Regel Nummer 1: Kommt auf die Perspektive an
Unsere Kinder haben je vier, Smilli fünf Patentanten und -onkels. Und bei jedem ist einer dabei, der das pünktliche Geschenkeabliefern regelmäßig vergisst oder sagen wir: seehr spannend macht. Interessant daran: Meist sind genau dies die Lieblingspaten, nämlich jene liebenswerten Chaoten, die jedes Herz im Sturm erobern. Smillis Patenonkel mit ebenjener Eigenschaft hat zudem die Gabe, zwar immer viel zu spät zu liefern, dann aber den Vogel abzuschießen: zuletzt ein glitzerndes Vollplastik-Mikrofon in Türkis, das man mit dem iPad verbinden kann, um darauf rhythmusgenau nach Karaoke-Style zu singen. Sogar die Stimme verzerren kann man, juchei. Smilli liebt es!
Ich hingegen verstecke es, wann immer ich es finde, denn es raubt uns allen den letzten Nerv. (Die Verzerrung klingt, als würde sich das kleine Gespenst im Stimmbruch an einem Whitney-Houston-Song versuchen.)
Apropos nervtötende Geschenke: Als Matti geboren wurde, hatte meine Mutter den rührenden Impuls, dem vom Thron gestoßenen Juri etwas zu schenken. So weit, so gut, das Problem war nur, dass es ein Traktor war, der batteriebetrieben durch die Wohnung knatterte. Ist doch nett, werdet ihr jetzt denken, aber erstens haben Batterien die Eigenschaft, irgendwann leer zu sein (was regelmäßig zur Kernschmelze bei der Kindergeduld führt) und zweitens zeterte dieser Trecker minutenlang lautstark, wenn er von einer Wand oder einem herumstehenden Maxicosi aufgehalten wurde – bis, ja, bis ich ihn an ebenjene Wand schmiss. Bitte nicht meiner Mutter verraten.
Fazit: Batteriebetriebenes kommt bei Kindern gut an, treibt aber Mütter in den Wahnsinn.
Regel Nummer 2: Erkenne die beschenkte Person
Viele Jahre lang hat meine Mutter mir Modeschmuck geschenkt. Ich gebe zu, ich bin sehr schwer zu beschenken, aber irgendwann wurde ich regelrecht wütend, wenn ich wieder eine knallbunte Kette auspackte und mich fragte: Sieht sie mich jemals an? Fakt ist: Der einzige Ring, den ich trage, ist mein Ehering und den hat mich Immo – wohlweislich – selbst aussuchen lassen. Ich weiß, nicht sehr romantisch, aber weise (von meinem Mann).
Warum er mich geheiratet hat, obwohl ich eine sagen wir ‚recht komplexe‘ Persönlichkeit bin? Nun, auch da könnte ein Geschenk eine Rolle gespielt haben: Sechs Monate, nachdem wir ein Paar geworden waren, bin ich anlässlich seines Geburtstags in ein Tonstudio gegangen und habe einen Song aufgenommen, den der von uns beiden sehr geschätzte Neil Diamond seinerzeit gesungen hatte. "Play me", eine großartige Schmonzette: "Your are the sun, I am the moon, you are the song, I am the tune, play me!" Hach! Ich gebe zu, danach haben viele Krawatten, Strümpfe und Oberhemden auf dem Geburtstagstisch gelegen, aber das war ein Volltreffer und hat – wage ich zu behaupten – den Grundstein für unsere inzwischen 19-jährige Ehe gelegt.
Immo seinerseits hat zu Beginn unserer Ehe ein gebundenes Buch angelegt, in dem er jedes Jahr zu meinem Geburtstag ein weiteres Kapitel darüber schreiben wollte, warum er mich liebt beziehungsweise welche Eigenschaft er besonders an mir schätzt. Ich liebe das Buch natürlich, denn es ist eine wunderschöne Idee, wie ich finde. Leider hat es nur zwei Kapitel.
Immo hat es irgendwie nie weitergeführt. Wahrscheinlich habe ich einfach nur zwei gute Eigenschaften, oder ihm sind im Laufe der Jahre die Gründe ausgegangen, warum er mich liebt, aber egal, sie scheinen auszureichen, und mir reichte allein die Idee.
Fazit: Bei unvollendeten Gaben darf man nicht empfindlich sein.
Regel Nummer 3: Geld spielt keine Rolle. Meistens
Gute Geschenke sind also keine Geldfrage, und Immos Geschenke beweisen das immer wieder. Zu meinem letzten Geburtstag jedenfalls bekam ich ein Geschenk von ihm, das mich mitten ins Herz traf: eine Eselwanderung mit der ganzen Familie. Wer mich kennt, weiß, das Tränen geflossen sind, denn ich LIEBE Esel und gemeinsame Erlebnisse.
Und wer Kinder hat, weiß, dass sie eh die besten Schenker sind – trotz chronischer Unterfinanzierung, wie Juri monatlich beklagt: Matti zum Beispiel hat mir einmal Ohrringe geschenkt, die ich zu seinem Kummer nie trage, aber deren Anblick mich bis heute zutiefst rührt. Denn sie erzählen mir, wie er mich offenbar sieht: als etwas verrücktes Huhn.
Oder Smillis selbst gebastelte Kerze mit der Aufschrift: "Für Mamis Badenwannenstunden". Und während ich diese schreibe, gleitet meine Maus über ein Mauspad mit verewigter Kinderzeichnung und der Aufschrift "Beschte Mami". Das sind Dinge, die bleiben, im Herzen.
Als ich vor erschreckenden 28 Jahren zu einer Weltreise mit Rucksack aufbrach, schenkte mir meine beste Freundin eine kleine weibliche Kippfigur mit Hawaii-Blumenkette – mein optischer Anker im Corona-Jahr ohne Reisen. Das Plastik ist verblasst, aber doch voller Erinnerungen.
Fazit: Materie wird dann sinn- und wertvoll, wenn sie mit Gefühlen verbunden ist.
Regel Nummer 4: Bleibende Geschenke müssen reifen
Wie bereits angedeutet: Geld spielt nicht immer eine Rolle. Manchmal erkennt man den Wert, den Geschenke haben, auch erst mit der Zeit.
So höre ich mich noch etwas angestrengt und gekünstelt an meiner eigenen Konfirmation zu meinem Patenonkel sagen: "Oh, toll ein silberner Serviettenring mit meinem Namen, danke …" Damals dachte ich: Was soll ich damit? Heute liegt der Ring jeden Tag an meinem Platz und sorgt dafür, dass ich nicht aus Versehen zu Smillis von Tomatensoße verklebtem Lappen greife, um mir den Mund abzuwischen.
Und meine heißgeliebte Patentante Irmi ist zwar schon im Himmel, aber dieser winzige Silberbecher, den ich einst von ihr zur Taufe bekam, steht noch immer mit kleinen Blüten auf meinem Nachttisch und macht die Unvergessene unvergessen.
Fazit: Ich weiß also, worauf es ankommt, wenn wir jetzt etwas für Matti zur Konfirmation oder für meine Nichte zur Taufe aussuchen, aber ich weiß auch: Sie werden es erst Jahre später zu schätzen wissen. Und deshalb darf es zum Geburtstag auch mal was aus Plastik sein; man will ja nicht in Ungnade fallen bis dahin.
Julia Schmidt-Jortzig, 47,
hat zwei Söhne (Juri 15, Matti 14), eine Tochter (Smilla, 9), einen Mann (Immo), einen Hund (Flocke), einen Job und ein Haus in der schleswig-holsteinischen Provinz. Was dabei im Alltag herauskommt, erzählt sie uns hier alle zwei Monate im Wechsel mit Joachim Brandl, Vater von zwei kleinen Töchtern aus Wien.