Ab 3 Jahren
In Ordnung
Jedes meiner 14 Kindergartenkinder hat ein Geheimfach. Wenn man da reinschaut, findet man 14 völlig unterschiedliche Ordnungssysteme. Luna sortiert alles nach Farben, Luka nach Größe, Oscar sortiert gar nichts, bei ihm fliegt alles durcheinander. Freyas Fach ist die größte Überraschung: Es ist leer.
Ordnung ist etwas sehr Individuelles. Jede und jeder hat seine eigene Vorstellung davon. Deshalb kann man Ordnung nicht verordnen. Ordnung muss man gemeinsam entwickeln. Unsere Aufgabe als Eltern oder Erzieherin ist es, Ordnung zu ermöglichen, indem wir Strukturen schaffen. Denn äußere Strukturen helfen unseren Kindern dabei, innere Strukturen zu entwickeln. Das ist der Prozess, der im Kindergartenalter stattfindet.
Mit Strukturen meine ich verlässliche Tagesabläufe, zum Beispiel gemeinsames Essen, Schlafenszeiten, klare Zeitlimits für elektronische Geräte. Wichtig sind natürlich auch kindgerechte Ordnungssysteme: Schränke und Regale in Augenhöhe, transparente Boxen, bei denen man von außen schon sieht, was drin ist. Die Kinder bestimmen dann, wie die Ordnungssysteme verwendet werden. Isy zum Beispiel will eine große Box mit all ihren Kuscheltieren neben dem Bett stehen haben, damit sie abends immer spontan entscheiden kann, welches davon zu ihr unter die Bettdecke darf. Elias dagegen will seine Kuscheltiere überhaupt nicht an einem Platz, sondern im ganzen Zimmer verteilt haben. "Damit sie mich überall beschützen können", sagt er.
Überhaupt ist die Regel Nummer 1: Alles besprechen und Entscheidungen mit den Kindern gemeinsam treffen, das geht auch mit Dreijährigen schon sehr gut. Sie haben, was Ordnungssysteme betrifft, oft ziemlich genaue Vorstellungen.
Regel Nummer 2: Weniger ist mehr. Das gilt für Spielzeug, Kuscheltiere, Bücher und Kleidung. Lieber wenige gute Dinge als Berge von Plastikschrott. Wie sollen sich Kinder konzentrieren, wenn es überall um sie herum blinkt, quietscht und trillert und viel zu viele Gegenstände Aufmerksamkeit fordern?
Regel Nummer 3 lautet: Nach dem Spielen wird alles wieder weggeräumt. Natürlich außer Dingen, die fertig gebaut sind oder noch fertig werden müssen. Dafür gibt es einen Platz im Regal.
Am Anfang brauchen Kindergartenkinder dabei noch Hilfe und Motivation. Aber nach ein paar Monaten geht das meistens schon ziemlich gut allein. Dann dürfen wir Eltern uns aber nicht wundern, wenn die Kinder plötzlich selbstständig Regeländerungen einführen. "Heute räume ich mal gar nicht auf, weil aufräumen doof ist." Dann wird eben ausnahmsweise erst morgen aufgeräumt. Im Kindergarten nennt man das "situative Reaktion". Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch das ist völlig in Ordnung.
Gleich oder nicht gleich?
Schon kleine Kinder suchen nach den Ordnungsprinzipien der Welt. Täglich bilden sich dabei Millionen neue Synapsen. Mit 16 Monaten beginnen sie, Formen zu sortieren: Dreieck, Rechteck, Kreis. Dann folgen Farben, Längen, Gewichte.
Mit drei beginnt das Sammeln. Alles wird nach Hause gebracht: Blätter, Äste, Kastanien, Blumen, tote Insekten, Altpapier. Und genau inspiziert: Gibt’s Ähnlichkeiten, wo sind die Unterschiede bei Farbe, Größe, Geruch? So entstehen Kategorien. Und irgendwann Ordnung. Vielleicht …
Aufräum-Expertin Gunda Borgeest ist die deutsche Marie Kondo. Ihr "Aufräumbuch für die ganze Familie" enthält viele Tipps für Kinder von zwei bis zehn (Carlsen, 17 Euro)
Ab 8 Jahren
Horter oder Aufschieber?
Im Grundschulalter haben unsere Kinder schon eine starke eigene Persönlichkeit. Auch beim Aufräumen. Die vier häufigsten Typen (und wie wir damit umgehen)
Die Horter Alles sammeln und nichts wegwerfen: Horter fühlen sich umso besser, je mehr sie haben. Manche Psychologen meinen, dass sie damit einen Mangel kompensieren – Aufmerksamkeit, Liebe, Wertschätzung? Eine gute Idee für Horter-Eltern ist auf jeden Fall: statt Spielsachen lieber Zeit schenken. Zum Beispiel, um gemeinsam mit dem Kind alles anzuschauen, was sich angesammelt hat. Was brauchen wir noch? Für was bist du längst zu groß? Was können wir anderen Kindern schenken, die nicht so viel haben? Ganz wichtig ist es, den Weg der Dinge, die jetzt aussortiert werden, mit dem Kind gemeinsam zu gehen. Spielsachen und Klamotten in einer Flüchtlingsunterkunft abgeben, kaputte Gegenstände beim Wertstoffhof – vielleicht auch einen Hofflohmarkt veranstalten.
Die Perfektionisten Sie haben Angst, Fehler zu machen. Wenn sie schon aufräumen, wollen sie es besser als gut machen, und weil die Chance groß ist, dass das nicht gelingt, fangen sie erst gar nicht damit an. Kleinigkeiten können sie völlig aus der Bahn werfen. Die Blechschachtel für die Buntstifte hat eine Beule? Die Zeit reicht doch gar nicht, um alle T-Shirts perfekt zusammenzulegen? Das sind für Perfektionisten-Kinder gute Gründe, um die Flinte ins Korn zu werfen. Diese Kinder muss man loben, auch wenn das Ergebnis nur fast perfekt ist. Die Herausforderung für sie ist, auch die zweitbeste Lösung zu akzeptieren – beim Aufräumen, aber auch sonst im Leben.
Die Kreativen Das sind Kinder, die erst im Chaos aufblühen. Dann fühlen sie sich richtig wohl und haben tolle, verrückte Ideen. Sie sind oft schon mit acht Jahren sehr selbstständig und selbstbewusst und lassen sich nicht gern etwas sagen. Auch und ganz besonders, wenn es ums Aufräumen geht. Das zu akzeptieren, erfordert Eltern, die ebenso stark und selbstbewusst sind wie ihr Kind. Für ihr schöpferisches Chaos nehmen diese Kinder in Kauf, oft etwas nicht zu finden, was sie gerade dringend brauchen. Das könnte ein Ansatzpunkt sein, um ihnen das Aufräumen schmackhaft zu machen. Aber auch dafür ist Kreativität gefragt. Zum Beispiel ein Würfelspiel, bei dem jeder so viele Dinge aufräumen muss, wie der Würfel Augen zeigt. Oder eine Stopptanz-Challenge. Erst wird getanzt, und wenn die Musik stoppt, muss man blitzschnell fünf Gegenstände verräumen, damit es weitergeht.
Die Aufschieber Ihnen fällt es schwer, Prioritäten zu setzen. Räume ich erst den Ranzen weg und dann die Socken in die Tonne? Oder umgekehrt? Oder spitze ich erst mal die Bleistifte? Weil die Entscheidung so schwerfällt, schieben diese Kinder die Dinge gern auf. Das entlastet sie aber nicht, sondern setzt sie extra unter Druck. Diesen Kindern kann man damit helfen, Aufgaben in kleine, gut lösbare Schritte zu zerlegen.
Ab 12 Jahren
Regeln auf der Baustelle
In der Pubertät wird das Gehirn unserer Kinder zur Großbaustelle, und manches Kinderzimmer sieht auch so aus. Aufräum-Expertin Gunda Borgeest kommentiert drei typische Fälle:
Unsere Tochter Kiara, 13, lebt wie ein Messie in ihrem Zimmer zwischen alten Unterhosen und Essensresten, die samt Tellern im Bettkasten landen. Jetzt haben wir schon Mehlmotten im Haus. Was tun?
Gunda Borgeest: Das ist ein klarer Fall für eindeutige Regeln, nicht nur für Kiara, sondern für die ganze Familie. Zum Beispiel: Alle Essensreste und das Geschirr kommen jeden Abend in die Küche. Noch besser: Wir essen zusammen am Esstisch, und nicht allein im Zimmer. Wenn alle diese Regeln gemeinsam erarbeiten (auch Kiara will keine Maden und Motten in ihrem Zimmer) und sich daran halten, dann macht auch Kiara mit. Und dann wäre es gut, sie zu unterstützen, eine neue Struktur zu finden für ihr Zimmer. Hat Kiara überhaupt genug Stauraum? Braucht sie einen größeren Kleiderschrank oder ist der auch noch die Aufbewahrungsstelle für Familien-Handtücher und -Bettwäsche? Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die in der familieninternen Dynamik übersehen werden und alles verändern können.
Anton, 12, ist wegen seines ADHS so unkonzentriert, dass er es nicht einmal schafft, sein Zimmer richtig aufzuräumen. Wie können wir ihm helfen?
Gunda Borgeest: Es kommt vor, dass in Familien vor lauter Aufräumstreit gar nicht mehr richtig miteinander geredet wird. Als ich mit Anton sprach, hatte er nämlich klare Vorstellungen, was er in seinem Zimmer ändern wollte:
1. brauchte er Platz für seine fertig aufgebauten Lego-Sachen.
2. wollte er seine Playmo-Figuren nicht komplett, sondern in Einzelteile getrennt aufbewahren: Schwerter, Gürtel, Haare – alles separat.
3. wollte er statt der vielen Poster an der Wand lieber ein schönes großes Bild.
4. wusste er nie, wo er sich mit seinen Freunden hinsetzen sollte, wenn sie ihn besuchten.
Die Lösung war nach diesen klaren Ansagen relativ einfach. Wir sortierten alte Bücher aus und schafften im Regal Platz für die Lego-Bauten. Wir besorgten transparente Boxen mit vielen Fächern für seine Playmobil-Teile und -Figuren. Wir entfernten die Poster und hängten ein großes, selbst gemaltes Bild auf. Und zu Weihnachten gab es ein Sofa.
Unser Elias, 14, ist überordentlich. Alles ist perfekt sortiert. Und das in unserem liberalen Haushalt. Müssen wir uns Sorgen machen, dass er ein Spießer wird?
Gunda Borgeest: Nein! In der Pubertät brauchen manche Kinder einen Gegenentwurf zu ihrer Umgebung. Wenn in der Familie ein charmantes Chaos herrscht, kann das schon mal pingelige Ordnung sein. Da probiert sich jemand aus und sucht nach eigenen Strukturen. Meistens legt sich das von ganz allein. Aber wenn das Kind nicht nur immer ordentlicher und pingeliger, sondern auch immer stummer und stiller wird, ist das ein Warnzeichen. Dann steckt vielleicht ein Zwang oder größeres Problem dahinter (zum Beispiel Mobbing oder Angst).