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"Ich fürchte mich" Wie können Eltern helfen, wenn ihr Kind Angst hat?

Furcht beim Kind: Kind versteckt sich unter der Bettdecke
© Raul Mellado / Adobe Stock
Furcht gehört zum Leben. Wie Kinder daran wachsen und wir sie unterstützen können

Das Monster unterm Bett

... und andere typische Gruselgründe im Kita-Alter

Ab 3 Jahren

Hinterm Vorhang wohnt ein Kobold!

... den Mama nicht sehen kann, natürlich, weil er sich ja unsichtbar macht. Wer so argumentiert, ist mitten in der magischen Phase, die irgendwann um den dritten Geburtstag beginnt.

Das hilft: Die Ängste ernst nehmen. Für den Angsthasen ist der Kobold schließlich real. Viel besser als elterliche Besserwisserei (Kobolde und Gespenster gibt es nicht) ist gezieltes Nachfragen: Was macht der Kobold? Warum fürchtest du dich? Meinst du, der Kobold hat Hunger und ist deshalb grantig? Sollen wir ihm ein Butterbrot hinstellen? Größere Monster lassen sich möglicherweise mit Papas Aftershave bekämpfen. Einen Totenkopf auf die Flasche malen und "Monster-Ex" draufschreiben. Kinderzimmer großzügig einnebeln. Und dann: Fenster auf, damit das Monster mit dem Parfüm verduftet.

Nicht das Licht ausmachen!

Die Angst vor dem Dunkeln ist uns angeboren und evolutionsbiologisch sinnvoll: Wenn ein Steinzeitkind nachts aus der Höhle krabbelte, freuten sich die steinzeitlichen Raubtiere. Gerade wenn die Zwerge tagsüber selbstbewusster und unabhängiger werden, fürchten sie das Unbekannte, das in der Dunkelheit wartet.

Das hilft: Ein immer gleiches Einschlafritual (Ohren waschen, Schlafanzug anziehen, Zähne putzen, vorlesen), weil das klarmacht: Alles ist wie immer, kein Grund zur Aufregung. Perfekt ist ein Schlafbewacher: ein sehr mutiges Kuscheltier, das aufpasst, wenn das Kind die Augen schließt. Die Kinderzimmertür bleibt einen Spalt offen, damit das Licht vom Wohnzimmer reinleuchtet und Gewissheit gibt: Ich bin nicht allein, ein Zimmer weiter sitzen die Großen.

Da vorn ist ein Hund!

Klar sind Tiere cool, aber irgendwie auch spooky – wenn sie urplötzlich losbellen oder mit feuchten Nasen schnuppern. Kunststück: Aus Kinderhöhe betrachtet ist ein Pudel ein hüfthohes Riesenvieh.

Das hilft: Kinder dürfen ruhig wissen, dass von Tieren eine reale Gefahr ausgehen kann: Nicht jeder Dackel ist schließlich harmlos. Wie man mit Tieren umgeht, lernen Kinder am besten an der Hand ihrer Eltern. Die können den Besitzer fragen, ob man den Hund streicheln darf. Ja? Dann den Vierbeiner erst schnuppern lassen und ihm erst dann vorsichtig den Kopf kraulen. Trick 17: Mut lässt sich leichter an der gutmütigen Nachbarskatze trainieren.

Hilfe, ich verblute!

Auch wenn der Kratzer kaum zu sehen ist, zu den Schmerzen kommen für Kleinkinder existenzielle Sorgen: Was passiert, wenn alles Blut aus mir herausläuft? Muss ich dann sterben?

Das hilft: Erst einmal ein Pflaster draufkleben. Pusten, singen, trösten. Die Sache mit der Blutgerinnung kann man im zweiten Schritt erklären.

Ich fürchte mich …

Ab 8 Jahren

Kleine Kinder haben oft vor ganz ähnlichen Dingen Angst: Gewitter, Alleinsein, Dunkelheit. Bei Grundschülern werden die Ängste spezifischer. Und sie suchen oft schon selbst nach Lösungen

… davor, dass meine Oma bald nicht mehr weiß, wer ich bin

Meine Oma ist krank und deshalb sehr vergesslich. Immer stellt sie mir die gleichen Fragen: Wie es mir in der Schule gefällt (geht so), was ich dort am liebsten mag (die Pausen) und ob ich schon lesen kann (logisch, Oma, ich gehe in die dritte Klasse!). Weil meine Oma in Spanien wohnt, sehe ich sie selten, und ich habe Angst, dass sie mich nicht mehr erkennt, wenn ich sie im Sommer besuchen komme. Deshalb habe ich ihr jetzt ein Plakat gebastelt, auf das ich alle wichtigen Fragen und Antworten geschrieben habe. Damit sie das nachlesen kann.
Simon, 8 Jahre

… vor starkem Regen

Weil ich Angst habe, dass der Bach vor unserem Haus zum Fluss wird, unseren Keller überschwemmt und das Haus mitreißt. Manchmal habe ich Angst, dass die Welt bald untergeht.
Jonas, 7 Jahre

… davor, dass ich zu spät in die Schule komme

Deshalb stehe ich jeden Morgen um viertel vor sieben auf und gehe um halb acht los. Ich bin fast immer der Erste – zu spät gekommen bin ich noch nie. Warum ich mich trotzdem davor fürchte? Weiß ich auch nicht.
Karl, 7 Jahre

… davor, dass es bei uns brennt

Vor Kurzem hat Mama im Keller Wäsche aufgehängt und vergessen, dass noch ein Topf mit Milch auf dem Herd steht. Es hat geraucht und furchtbar gestunken, aber das habe ich gar nicht gemerkt. Ich bin nur so erschrocken, als der Feuermelder losgegangen ist. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun soll, und bin deshalb einfach aus dem Haus gelaufen.
Ella, 8 Jahre

… vor Corona

Weil dieses Virusdings mein ganzes Leben durcheinandergebracht hat: Ich kann manchmal nicht zu Schule. Ich kann manchmal meine Freunde nicht treffen. Ich muss Masken tragen. Und Papa hat Angst, dass er seinen Job verliert – er arbeitet im Hotel. Corona ist mir unheimlich. Und am meisten Angst macht mir, dass auch die Erwachsenen nicht so richtig wissen, was sie tun sollen.
Chiara, 7 Jahre

… vor scheußlichen Träumen

Weil ich beim Träumen nicht weiß, dass es nur ein Traum ist, es fühlt sich ja normal an. Wie neulich, als ich mit einer Freundin durch eine Stadt gelaufen bin und uns auf einmal vom Berg eine Lava-Flut entgegengekommen ist – wie in Zeitlupe. Wir wollten weglaufen, aber das ging nicht. Zum Glück bin ich dann aufgewacht. Vor gruseligen Filmen fürchte ich mich auch – aber die schaue ich mir einfach nicht an.
Anouk, 11 Jahre

… vor Menschen im Rollstuhl

Und das ist mir schrecklich peinlich, weil ich ja weiß, dass die krank sind und mir natürlich nichts tun. Aber wenn ich mir vorstelle, dass denen vielleicht ein Bein fehlt, wird mir ganz komisch. Ich muss dann immer daran denken, dass sich Mamas bester Freund vor zwei Jahren mit der Kreissäge in die Hand gesägt hat. Seitdem fehlen ihm drei Finger. Ich glaube, das ist für mich viel schlimmer als für ihn. Er hat sich längst daran gewöhnt, dass seine Hand anders ist – und es tut ihm ja auch nicht mehr weh. Aber ich grusele mich einfach so.
Anna, 9 Jahre

Genau gucken, schnell reagieren: Ausgestattet mit je einer Monsterklatsche gehen zwei bis vier Spieler auf Monsterjagd. Wer zuerst fünf Monster erbeutet, hat gewonnen. ("Monsterjäger" von Schmidt Spiele, ab 5 Jahre, die Erweiterung ist kniffliger und macht auch Größeren Spaß.)

Von der guten und der schlechten Angst

Ab 12 Jahren

Wer Angst hat, ist vorsichtig, erklettert den Baum Schritt für Schritt – bevor der Arm im Gipsverband steckt. Einerseits. Anderseits: Wer vor lauter Angst kein Auge zumacht vor der Prüfung, dem geht’s auch nicht richtig gut. Über die richtige Balance sprachen wir mit Psychologin Prof. Julia Asbrand von der Humboldt Uni Berlin

ELTERN FAMILY: Warum haben wir Angst?

Prof. Julia Asbrand: Angst ist zunächst einmal ein nützliches Gefühl. Wer Angst vor wilden Tieren hat, läuft weg. Wer wegläuft, wird nicht gefressen. Wer im Straßenverkehr Angst hat, geht vorsichtig über die Straße. Und wer sich fürchtet, die Matheschulaufgabe zu verhauen, lernt – im Idealfall – rechtzeitig.

Und wann wird Angst zum Problem?

Wenn sie uns einschränkt. Ein paar Tage vor der Abi-Prüfung Muffensausen zu bekommen, ist normal. Wer schon drei Monate vorher an nichts anderes mehr denken kann, blockiert sich vor allem selbst: wenn die Angst mich davon abhält, mein Leben zu leben. Dinge zu tun, die ich gern mache.

Zum Beispiel?

Emma, 12, würde gern in einer Band singen. Karl, 13, weiterhin im Fußballverein kicken. Tun die beiden aber nicht, weil sie Angst haben, sich zu blamieren.

Klingt nach Teenager-Alltag.

Haargenau, weil man sich in der Pubertät durch den Dschungel der sozialen Ängste kämpft. Sehr viel anders, als sich vor der hohen Rutsche zu fürchten, ist das aber gar nicht. Wer sich irgendwann doch rauf traut, ist superstolz und drei Zentimeter gewachsen. Wer ein Referat vor der Klasse halten muss, gruselt sich vorher und ist danach erleichtert – und im Idealfall um die Erkenntnis reicher: So schlimm war es gar nicht.

Und wie kriegen wir Emma und Karl dazu, sich nicht zu verkriechen?

Indem wir ihnen vorleben, dass solche Ängste zum Leben gehören. Natürlich meckert die Mannschaft, wenn Karl ein Tor verschießt. Aber sie jubelt auch, wenn er trifft. Ambiguität nennen wir die Tatsache, dass soziale Situationen selten eindeutig sind: Manche finden gut, was wir tun, die anderen eben nicht. Und wenn wir uns verkriechen, werden die Dämonen eher größer als kleiner.

Sie sagten eingangs, Angst ist ein nützliches Gefühl: Was lernen Jugendliche durch soziale Ängste?

Wie wir als Gesellschaft funktionieren. Spätestens seit Corona wissen wir: Das klappt nicht, wenn jeder rücksichtslos sein Ding durchzieht. Nur wer fürchtet, dass er aneckt, lernt, dass man sich manchmal auch zurücknehmen und anpassen muss. Wann und wie, das muss man ausprobieren. Auch wann es sich lohnt, für die eigenen Meinungen und Überzeugungen einzustehen. Dieses Feintuning lernt man nicht in der Familie. Eltern lieben ihre Kinder auch, wenn sie anstrengend sind. Dass Freundschaften, Beziehungen zerbrechen können, erfährt man in der Peer Group. Und auch: dass niemand immer alles richtig macht.

Corona-und-du.info

Wie genau sich die Pandemie auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirkt, werden wir erst in einigen Jahren wissen. Sicher ist: Leichter macht sie das Erwachsenwerden nicht. Auf corona-und-du.info finden Teenager und Eltern Infos zur psychischen Gesundheit.

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