Wie sinnvoll ist zweisprachige Erziehung, wenn die zweite Sprache weder durch die Umgebung noch durch die Eltern vermittelt wird, sondern durch eine externe Person, z.B. ein Au-pair-Mädchen. Bringt das überhaupt etwas?
Wichtig ist immer, dass die Sprache eine Bedeutung für das Kind hat. Diese Bedeutung entsteht z.B., wenn im Umkreis des Kindes die Sprache von vielen Menschen bzw. sehr häufig gesprochen wird. Wenn es nur einzelne Personen sind, ist es wichtig, dass eine enge Bindung zu ihnen besteht, und sie diese die Sprache möglichst konsequent sprechen. Auch bei einem Au-pair-Mädchen kommt es also auf die Intensität der Bindung an.
In jedem Fall kann durch den frühen Kontakt des Kindes zu einer Sprache sein Interesse an Sprachen geweckt werden, und das kann den späteren Erwerb von Sprachen generell unterstützen. Prinzipiell sehe ich einen frühen Kontakt zu anderssprachigen Personen als etwas Bereicherndes für die Sprachentwicklung eines Kindes, unter der Voraussetzung, dass das Kind nicht unter "Lern-Druck" gesetzt wird.
Eignen sich prinzipiell alle Kinder für die zweisprachige Erziehung? Gibt es Fälle, in denen Sie davon abraten?
Sicher gibt es vereinzelte Fälle, in denen ein Kind in seinem Spracherwerbsprozess dermaßen eingeschränkt ist, dass zu fragen ist, ob zweisprachige Erziehung für das Kind das Richtige ist. Man muss aber auch die Seite der Eltern sehen: Wie gut sprechen sie welche Sprache? Eine Mutter, die versucht, in einer für sie fremden Sprache mit ihrem Kind zu kommunizieren, gibt dadurch erstens vielleicht ein falsches sprachliches Vorbild ab und wird zweitens selbst unzufrieden, in ihrem Gespräch mit dem Kind eingeschränkt und verunsichert. Das kann niemals "besser" für ein Kind sein, als eine Mutter, die in ihrer eigenen Muttersprache mit ihm spricht.
Oft hört man, dass das Erlernen zweier Sprachen gleichzeitig dazu führe, dass keine der beiden Sprachen wirklich perfekt erlernt wird. Wahrheit oder Vorurteil?
Ganz klar ein Vorurteil. Das Gegenteil ist der Fall. Kinder haben das Potential, spielend mehr als eine Sprache von Geburt an zu erwerben. Und was heißt schon "perfekt"? Natürlich werden sie "Fehler" machen, genauso, wie einsprachig aufwachsende Kinder.
Nur schauen wir bei denen meist nicht so kritisch hin. Keinesfalls stellt Zweisprachigkeit eine Überforderung dar, sie kann sich im Gegenteil sogar positiv auf die gesamte Entwicklung auswirken!. Überfordert wird das Kind nur, wenn die zweisprachige Erziehung unter ungünstigen Umständen geschieht, etwa weil das Umfeld negativ eingestellt ist, das Kind unter der Situation leidet oder die Eltern selbst mit ihrer sprachlichen Situation unzufrieden sind.
Haben Kinder, die zweisprachig aufwachsen, später Vorteile beim Erlernen von Fremdsprachen?
Kinder, die zweisprachig aufwachsen, machen von klein auf vielfältige Erfahrungen mit Sprachen. Sie merken früh, dass Sprachen unterschiedlich klingen, dass dieselben Dinge unterschiedlich heißen, dass auch Gestik und Mimik verschieden sind. Dadurch setzen sie sich intensiver mit Sprache auseinander, als einsprachige Kinder das tun. Zweisprachige Kinder entwickeln so ein größeres Bewusstsein für Sprachen, und das wird auch den Erwerb weiteren Sprachen unterstützen.
Welche Grundregeln soll man bei zweisprachiger Erziehung beachten?
Mutter und Vater müssen sich zu Beginn selbst fragen: Welche Sprache kann und welche möchte ich mit meinem Kind sprechen? In welcher Sprache fühle ich mich meinem Kind gegenüber am wohlsten? Die allermeisten Eltern haben das tiefe Bedürfnis, mit ihrem Kind ihre eigene Muttersprache zu sprechen, und das ist ja auch das Natürlichste der Welt. Niemals sollte die Sprachvermittlung wichtiger werden als die eigentliche Eltern-Kind-Beziehung.
Ein zentrales Moment zweisprachiger Erziehung ist natürlich die Konsequenz. Je häufiger z.B., eine griechische Mutter in Deutschland mal Griechisch, mal Deutsch mit ihrem Kind spricht, desto eher wird das Kind sich fragen: Warum soll ich eigentlich Griechisch sprechen? Alle anderen sprechen doch deutsch ... Kinder gehen sehr ökonomisch mit ihren Sprachen um. Andererseits wird es im Alltag immer Situationen geben, in denen Eltern von ihrer ur-sprünglichen Sprachwahl abweichen. Doch diese Aus-nahmen sollten ganz bewusst gehandhabt ("Finde ich selbst es unhöflich, in Gegenwart anderer mit meinem Kind eine Sprache zu sprechen, die diese Personen nicht verstehen?") und gegenüber dem Kind thematisiert werden ("Wenn Tante Frieda da ist, sprechen wir Deutsch, sonst versteht sie doch nichts!"). Letztendlich gilt es abzuwägen zwischen einer konse-quenten Spracherziehung einerseits, und dem lebendig-natürlichen und alltagstauglichen Umgang mit Sprachen andererseits.
Kann auch dreisprachige Erziehung funktionieren, bzw. was ist in diesem Fall besonders zu beachten?
Es gibt keinen Grund, warum das prinzipiell nicht funktionieren sollte. Das Gehirn ist nicht auf zwei Sprachen beschränkt. Zu beachten ist all das, was für die zweisprachige Erziehung gilt. In der Praxis erfordert die dreisprachige Situation sicher von allen Beteiligten ein noch größeres Durchhaltevermögen und einen besonders bewussten Umgang mit dem Einsatz der Sprachen.
Das Interview führte Annette Rübesamen
Buchtipp
Anja Leist-Villis, Elternratgeber Zweisprachigkeit, Stauffenberg Verlag, 2008, 17,80 Euro
Weiterführende Links
www.sprachfoerderung.info(von Dr. Anja Leist-Villis)
www.verband-binationaler.de (Verband binationaler Familien und Partnerschaften)
www.fmks-online.de (Verein für Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen e.V.)