Dr. Sabine Kubesch ist Expertin für das Lernverhalten von Kindern und leitet ein Projekt vom Heidelberger Institut Bildung Plus, das sich für die Förderung der Selbstregulation bei Kindern starkmacht. Warum Selbstkontrolle gerade in der Schule so wichtig ist und wie sie selbst mit ihren beiden Söhnen Selbstkontrolle im Alltag trainiert.
EF: Frau Dr. Kubesch, Sie sind der Meinung, dass man keine hellseherischen Fähigkeiten braucht, um bei einem Fünfjährigen vorauszusagen, wie positiv sein Leben verlaufen wird. Woran erkennen Sie das?
Dr. Kubesch: Daran, ob sich das Kind in kritischen Situationen im Griff hat.
EF: Warum ist ausgerechnet dieser Aspekt so wichtig?
Dr. Kubesch: Stellen Sie sich ein Kind vor, das sich selbst wieder beruhigen kann, wenn die Dinge gerade nicht wunschgemäß laufen. Außerdem kann dieses Kind seine Aufmerksamkeit gezielt lenken, selbst wenn es einen Sitznachbarn hat, der lieber quatscht als arbeitet. Wie wird dieses Kind wohl in der Schule zurechtkommen?
EF: Darum muss man sich vermutlich wenig Sorgen machen.
Genau! Der kontrollierte Umgang mit den eigenen Emotionen, aber auch mit den Ablenkungen, die von außen kommen, ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen.
EF: Und das lässt sich trainieren?
Absolut. In der Neurobiologie wird dieser ganze Themenkomplex "exekutive Funktionen" genannt. Wie alle Gehirnfunktionen lassen sich auch diese üben. Und das sollten Eltern auch tun.
Machen sie das nicht ohnehin?
Eltern mahnen oft das Richtige an: "Beruhig dich jetzt mal!", "Pass doch mal auf!", "Du hast wieder nicht das eine Spiel aufgeräumt, bevor du das andere angefangen hast ..." Das genügt aber leider nicht. Solange Eltern sich mit Ermahnen begnügen, überlassen sie es mehr oder weniger dem Zufall, ob ihr Kind seine Selbstkontrolle gut entwickelt oder nicht.
Sie haben selbst zwei Jungs, die inzwischen im Grundschulalter sind. Wie haben Sie die beiden auf die Schule vorbereitet?
Ich habe es im Kindergartenalter erst so gemacht wie die meisten Eltern und spontan auf das Verhalten der beiden reagiert. Aber je mehr ich über das Thema wusste, desto klarer wurde mir, dass ich damit einen Fehler mache. Deshalb habe ich mit den Kindern einen Plan gemacht.
Welchen Zweck sollte der erfüllen?
Dahinter steckte die Idee, dass sich die Kinder zunächst einmal bewusst machen, welche Ziele sie in der Woche erreichen wollten bzw. sollten. "2 x Zimmer aufräumen", "3 x Geschirrspülmaschine ausräumen" und "2 x Hamsterkäfig sauber machen" zum Beispiel. Durch den Plan hatten wir ein Instrument, das sowohl für die Kinder als auch für mich sichtbar machte, wie erfolgreich sie ihre Ziele umgesetzt hatten. Denn jeder erledigte Punkt wurde abgehakt. Außerdem unterstützt ein Plan das Arbeitsgedächtnis, weil kein Kind mehr vergessen konnte, was wir besprochen hatten. Zusätzlich stand immer eine kleine Belohnung in Aussicht. Das ist ganz wichtig. Denn wer auf die Belohnung schielt, hat es leichter, auch dann aufzuräumen, wenn er eigentlich lieber spielen würde.
Werden Kinder auf diese Weise nicht von Belohnungen abhängig?
Nein. Man kann es sich so vorstellen: Anfangs gibt es im Gehirn noch gar nicht die Strukturen, die es dem Kind ermöglichen, eine Sache durchzuziehen, die ihm zwar sinnvoll erscheint, die aber wenig Spaß macht. Wie bei allen Dingen bringen Kinder allerdings auch in diesem Bereich mehr oder weniger gute Voraussetzungen mit. Deshalb entwickeln manche auch ohne besondere Unterstützung ihrer Eltern eine sehr gute Selbstkontrolle. Viele schaffen das jedoch nicht. Sie brauchen einen Plan mit klar formulierten Zielen und die Gewissheit: Wenn ich alles gemacht habe, machen wir zusammen einen Ausflug in den Zoo.
Aber wie kann dabei Unabhängigkeit vom Belohnungssystem entstehen?
Indem das Kind immer und immer wieder seine Unlust überwindet oder seine Wut kontrolliert, baut es ein Gehirn auf, das ihm genau das irgendwann ganz leicht macht. Und was einem leichtfällt, das braucht man nicht mehr zu belohnen.
Vorschulkinder können ja in der Regel noch nicht lesen. Wie kommen sie trotzdem mit diesem Plan klar?
Wir haben mit Symbolen gearbeitet. Tisch stand für "Tisch abräumen", Waschbecken für "Waschbecken putzen", Spülmaschine für "Spülmaschine einräumen". Meine Kinder durften sonntags drei Aufgaben auswählen, die sie in der kommenden Woche erfüllen wollten. Nur "Zimmer aufräumen" war ein Muss. Wenn dann am Ende der Woche mindestens drei von vier Häkchen auf dem Planer zu sehen waren, gab es eine kleine Belohnung.

Noch mehr Infos zum Thema:
Auf der Seite www.fex-znl.de finden Sie weitere Informationen und einen Test, bei dem man sein Arbeitsgedächtnis überprüfen kann.