Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, veränderte das nicht nur die ganze Welt, sondern auch einiges in unserer Familie. Unsere drei Söhne, alle drei im Grundschulalter, rückten aneinander. Wenn sie abends vor den Kindernachrichten saßen, hielten sie heimlich Händchen. Sie bauten sich Matratzenlager und kuschelten sich nachts zusammen. Wenn der Kleine sagte: "Ich habe Angst, dass Papa auch mit der Waffe kämpfen muss", lachten die Großen ihn nicht aus, sondern fanden beruhigende Worte: "Nee, Papa hat doch Zivildienst gemacht, der darf das gar nicht!"
So irrational und inhaltlich falsch ihre Kommunikation manchmal auch war, sie war in sich stimmig und erfüllte besser als jeder elterliche Beruhigungsversuch genau den richtigen Zweck: wieder Ordnung zu bringen in die kindliche Welt, die plötzlich aus den Fugen zu geraten schien. Die Kinder fanden ihre eigene Sprache ("Putin ist voll der Loser!") und schmiedeten naive Pläne, wie man dem Diktator den Garaus machen könnte. Und ja, sie spielten den Krieg auch nach, bei einer Nerf-Battle im Wald. Aus Elternsicht nur schwer vertretbar, aus Kindersicht der verständliche Versuch, Hilflosigkeit und Wut in Aktion zu verwandeln.
Das alles steht natürlich in keiner Relation zu dem Grauen, das in der Ukraine herrscht. Was die Menschen, Familien und Kinder dort erleben müssen, ist eine andere Nummer, unvergleichlich mit unseren Problemen. Aber die Angst ist nun mal existent, auch hier bei uns. Da tut es gut zu beobachten, wie drei halbstarke Jungen füreinander da sind, sich ernst nehmen und zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. Denn – und das wissen alle Eltern, die mehr als ein Kind haben – Geschwister sind nicht immer ein Herz und eine Seele. Gefühlt sind sie es sogar eher selten. Sie streiten eben auch viel, sie verpetzen sich gegenseitig, sie kämpfen jeden Tag um Mamas und Papas Liebe.
Konkurrenz und Eifersucht?
Wenn über den Wert von Geschwistern geredet wird, geht es oft um Konkurrenz, Streit und Eifersucht; um Große, die über Kleine herrschen, um Schlaue, die die weniger Schlauen ausstechen; um Eltern, die Lieblingskinder haben, und um Erstgeborene, die durch die Geburt eines Geschwisterchens vom Thron gestoßen werden.
Aber die Wahrheit ist doch auch: Geschwister sind eine unglaubliche Ressource füreinander. Wenn es darauf ankommt, halten sie zusammen. Und dafür muss nicht erst Krieg herrschen. Wenn Mama mal wieder schimpft, weil keiner den Geschirrspüler ausräumen will, und Papa sauer ist über den Mathe-Fünfer, springen sie füreinander in die Bresche ("Die Mayer macht aber auch immer viel zu schwere Klassenarbeiten!"), kein Blatt passt zwischen sie ("Dann hängen wir jetzt halt zusammen die Wäsche auf!"). Sie geben einander ein Gefühl von Zugehörigkeit, von Gemeinschaft, von Verbundenheit. Im Zeitalter des Individualismus ist allein das schon ungeheuer viel wert.
Keine Beziehung im Leben ist so intensiv und prägend, so ebenbürtig, langlebig und bereichernd wie die zu Geschwistern. Gerade in Zeiten, in denen die Familie nicht immer lebenslange Sicherheit bedeutet, Eltern sich trennen, Omas und Opas weit weg wohnen, bilden Brüder und Schwestern eine kostbare Konstante – in der Kindheit als Spielpartner, Sparringspartner und Verbündete; als Freunde, Vertraute und niemals wegbrechende Stütze im Erwachsenenalter. Nicht immer ist die Bindung gleich stark, im Lauf des Lebens wandelt sie sich immer wieder, schläft mal ganz ein, wackelt auch. Klar ist aber: Sie ist nicht kündbar, sondern besteht ein Leben lang. "Selbst wenn Geschwister als Erwachsene keinen Kontakt zueinander haben, im inneren Erleben bleiben sie immer ein Teil voneinander. Es gibt keine Nicht-Beziehung zu Geschwistern", sagt Professor Jürg Frick, Geschwisterforscher und emeritierter Professor für Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Gemeinsame Herkunft und Erfahrungen werden zum unauflösbaren Band. Unzählige Erlebnisse, Gefühle und Reaktionen bilden einen bunten Teppich an gemeinsamen Erinnerungen, die einen Menschen zu dem machen, was er ist, wie er denkt, wie er fühlt und handelt.
Geschwister: Tendenz steigend
In Deutschland wächst heute etwa ein Viertel der Kinder als Einzelkinder auf, 47 Prozent leben mit einem Geschwister zusammen, 26 Prozent haben zwei und mehr Geschwister. Mit einem Trend zum dritten Kind steigt die Geburtenrate in Deutschland aktuell sogar wieder. Vielleicht wächst auch deshalb gerade das wissenschaftliche Interesse an der Geschwisterthematik, lange Zeit war sie nämlich ein ziemliches Stiefkind der Forschung. Wurden doch mal Studien in Auftrag gegeben, ging es oft um die Geburtenfolge und was die jeweilige Position für die Entwicklung des einzelnen Kindes bedeutete. Dabei kam es zu amüsanten Ergebnissen, die auch heute noch lieber zitiert werden als differenzierte, aber nicht immer eindeutige Aussagen. So behaupteten Anfang der 90er-Jahre Autoren, dass Inhaberinnen von Schönheitssalons meistens als zweite Kinder auf die Welt kämen, genauso wie die Mehrzahl der Drogenabhängigen. Oder: Bei der Partnersuche sollten sich Sandwichkinder am besten auf Erstgeborene konzentrieren – das erhöhe die Chance auf eine glückliche und lange Beziehung. Alles unbewiesene Behauptungen.
Besonders in den Anfängen der Geschwisterforschung war Schubladendenken sehr beliebt. So ging man davon aus, dass erstgeborene Kinder eher zu angepasstem Verhalten neigten, später geborene viel öfter rebellisch und auf Konfrontationskurs zu den Eltern und dem Rest der Familie seien. Sandwich-Kinder wurden als diplomatisch beschrieben, Nachzügler als besonders ehrgeizig und willensstark.
Die empirische Grundlage für solche Aussagen war schon damals dünn, heute weiß man aber sicher: "Feste Zuordnungen zwischen Charaktereigenschaften und einer bestimmten Position in der Geschwisterfolge sind nicht möglich", sagt Jürg Frick. "Dafür spielen zu viele andere Faktoren mit rein." Zahl und Geschlecht der Geschwister zum Beispiel, ihr Altersabstand, ihr Temperament.
Heute liegt der Fokus verstärkt auf den Beziehungen. Es geht mehr um das System "Familie", um Bindung und Verbundenheit. Immer mehr kommt man zu dem Schluss, dass es die Dynamik in der Familie, die psychosozialen Verhältnisse sind, die die Persönlichkeit eines jeden Menschen beeinflussen. Man kann die Geschwisterbeziehung nicht loslösen von allen anderen Beziehungen – zu den Eltern, Großeltern, Halb- oder Stiefgeschwistern.
Die Nische in der Familie finden
Je nach Konstellation aller Umstände suchen sich Kinder ihre Nische in der Familie. Aus evolutionärer Sicht ganz logisch: Um von den Eltern Zuwendung, Anerkennung und Liebe zu bekommen (und die brauchen sie fürs Überleben dringend), müssen sie individuell und in ihrer Rolle richtig gut sein. Wenn also der Platz des schönen, charmanten Mädchens schon besetzt ist, wird die Zweitgeborene einen anderen einnehmen, zum Beispiel den des mutigen, burschikosen Wildfangs oder den der schlauen Überfliegerin. "Ist doch klar: Einen einzigartigen Platz findet man nicht als Kopie der Schwester oder des Bruders, sondern als deren Gegensatz", erklärt Professor Frick. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass man in sehr vielen Familien komplementäre, also einander ergänzende Geschwister finde: Ist der eine Bruder besonders ernst, macht der andere den Clown. Tanzt die eine Schwester gern zu lauter Musik, guckt die andere lieber Bücher an. Und so stimmt zumindest diese Vereinfachung: Auf ein rebellisches Kind folgt überdurchschnittlich häufig ein braves – und umgekehrt.
"Die gegenseitige Abgrenzung dürfte übrigens auch erklären, warum sich Kinder einer Familie nicht selten auseinanderentwickeln", so Frick. "Sie sind eben nicht zwangsläufig beste Freunde." Das müssen sie übrigens auch gar nicht sein, um voneinander profitieren zu können. Gerade die Gegensätzlichkeit kann nämlich auch ein gutes Trainingsfeld fürs spätere Leben sein. "Solange Rivalität und Konkurrenz dem Ansporn dienen, stellen sie einen guten Entwicklungsreiz dar."
Und die Einzelkinder? Kommen zumindest in der Familie ohne Entthronungs-Trauma, Abgrenzungs-Probleme und Neid-Debatten aus. Da springt bei allen Menschen mit Geschwistern direkt die Vorurteils-Maschinerie an: Werden Einzelkinder durch die fehlende Reibung nicht automatisch zu verwöhnten Kronprinzen und -prinzessinnen, die sich selbst völlig überschätzen und keine Freunde finden? Die meisten Bedenken gegenüber Einzelkindern hat die Forschung inzwischen widerlegt. Wer ohne Geschwister aufwächst, hat meist einen Haufen anderer Kinder, mit denen er sich messen kann. Einzelkinder haben zwar im Schnitt zu etwas weniger Personen Kontakt, dafür aber intensivere als Menschen mit Geschwistern. Insgesamt zeigen sich aber keine empirisch relevanten Unterschiede in der beruflichen und privaten Entwicklung.
Auch Eltern haben übrigens großen Anteil daran, wie gut Geschwister sich verstehen. Wer ein gutes Miteinander vorlebt, fördert auch bei seinen Kindern die Teamfähigkeit. Gehören gegenseitige Hilfe, Respekt und Gemeinschaft ganz selbstverständlich zum Familienleben? Dann ist das schon die halbe Miete.
Haben Eltern Lieblingskinder?
Und dann ist da noch die Sache mit den Lieblingskindern. "Auch wenn viele Eltern das glauben und es sich auch wünschen: Es ist nicht möglich, alle Kinder immer gleich oder gar gerecht zu erziehen", sagt Jürg Frick. Das Ziel müsse vielmehr lauten: Fairness. Nicht parteiisch sein ("Du fängst aber auch immer an!"), keine Konkurrenz schüren ("Nimm dir mal ein Beispiel an deiner großen Schwester!"), einen Schritt zurücktreten und überlegen, was der eigene Erziehungsstil mit einem selbst, seinen Erfahrungen und vielleicht auch persönlichen Seelenwunden zu tun hat. Geschwisterforscher Frick ist sich sicher: "Viele Probleme und Konflikte gehen auf alte Muster aus der eigenen Kindheit zurück. Das spielt in der Erziehungsberatung und in Therapien eine viel zu kleine Rolle." Dabei könne der Blick zurück manchmal auf ganz einfache Weise dabei helfen, verfahrene Situationen zu lösen.
Für Eltern bleibt wie immer: die große Verantwortung. Gelingt ihnen der reflektierende Blick? Das respektvolle, faire Miteinander? Dann schaffen sie die beste Grundlage für eine tiefe Geschwisterbeziehung. Frick: "Wo die positiven gemeinsamen Erlebnisse überwiegen, entsteht eine unersetzbare, oft lebenslange emotionale wie kognitive Ressource." Dann können Geschwister Begleiter und Identifikationsfigur, Fan und Verbündeter, Elternersatz und Vorbild in einem sein. Es lohnt sich also, dranzubleiben. Jeden Tag.
Zum Weiterlesen für alle, die sich zu Hause ein A-Team wünschen
Nicola Schmidt: "Geschwister als Team. Ideen für eine starke Familie", Kösel, 18 Euro;
Jürg Frick: "Ich mag dich – du nervst mich. Geschwister und ihre Bedeutung für das Leben", hogrefe, 29,95 Euro
Das SOS-Geschwisterhaus in Bremen
"Wenn meine Schwester auch hier ist, kann es nicht ganz falsch sein"
Ein unauffälliges Einfamilienhaus irgendwo am Stadtrand von Bremen. Weil es ein absoluter Schutzraum sein soll, bleibt der genaue Ort geheim. Zehn Kinder wohnen hier, für jedes gibt es ein freundlich eingerichtetes Zimmer. Nicht zu persönlich, ordentlicher als ein normales Kinderzimmer, denn sie müssen ja bald wieder ausziehen. Es ist die erste reine Inobhutnahmestelle für Geschwister in ganz Deutschland. Was das ist? So etwas wie die Notaufnahme des Jugendamtes. Eine vorübergehende Unterkunft für Kinder, die keinen Tag länger bei ihren Eltern leben können. Wichtigstes Aufnahmekriterium hier in Bremen: Das Kind muss Brüder oder Schwestern haben, die ebenfalls mit aufgenommen werden.
Denn: Als Kind von seinen Eltern getrennt zu werden, weil es bei ihnen nicht mehr sicher ist, ist schlimm genug. Dann auch noch die Geschwister zu verlieren ist fast unzumutbar. In Deutschland allerdings immer noch Realität. Und die Zahl der Inobhutnahmen steigt stetig. Waren es im Jahr 1995 noch rund 23 000, wurden 2020 annähernd doppelt so viele Kinder aus ihren Familien genommen. Die Gründe? Drogen- oder Alkoholkonsum der Eltern, Gewalt, Verwahrlosung, sexueller Missbrauch in der Familie.
Weil es bei Inobhutnahmen oft schnell gehen muss, kommen Kinder in dieser Notsituation dorthin, wo gerade Platz ist. Nur selten reicht er für mehrere Geschwister an einem Ort.
Anders im Geschwisterhaus des SOS-Kinderdorfs in Bremen: Hier können Brüder und Schwester zusammenbleiben, auch wenn sie zu dritt oder zu viert oder sogar noch mehr sind. Sie leben hier für ein paar Wochen, höchstens sollen sie drei Monate bleiben. In dieser Zeit wird nach einem neuen Zuhause gesucht, etwa einer Pflegefamilie. Manchmal dürfen die Kinder auch zurück zu ihren Eltern.
Dr. Lars Becker leitet das SOS-Kinderdorf Bremen und ist verantwortlich für das Geschwisterhaus. Er ist studierter Sonderpädagoge und hat die Einrichtung mit aufgebaut.
Eltern family: Herr Dr. Becker, bei einer Inobhutnahme werden Geschwister, anders als in Ihrem Haus, meistens auseinandergerissen, wie schrecklich. Kann man da gar nichts machen?
Dr. Lars Becker: Es sind ja akute Notsituationen, in denen das passiert, die Kinder müssen von heute auf morgen aus ihren Familien raus. So hart es klingt: Wenn Gefahr im Verzug ist, geht es den Mitarbeitenden des Jugendamts erst mal um die Sicherheit der Kinder, nicht um Geschwisterliebe. Aber ja, es ist schrecklich. Und eine unnötige Zumutung. Und es gibt da in Deutschland großen Verbesserungsbedarf.
... den SOS-Kinderdorf schon vor ein paar Jahren erkannt und daraufhin das Geschwisterhaus in Bremen initiiert hat.
Ja, das war und ist etwas sehr Besonderes. Und es erfüllt uns jedes Mal mit Glück zu sehen, wie gut es den Kindern tut, in so einer Krisensituation zusammenbleiben zu können. Man muss sich das ja zum Beispiel so vorstellen: Ein Kind wird mittags nicht von Mama, sondern von einer fremden Mitarbeiterin des Jugendamtes vom Kindergarten abgeholt, manchmal sogar in Begleitung der Polizei. Je kleiner die Kinder sind, desto weniger können sie verstehen, was da gerade mit ihnen passiert. Hier im Geschwisterhaus ist dann alles fremd, alles neu, es sieht ein bisschen aus wie in einem Kindergarten. Und das Schlimmste: Mama und Papa sind weg. Was für eine enorme Erleichterung, wenn wenigstens die Brüder und Schwestern auftauchen. Sie sind vertraut, geben Sicherheit und Halt in einer traumatischen Situation.
Ganz konkret: Wie können sich die Kinder gegenseitig helfen?
Auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Zum einen ist es die bloße Nähe, die beruhigt. So nach dem Motto: Wenn meine Schwester auch hier ist, kann es nicht ganz falsch sein. Obwohl jedes Kind sein eigenes Zimmer hat, übernachten Geschwister bei uns oft zusammen, sie suchen die körperliche Nähe. Wir haben dafür extra Auszieh-Betten in den Zimmern. Manchmal beobachten wir auch, dass Kinder zu Beginn nur zu zweit ins Bad gehen, weil die Unsicherheit so groß ist, dass sie sich auch noch verlieren könnten. Da geht es darum, sich gegenseitig Sicherheit zu geben. Geschwister können auch miteinander sehr gut über das Erlebte sprechen, besser als mit fremden Erwachsenen. Oft haben sie ihre ganz eigene Sprache in der Familie, sie verstehen einander einfach. Und sie haben bereits vorher herausfordernde Situationen miteinander bewältigt, das schweißt zusammen.
Auch für unsere Mitarbeitenden ist diese Vertrautheit ein großer Vorteil. Ein älteres Kind kann uns z.B. erzählen, welches Abendritual dem kleinen Bruder beim Einschlafen hilft, was er gerne isst, wie sein Kuscheltier heißt. Wir erleben oft, dass Kinder schlecht für sich selbst erklären können, was ihnen guttut, dafür um so besser für ihre Geschwister.
Nun sind Geschwister ja nicht immer beste Freunde. Gibt es auch Fälle, in denen eine getrennte Unterbringung besser wäre?
Nur sehr selten. Selbst wenn Geschwister nicht ein Herz und eine Seele sind, geben sie sich doch gegenseitig Sicherheit und Kraft. Die Familie ist auch für Kinder aus schwierigen Verhältnissen immer ein Sehnsuchtsort, sie gehört zu ihrer Identität. Mit den Geschwistern bleibt wenigstens ein Teil davon erhalten. Ich habe nur wenige Einzelfälle erlebt, in denen das nicht zutraf, etwa als ein großer Bruder die gewalttätigen Muster des Vaters übernommen hat und die kleinen Geschwister drangsaliert hat. Manche Geschwister nehmen vielleicht auch Rollen ein, mit denen sie überfordert sind, etwa wenn eine große Schwester die Mutterrolle für die kleine Schwester übernimmt. Das ist aber nicht unbedingt ein Grund für eine Trennung, eher für eine engmaschige sozialpädagogische oder therapeutische Begleitung.
Ein Haus, eine Mutter, ein Dorf und Geschwister – das ist ja von jeher das familiäre Prinzip von SOS-Kinderdorf. Was unterscheidet leibliche von sozialen Geschwistern?
Leibliche Geschwister haben naturgemäß eine längere gemeinsame Vergangenheit, gleiche Erinnerungen, ähnlich starke Gefühle für dieselben Bezugspersonen. Das macht ihr Verhältnis eng und vertraut, sie verstehen sich oft blind. Sie sind in jungen Jahren einfach eine Schicksalsgemeinschaft. Bei sozialen Geschwistern kann Ähnliches natürlich auch wachsen, aber es bleibt doch immer ein Konstrukt. Es ist ein bisschen wie in einer Patchwork-Familie, die kann im Zusammenleben ja auch sehr erfüllt sein. Aber ohne es zu sehr idealisieren zu wollen: Das Grundgefühl wird unter leiblichen Geschwistern wohl immer ein anderes sein.
Das Familien-Prinzip
Ursprünglich wurde der SOS-Kinderdorfverein gegründet, um Kindern, die nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben können, trotzdem ein geborgenes Familienleben zu ermöglichen. Dafür leben Kinderdorfmütter und -väter rund um die Uhr mit ihren Schützlingen zusammen, in eigens aufgebauten "Dörfern". Heute gibt es in Deutschland 18 solcher Kinderdörfer mit 87 Familien. Aktuell nehmen sie auch unbegleitete Minderjährige und Waisen auf, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Auch hier wird versucht, (soziale) Geschwister gemeinsam unterzubringen. sos-kinderdorf.de
Berühmte Geschwisterpaare
Brüderchen und Schwesterchen
Geschwisterbeziehungen sind ein Thema, seitdem es die Menschheit gibt. Und seit jeher auch Gegenstand menschlicher Narrative, zum Beispiel im Alten Testament (Kain und Abel), in Mythologie und Märchen (Hänsel und Gretel), in TV-Serien und Kinofilmen. Und auch im echten Leben findet man Geschwister, die von sich reden machen, weil sie besonders gut "zusammenarbeiten".
Die ballstarken Tennis-Göttinnen
Name: Venus und Serena Williams
Geboren: 1980 und 1981
Wohnort: Miami
Ausbildung: Profi-Tennisspielerinnen
Besondere Kennzeichen: In acht Grand Slam-Turnieren traten die Schwestern gegeneinander an, sechsmal gewann Serena.
Sie sind das perfekte Doppel: Die Weltklasse-Tennisspielerinnen aus Amerika gewannen zusammen 30 Grand-Slam-Turniere: 23-mal war Serena erfolgreich, siebenmal ihre ältere Schwester Venus. Auch wenn die eine in ihrer Profi-Karriere erfolgreicher war als die andere, halten die beiden zusammen. In einem Interview gab Serena zu, dass Venus immer ihr heimliches Vorbild war. "Ich habe alles getan, was du getan hast, sogar wie ich mich außerhalb des Platzes verhalten habe, im Leben und bei allen Entscheidungen, die ich getroffen habe."
Die schlauen Neffen
Name: Tick, Trick und Track
Geboren: 1937
Wohnort: Entenhausen
Ausbildung: Pfadfinder
Besondere Kennzeichen: gleichen sich wie ein Ei dem anderen
Die neunmalklugen Enten-Drillinge sind die Neffen von Donald Duck, sie leben bei ihrem Onkel in Entenhausen. Über ihre Eltern ist wenig bekannt, die Patchwork-Gemeinschaft mit dem Onkel wird nicht hinterfragt. Charakterlich wie äußerlich sind die drei so gut wie identisch, sie unterscheiden sich lediglich durch die Farbe ihrer Pullover und Kappen. Und auch sonst funktionieren sie stets wie eine Einheit: kein Streit, dieselben Ideen, immer eine Wand gegen den einfältigen Onkel Donald. Doch wenn es darauf ankommt, halten sie bedingungslos zu ihm. Besonders dann, wenn Onkel Dagobert seinen Neffen mal wieder gnadenlos ausbeutet.
Die singenden Zwillinge
Name: Bill und Tom Kaulitz
Geboren: 1989
Wohnort: Los Angeles
Ausbildung: Schule abgebrochen, später holten sie den Realschulabschluss per Fernkurs nach
Besondere Kennzeichen: Führen eine "Ehe zu dritt" mit Heidi Klum
Die eineiigen Zwillinge machen gemeinsam Musik, seitdem sie denken können. Seit 2005 sind sie unter dem Bandnamen Tokio Hotel unterwegs und verdienen Millionen. Trotz Höhen und Tiefen der Band dachten die Brüder nie über eine Trennung nach, heute leben sie beide in Los Angeles. In einem RND-Interview sagte Bill mal: "Wir spüren auf die Entfernung, wie es dem anderen geht. Ich hatte zum Beispiel mal einen Autounfall, das hat Tom gespürt. Das klingt total abgefahren, alle denken jetzt wahrscheinlich, wir sind total spirituell. Aber wir haben einfach eine Verbindung, die man schwer beschreiben kann."
Die märchenhaften Erzähler
Name: Jacob und Wilhelm Grimm
Geboren: 1785 bzw. 1786
Wohnort: Hanau, Kassel und andere Stationen
Ausbildung: Jura-Studium, später Professoren
Besonderes Kennzeichen: konnten ohne einander nicht leben
Ihr Leben lang unternehmen die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm alles gemeinsam. Als Kinder schlafen sie zusammen in einem Bett, später studieren sie dasselbe Fach, werden beide Professor und leben auch dann noch zusammen, als einer (Wilhelm) heiratet. Getrennt zu sein bereitete ihnen körperliche Schmerzen. Berühmt wurden die Brüder Grimm durch die "Kinder- und Hausmärchen", die erfolgreichste Märchensammlung aller Zeiten.
Lesetipp: Für viele Kinder ist ein imaginärer Freund für eine Zeit lang der liebste Begleiter. Ob du dir deshalb Gedanken machen solltest, erfährst du hier.