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Geschwisterbeziehung Was fürs Leben

Mutter mit Geschwistern
© Stocksy, Studio Firma
Geschwister brauchen sich. Und gehen einander auf die Nerven. Sie sind sich nah und oft doch ganz verschieden. Wie sich Liebe und Eifersucht in dieser ganz besonderen Beziehung entwickeln. Und was wir Eltern tun können, damit unsere Kinder Freunde bleiben.

Zusammen lachen. Miteinander streiten. Heulen, weil auf dem anderen Kinderteller mehr Tomatensoße schwimmt. Heimlich die Latzhose des Bruderbären zerschneiden. Vor dem Einschlafen noch von einem Stockbett zum anderen flüstern. „Indianer sind entweder auf dem Kriegspfad oder rauchen die Friedenspfeife. Geschwister können beides“,
sagte mal der Dichter Kurt Tucholsky.
Für Eltern ist das eine spannende Angelegenheit. „Vertragt euch!“ steht auf der Hitliste genervter Mütter­Väter­Sätze ganz oben. Einerseits. Andererseits haben Geschwistereltern auch ausreichend Gelegenheit zum Freuen. Gerade noch zofften sich die beiden wegen eines Kieselsteinchens. Zwei Minuten später klettern sie lachend auf den Baum. Die Große hilft dem Kleinen hinauf. Später schenkt der ihr ein Stöckchen, das sie behutsam in ihrem Rucksack verstaut. Er strahlt stolz wie Oskar.

Geschwisterbeziehung

Geschwister lernen miteinander und voneinander

Kinder streiten
© Plainpicture, Ute Mans

„Ihre Beziehung“, sagt Jennifer Jenkins von der Universität Toronto, „bietet Entwicklungsmöglichkeiten, die andere nahe Beziehungen nicht haben.“ Die kanadische Psychologin untersucht, wie Kinder in welchem Alter eine „theory of mind“ entwickeln, die Fähigkeit also, sich in Gefühle und Gedanken anderer hineinzuversetzen. Kleine Brüder und Schwestern kapieren am schnellsten, wie Menschen ticken, das zeigt die Forschung. Kein Wunder, sie müssen früh klar kommunizieren. Zur Not auch ohne Worte.
Je besser sie es schaffen, auf Kompromisse einzugehen und Konflikte zu beenden, desto zuverlässiger haben sie Mitspieler. Als Gefühlsdetektive sind alle Geschwister gut – weil sie viel trainieren. Sie tauschen sich untereinander öfter über Emotionen, Gedanken und Ideen aus als mit den Eltern. Auch mit kleinen Freunden auf dem Klettergerüst oder in der Kita­Puppenecke wird geredet. Mehr Möglichkeiten, wirklich vertraut miteinander umzugehen, haben Kinder aber in der Familie. Kleine Geschwister profitieren. Große auch.
Die ältere Schwester, den großen Bruder zeichnet oftmals Wissbegierde und Lernbereitschaft aus. Das kommt, sagen Entwicklungsforscher, unter anderem von ihrer Vorreiterrolle. Große Geschwister leiten das jüngere Kind der Familie an. Dabei entdecken sie, dass Wissen und Können Vorteile verschaffen: Ich baue das Rad an deinen Bagger, dafür darf ich damit fahren. Erste(r) sein macht auch selbstbewusst. Die älteren Kinder der Familie schätzen ihren Wortschatz größer ein und sagen von sich besonders häufig, dass sie abstrakte Ideen gut begreifen.
Studien bestätigen einen um durchschnittlich zwei bis drei Punkte höheren IQ von Erstgeborenen. „Dieser Effekt auf die Intelligenz lässt sich in großen Stichproben zuverlässig finden. Er ist aber doch so klein, dass es zweifelhaft ist, ob er für den Lebensweg bedeutsam ist“, sagt Geschwisterforscherin Julia Rohrer von der Universität Leipzig.
Nicht ohne Einfluss auf Geschwister ist ihr Altersunterschied. Drei Jahre Abstand gelten als optimal für viel Vertrautheit. „Die emotionale Abnabelung des älteren Geschwisters von der Mutter ist dann bereits geschehen. Die Kinder können optimal voneinander profitieren“, sagt der Entwicklungspsychologe und Geschwisterforscher Hartmut Kasten. Sind Geschwister vier bis fünf Jahre älter, hat das Nachgeborene gute Chancen, viel zu lernen. Große kümmern sich gern um Kleine und bringen ihnen viel bei. Weder die hohe Sozialkompetenz der Jüngeren noch die intellektuelle Überlegenheit der Älteren verhindern aber, dass es häufiger knallt, als Elternnerven lieb ist.

Geschwister streiten – einige alle zehn Minuten

Kinder spielen Gitarre
© Stocksy, Marko Milovanovic

Laurie Kramer, Psychologin an der Universität Illinois, zählte für eine Geschwisterstudie akribisch Brüder­ und Schwesterkämpfe: Sind die Süßen zwischen zwei und vier Jahre alt, geraten sie sich im Zehn­Minuten­Rhythmus in die Haare. Im Alter zwischen drei und sieben kracht es immerhin noch dreieinhalb Mal pro Stunde. Vermutlich wäre noch öfter was los, wenn Kinder von der Natur nicht ein Instrument zur vorbeugenden Streitschlichtung mitbekommen hätten. Stichwort De­Identifikation.
Im Schnitt hat der Nachwuchs eines Elternpaares 50 Prozent gleiche Gene. Und entwickelt sich trotzdem sehr oft total verschieden. Weil er sich automatisch voneinander abgrenzt: Ich kann nicht sein wie du, weil ich nicht du bin. Sondern ein ganz eigener Mensch. Jedes Kind in der Familie sucht einen Platz, auf dem noch kein anderes sitzt. Damit werden Rivalität, Eifersucht und Neid im Rahmen des Möglichen gehalten – ganz verschwinden werden sie nie. Aber wenn wir nicht beide auf blaue Autos mit Riesenrädern stehen, müssen wir nicht darum kämpfen. Singst du gern, und ich renne schnell, konkurrieren wir nicht.
Zwillingsstudien zeigen, dass die entwicklungspsychologische Theorie der De­Identifikation stimmen muss: Eineiige Zwillingspärchen, die komplett identische Gene haben, entwickeln trotzdem unterschiedliche Vorlieben, Abneigungen und Begabungen – wenn sie zusammen aufwachsen. Werden sie, etwa wegen einer Adoption, früh getrennt, zeigen sie erstaunliche Gemeinsamkeiten, mögen zum Beispiel beide rotweiß gestreifte Shirts oder essen Apfelkompott nur eisgekühlt.
Erstgeborene stecken ihren Claim ab, noch bevor das Kleine auch nur Mama sagen kann. Jüngere Geschwister haben deshalb mehr Abgrenzungsarbeit zu leisten. Sie können sich nur dort breit machen, wo noch niemand ist. Also macht die Kleine auf forsche Entdeckerin, wenn die große Schwester ein stilles Pflänzchen ist. Der Große ist der wilde Bestimmer? Dann rührt der Kleine im alten Kochtopf, der von der innerfamiliären Konkurrenz nicht beachtet wird.
Jungen­Mädchen­Geschwisterpaare grenzen sich weniger gegeneinander ab als gleichgeschlechtliche. Eben weil sie Junge und Mädchen sind, das genügt ihnen fürs Erste. Nach dem Grundschulalter kann die Konkurrenz wachsen. Ist der Altersabstand größer ist als zwei Jahre, wird ebenfalls (etwas) weniger gekämpft. Die Großen sind sich ihres Entwicklungsvorsprungs bewusst und lassen die Kleinen großzügig machen.

Geschwister sind eifersüchtig

Ganz ohne Eifersucht geht es nicht, sagt der Münchner Sozialpädagoge und Familienberater Joachim Armbrust. Die größte Angst eines Kindes ist, seine Eltern zu verlieren. Gleich danach kommt die Furcht, nicht genug Liebe zu ergattern. Also wird eifersüchtig beobachtet, wie Mutter und Vater mit dem Geschwisterchen umgehen. Und um Aufmerksamkeit gebuhlt. Das kann laut sein und lästig, ergibt aber Sinn: So lernen Kinder zu teilen. Sie fühlen sich mal zurückgesetzt, aber auch mal im Vordergrund. Sie können unterschiedliche Rollen ausprobieren: hilfsbereit, aggressiv, großzügig, neidisch. Wie komme ich an, wenn ich so bin oder so? Was steckt alles in mir? Das sind wichtige Fragen, auch für uns Mütter und Väter, die wir nicht ganz so unparteiisch sind, wie wir es gern wären.

Geschwister werden nicht immer gerecht behandelt

In einer Studie des Soziologen Karl Pillemer von der Cornell University in Ithaca gaben etwa 70 Prozent der Mütter an, dass sie sich einem ihrer Kinder näher fühlen. Wer gerade Lieblingskind ist, hängt auch von der Situation ab. Mit dem mutigen Kind habe ich im Hallenbad mehr Spaß als mit dem ängstlichen. Kinder merken das. Ich darf also zugeben: Ja, mir macht es Freude, mit deinem Bruder ins Wasser zu springen, weil er dabei immer schön laut juchzt. Genauso macht es mir Freude, wenn du ein Lied singst, weil deine Augen dann so wunderbar leuchten.
Den Draufgänger muss ich besser kontrollieren, einem vorsichtigen Kind kann ich mehr erlauben. Eine Tochter hebt ihre Halloween­Beute wochenlang auf, die andere verschlingt sie sofort. Geschwister sind verschieden, deshalb gehen wir unterschiedlich mit ihnen um. Das können wir erklären. Und gleichzeitig hervorheben, was jedes Kind für uns besonders macht. Beschwerden wird es trotzdem geben. Mal wird das eine, dann das andere schreien: „Sooo ungerecht!“
Wir wollen das Richtige für jedes unserer Kinder, Fehler passieren uns trotzdem. Weil wir das beim ersten Baby gelernt haben, können wir beim zweiten gelassener bleiben. Dass schreiende Säuglinge sich nicht so einfach abstellen lassen, dass Mama beliebter ist als Papa – nichts Neues. Ab dem zweiten Kind ist mehr Sicherheit und weniger Druck, alles perfekt hinzukriegen.
Ist das nicht der beste Grund für noch eins und noch eins und noch eins? So viele eben ins Leben und in die Wohnung passen.

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