende Rolle. Warum verbinden sie ihr fehlendes Selbstwertgefühl mit ihrer Kindheit?
Die Erziehung und der Umgang mit den Eltern haben Einfluss darauf, welche Einstellung man zum Leben bekommt. Und mit dieser Einstellung wirst du dann auf die Welt losgelassen. Und da wieder rauszukommen ist gar nicht so leicht, denn du musst mit deinen eigenen Glaubenssätzen brechen, die sehr tief drinsitzen. Damit muss man auch erst mal umgehen können. Das ist ein ewig langer Prozess.
Was würden Sie Eltern raten, damit sie das Selbstwertgefühl ihrer Kinder nicht einschränken?
Ich bin keine Mutter, aber ich bin eine Frau, die diese Erfahrungen selbst gemacht hat und genau aus diesem Aspekt ist das auch gemeint.
Nicht betrafen mit Liebesentzug. Untergrabe nicht das Selbstwertgefühl deines Kindes, sag ihm nicht: Wenn du dich schlecht verhältst, habe ich dich nicht mehr lieb. Schweigt sie niemals an.
Dass man seine Kinder nicht schlägt, da sind wir uns hoffentlich alle einig. Aber psychische Gewalt ist auch Gewalt. Und zwar ein starker Gewaltfaktor.
Nehmt eure Kinder ernst, hört ihnen zu und teilt euch ihnen mit. Eltern dürfen sich ihren Kindern mitteilen und dürfen sagen, das ist nicht in Ordnung, was du da tust. Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht lieb habe, daran wird sich nichts ändern, aber das Verhalten ist nicht gut.
Traut euren eigenen Kindern mehr zu. Und vor allem an die Väter: Seid der Mann, den ihr euch für eure Tochter wünscht. Und als Frau: Seid ein starkes Vorbild und sagt Nein.